Die aktuellen Investitionsrichtlinien der 30 größten Vermögensverwalter in Europa und den USA sind nicht streng genug, um im Einklang mit der Klimawissenschaft die Unterstützung für die Expansion fossiler Energien zu beenden. Dies gilt auch für die deutschen Häuser DWS, Union Investment sowie die Allianz-Töchter Allianz Global Investors (AGI) und PIMCO. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Analyse von Reclaim Finance, urgewald, ReCommon, Sierra Club und The Sunrise Project. Besonders der Kauf von Anleihen, die von fossilen Unternehmen mit den größten Expansionsplänen emittiert werden, muss stärker thematisiert werden. Die NGOs fordern die institutionellen Kunden der Vermögensverwalter auf, eine Überarbeitung von fossilen Investitionsrichtlinien einzufordern.

Bereits das dritte Jahr in Folge analysieren die NGOs, welche Richtlinien die 25 größten europäischen und die fünf größten US-amerikanischen Vermögensverwalter anwenden, um einen Beitrag zum Ende von Kohle-, Öl- und Gasexpansion zu leisten. Gemeinsam kommen sie auf ein verwaltetes Vermögen von insgesamt 37,5 Billionen Euro.

Die Vermögensverwalter wurden in der neuen Analyse anhand von drei Schlüsselindikatoren bewertet:

  1. Ob sie den Kauf neuer Anleihen, die von fossilen Unternehmen mit den größten Expansionsplänen emittiert werden, eingestellt haben;
  2. Ob sie von fossilen Unternehmen, in die sie investieren, erwarten, dass die Expansion eingestellt wird – und dies öffentlich so kommunizieren (1);
  3. Ob sie Sanktionen für den Fall vorgesehen haben, dass die in 2. genannte Forderung von fossilen Unternehmen nicht erfüllt wird – und diese öffentlich kommunizieren.

Lara Cuvelier, Campaignerin für nachhaltige Investitionen bei Reclaim Finance: „Vermögensverwalter gießen weiterhin Öl ins Feuer, indem sie unter anderem die neuen Anleihen der schlimmsten fossilen Umweltsünder kaufen. Grundsätzlich sind die derzeitigen fossilen Richtlinien der weltweit führenden Vermögensverwalter eine unzureichende Antwort auf den Klimanotstand. Sie sollten auf die Klimawissenschaft hören und bei expandierenden fossilen Unternehmen eine klare rote Linie ziehen. Für die Kunden der Vermögensverwalter ist es aber ebenfalls an der Zeit zu handeln. Sie müssen die Vermögensverwalter zur Rede stellen und sie auffordern, wirklich für den Klimaschutz wirksame fossile Richtlinien einzuführen.“

Die 30 analysierten Vermögensverwalter haben nach den Berechnungen von Reclaim Finance kollektiv und auf Gruppenebene betrachtet 3,5 Milliarden US-Dollar in Anleihen investiert, die seit dem 1. Januar 2022 von 38 führenden Entwicklern neuer fossiler Projekte emittiert wurden (2). Die amerikanische Fondsgesellschaft Vanguard belegt hierbei international Platz 1 in dem entsprechenden Ranking (mindestens 1,2 Milliarden US-Dollar) (3). Auf europäischer Ebene belegt die Allianz mit den Töchtern PIMCO und AGI Platz 1 (mindestens 193 Millionen US-Dollar), aber auch die anderen untersuchten deutschen Häuser fallen hier negativ auf (4). Mindestens 21 der untersuchten 30 Vermögensverwalter haben laut den Recherchen von Reclaim z. B. in eine Anleihe von TotalEnergies vom Januar 2022 investiert, dem weltweit siebtgrößten Entwickler neuer Öl- und Gasförderprojekte, darunter die East African Crude Oil Pipeline (EACOP) (5). 

Angesichts der Tatsache, dass die Anleihemärkte sehr intransparent sind und die Anleger nur selten Einzelheiten zu Transaktionen veröffentlichen, spiegeln die in der NGO-Analyse erhobenen Zahlen aber höchstwahrscheinlich nicht das volle Ausmaß wider. Diese Intransparenz ist umso problematischer, als sich die fossilen, expandierenden Unternehmen zunehmend über den Anleihemarkt finanzieren (6).

