- Schwellenländerunternehmen erkennen Chancen in Lieferkettenneuordnung und Innovation
- China behält jedoch Schlüsselrolle in Emerging-Markets-Aktienportfolios
- Märkte preisen Konjunkturabschwung ein; erhöhte Volatilität könnten Anleger nutzen, um Exposure in Investmentthemen auszubauen, die das Gewinnwachstum ankurbeln
Die Marktvolatilität aufgrund von Inflation, geldpolitischer Straffung und der Krise der US-Regionalbanken hat das Augenmerk einiger Anleger von den Schwellenländern (EM) abgelenkt. Obwohl nachvollziehbar, hat der Fokus auf diese aktuellen Entwicklungen – zumindest vorübergehend – den Blick auf die wichtigen Trends verdeckt, die die Aktienlandschaft der Schwellenländer neu gestalten. Die Kräfte, die hinter dem zukünftigen Wohlstand und Gewinnwachstum in den Schwellenländern stehen, dürften zunehmend von den Themen Innovation, Deglobalisierung und Dekarbonisierung bestimmt werden – weit mehr als von der historischen wirtschaftlichen Konvergenz und vom Outsourcing.
Für längerfristig orientierte Anleger dürfte die derzeitige Volatilität eine Gelegenheit sein, diese aufkommenden Wachstumstreiber in den Schwellenländern besser zu verstehen – und vielleicht ihr Exposure zu erhöhen. Auch wenn die Unsicherheit in der Wirtschaft und an den Märkten den Anschein erweckt, dass der Zeitpunkt für Schwellenländeraktien nicht günstig ist, sollte man bedenken, dass die hohe Inflation, die verpatzte politische Reaktion und der Bankenstress allesamt von den Industrieländern ausgehen. Im Gegensatz dazu zwingt die Erfahrung die Unternehmensmanager und politischen Entscheidungsträger in den Schwellenländern dazu, bei der Bewältigung solcher Probleme eine viel geringere Toleranz zu zeigen.
Innovativ in die Zukunft
Investoren wissen seit langem, dass die Schwellenländer unbedingt in der Wertschöpfungskette aufsteigen wollen, um stärker von den Gewinnen für Fertigwaren zu profitieren. Neu ist vielleicht das Ausmaß, in dem die Unternehmer in den Schwellenländern Innovationen nutzen, um EM-spezifische Probleme zu lösen.
Diese Innovatoren arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung von Technologien und Geschäftsmodellen, um verschiedene Hürden zu überwinden, die den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt in diesen Regionen lange Zeit gebremst haben. Dazu gehören vor allem der Anteil der Bevölkerung, der keinen oder zu wenig Zugang zu Bankdienstleistungen hat, und die klaffenden Lücken in den Gesundheitssystemen. In den Schwellenländern kombinieren innovative Unternehmen beispielsweise Finanztechnologie (Fintech) und E-Commerce, um den Kunden einen besseren Zugang zu Waren und Zahlungsmitteln zu ermöglichen.
Ein Schwerpunkt der Innovationen ist die Dekarbonisierung, die vor allem von China vorangetrieben wird. China ist nicht nur deshalb motiviert, weil es seine Industrie durch die Abhängigkeit von Kohlenwasserstoffimporten strategisch gefährdet sieht. Es hat sich auch aus kommerzieller Sicht als zentraler Akteur bei alternativen Technologien wie Solarenergie und Batterien positioniert.
Ähnlich hat Saudi-Arabien sein ehrgeiziges Programm „Vision 2030“ auf den Weg gebracht, mit dem das Land seine Abhängigkeit von Kohlenwasserstoffen verringern und seine Produktionskapazitäten ausbauen will, wozu auch eine stärkere Beteiligung von Frauen an der Erwerbsbevölkerung zählt. Der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte an der Erwerbsbevölkerung des Landes ist auf 34 % gestiegen und übertrifft damit bereits das in der Vision 2030 festgelegte Ziel. Durch die Umstrukturierung der Zusammensetzung der saudischen Wirtschaft – mit einer stärkeren Ausrichtung auf wertschöpfende, innovative Industrien und den Konsum – und durch eine grundlegende Überarbeitung des Gesellschaftsvertrags zwischen dem Staat und seinen Bürgern versucht die saudische Regierung, die wirtschaftlichen Wachstumsfaktoren in einer weniger von Öl und Gas abhängigen Welt zu diversifizieren.
Wie fast alle Innovationen werden auch diese Initiativen erhebliche Investitionen erfordern. Für die Schwellenländer, die nicht auf massive Bargeldreserven zurückgreifen können, wird ein Großteil dieser Mittel von Aktieninvestoren aus den Industrieländern aufgebracht werden. Doch anders als bei früheren Investitionswellen zugunsten der Schwellenländer dürfte diesmal unserer Ansicht nach ein größerer Teil der Gewinne aus kommerziellen Aktivitäten innerhalb der Schwellenländer stammen, und zwar von zunehmend hochentwickelten regionalen Unternehmen.
Kurswechsel
Angetrieben von der Geopolitik und dem Wunsch nach Sicherheit in der Lieferkette kehrt sich der jahrzehntelange Globalisierungstrend um. Anstatt die billigsten Arbeitskräfte zu suchen, wird die Produktion zunehmend durch Near- und Friendshoring bestimmt. Dies wirkt zwangsläufig inflationär. Doch neben den Risiken gibt es auch Chancen für Investoren, da die Lieferketten neu gestaltet werden müssen. Wenn multinationale Unternehmen versuchen, ihre Abhängigkeit von China zu verringern, werden Länder wie Vietnam, Indien, Mexiko und Indonesien davon profitieren.
China wird ein wichtiger Bestandteil des EM-Aktienuniversums bleiben. Viele seiner Branchen werden wahrscheinlich von der Entkopplung profitieren, da sie versuchen, ihre Abhängigkeit von externen Kräften zu verringern. Diese Überlegung steht hinter dem dualen Kreislaufmodell des Landes, das mehr Wachstum aus inländischen Quellen generieren und gleichzeitig den Rest der Welt weiterhin mit Industriegütern versorgen soll.
Wenn Investoren in China investieren wollen, müssen sie verstehen, wie sich die Haltung der Regierung gegenüber dem Privatsektor und ihre Zielsetzungen für diesen