Aus der neuen NGO-Analyse geht hervor, dass bisher nur vier der betrachteten international führenden Vermögensverwalter den Kauf neuer Anleihen expandierender Kohleunternehmen ausgeschlossen haben (7). Neuerdings zählt die DWS hierzu (eine urgewald-Analyse der entsprechenden neuen DWS-Richtlinie finden Sie hier.) Jedoch hat keiner der analysierten Vermögensverwalter bisher den Kauf von neuen Anleihen expandierender Öl- und Gasunternehmen ausgeschlossen. Lediglich Ostrum fordert Öl- und Gasunternehmen auf, ihre Expansionsvorhaben zu stoppen (8). Zudem hat keiner der analysierten Vermögensverwalter systematische Sanktionsmechanismen, um expandierende Öl- und Gasunternehmen zum Umdenken zu bewegen – sei es durch Abstimmungen auf Hauptversammlungen oder Investitionsbeschränkungen als mögliche letzte Eskalationsstufe in einem Engagement-Prozess.

Lara Cuvelier: „Wir müssen dem Anleihemarkt mehr Aufmerksamkeit schenken, weil sich gerade Ölfirmen wie BP oder TotalEnergies hier ebenfalls Kapital für ihre verheerenden Klimaprojekte beschaffen. Vermögensverwalter haben durch ihre Anleihekäufe enorme Macht, und es ist an der Zeit, dass sie diese nutzen und den Geldhahn zudrehen. Es mangelt an Transparenz auf den Anleihemärkten, aber es ist enorm wichtig, hier Licht ins Dunkle zu bringen und diese noch zu wenig betrachtete Unterstützung sichtbar zu machen.“

Mit Blick auf die Gesamtbestände deutscher Häuser bei Aktien und Anleihen expandierender Kohle-, Öl- und Gasunternehmen ergibt sich folgendes Bild: Die DWS kam Stand Januar 2023 auf mehr als 10 Milliarden US-Dollar, gefolgt von PIMCO mit 4,5 Milliarden US-Dollar, AGI mit 3,8 Milliarden US-Dollar und Union Investment mit 3,2 Milliarden US-Dollar. Die Öl- und Gasbranche dominiert hierbei klar das Bild (9). 

Julia Dubslaff, Finanz-Campaignerin bei urgewald: „Deutsche Vermögensverwalter, speziell der Marktführer DWS, aber auch Union Investment und die Allianz-Töchter, vernachlässigen immer noch systematisch die Rolle des Öl- und Gassektors als einen der Treiber der Klimakrise. Sie betonen öffentlich gerne ihre eher intransparenten und inkonsequenten Engagement-Aktivitäten, verstecken sich hinter Netto-Null-Sprech und weisen Forderungen nach strengeren Richtlinien zurück. Doch die Zeit für entschlossene Klimaschutzmaßnahmen wird immer knapper, und die Öl- und Gasindustrie ist in Goldrauschstimmung, ohne erkennbares Interesse an einem echten Wandel.“

Die NGOs fordern alle Vermögensverwalter auf, keine Anleihen mehr zu kaufen, die von expandierenden fossilen Unternehmen emittiert werden. Bei ihren Engagement-Aktivitäten mit den fossilen Unternehmen müssen sie ab sofort auch die bestehenden Produktionsniveaus von Öl und Gas berücksichtigen und Reduktionspläne für den Zeitraum bis 2030 einfordern. Falls dies nicht erfolgt, muss zeitnah ein Verkauf der entsprechenden Aktien- und Anleihebestände erfolgen und auch öffentlich kommuniziert werden. Die Erkenntnisse aus der neuen NGO-Analyse sollten auch ein Weckruf für Kunden der analysierten Vermögensverwalter sein, speziell für institutionelle Anleger wie Pensionsfonds. Sie sollten bereits bei der Mandatsvergabe auf die Verbesserung der fossilen Richtlinien, speziell mit Blick Expansion, einwirken.

(1) Die in der Analyse berücksichtigten Erwartungen sind 1) die fossilen Unternehmen müssen ihre Expansionspläne in den Bereichen Kohle, Öl und Gas beenden und 2) die Unternehmen müssen einen glaubwürdigen Plan zum Ausstieg aus der Kohle haben, der sich am 1,5°C-Szenario orientiert, bzw. Ziele für 2030 zur Reduzierung ihrer Öl- und Gasproduktion haben, die im Einklang mit dem 1,5°C-Szenario sind.

(2) Die Analyse umfasst Anleihen, die nach dem 1. Januar 2022 und bis zum 19.05.2023 von 38 der größten Entwickler neuer fossiler Projekte ausgegeben wurden, darunter TotalEnergies, Eni, ConocoPhillips, Freeport Indonesia PT, China National, Petroleum Corp (CNPC) und BP. Basis für die fossilen expandierenden Unternehmen sind die Global Coal Exit List und Global Oil and Gas Exit List von urgewald (http://www.coalexit.org und www.gogel.org). Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Investitionssummen im Rahmen der Analyse erheblich unterschätzt werden (siehe Abschnitt Methodik des Berichts). Es ist wichtig zu beachten, dass die Investitionsbeträge auf der Ebene der Muttergesellschaft des Investors angegeben sind. Während diese Anleiheinvestitionen nicht notwendigerweise alle am Primärmarkt, sondern vielmehr auf dem Sekundärmarkt getätigt worden sind (für den Primärmarkt sind keine Informationen auf dem Bloomberg-Terminal verfügbar), tragen sie dennoch zur Kapitalbeschaffung der expandierenden fossilen Unternehmen bei. In der Tat wird ein Unternehmen einfacher Kapital auf dem Primärmarkt beschaffen können, wenn seine Unternehmensanleihen gut auf dem Sekundärmarkt gehandelt werden. Da außerdem die meisten der 30 untersuchten Vermögensverwalter passives Investment vorwiegend betrieben, sind deren identifizierte Investitionen in neu ausgegebene Anleihen wahrscheinlich eher Primärmarktinvestitionen, die über ihre passiven Fonds getätigt wurden. Wie die Forschung des Oxford Sustainable Finance Programme zeigt, finanzieren passive Fonds direkt fossile Unternehmen durch den Kauf großer Mengen neuer Anleihen auf dem Primärmarkt.

(3) Die NGO-Analyse zeigt, dass Vanguard in Anleihen investiert hat, die kürzlich von 19 expandieren fossilen Unternehmen emittiert wurden, darunter ConocoPhillips, BP, Coterra Energy, Diamondback Energy und TotalEnergies.

(4) Allianz: CNX Resources Corp, ConocoPhillips, TotalEnergies SE, Freeport Indonesia PT, Range Resources Corp, Coterra Energy Inc, Pioneer Natural Resources Co, Var Energi ASA, Matador Resources Co, Diamondback Energy Inc, Bayport Polymers LLC, BP Capital Markets America Inc, EQT Corp, Korea Hydro & Nuclear Power Co Ltd, POSCO; 
Deutsche Bank: Var Energi ASA, ConocoPhillips, TotalEnergies SE, BP Capital Markets America Inc, Coterra Energy Inc, Sasol Financing USA LLC, Matador Resources Co, Range Resources Corp, CNX Resources Corp, Ecopetrol SA, Transnet SOC Ltd, EQT Corp, Diamondback Energy Inc; 
DZ Bank: TotalEnergies SE, BP Capital Markets America Inc, Ecopetrol SA, Sasol Financing USA LLC

(5) Diese Anleihe von TotalEnergies hatte ein Volumen von 1,75 Milliarden Euro. Die Entwicklung der EACOP, einer 1400 km langen beheizten Ölpipeline in Ostafrika, würde jedes Jahr über 34 Millionen Tonnen CO² freisetzen, die lokale biologische Vielfalt zerstören und über 100.000 Menschen zur Flucht zwingen. Obwohl viele Finanzinstitute zugesichert haben, das EACOP-Projekt nicht direkt zu unterstützen, finanzieren und investieren sie weiterhin in TotalEnergies und unterstützen damit indirekt die Entwicklung der neuen Öl- und Gasprojekte des Unternehmens, einschließlich EACOP.

(6) Fossil fuel fundraising across asset classes. Source: Cojoianu et al. (2022)/ Regional Studies. The city never sleeps: but when will investment banks wake up to the climate crisis? Source: Cojoianu, T.F. et al, (2021).

(7) AXA IM, DWS, M&G und Ostrum schließen Unternehmen aus, die im Kohlebereich neue Bergbau-, Kraftwerks- und/oder Infrastrukturprojekte planen bzw. durchführen. Dabei ist zu beachten, dass die Richtlinie von M&G im Vergleich zu denen der anderen drei Vermögensverwalter erhebliche Ausnahmeregelungen enthält.

(8) Die Maßnahmen von Ostrum zu Expansion im Öl- und Gassektor hält Reclaim Finance jedoch für zu schwach, da sie keine systematischen Sanktionen im Rahmen des Engagements vorsehen.

(9) Basis ist hier der „Investing in Climate Chaos“ Bericht von urgewald, veröffentlicht im April 2023; https://investinginclimatechaos.org/data und https://www.urgewald.org/medien/investing-climate-chaos-investitionen-deutscher-asset-manager-kohle-oel-gas   

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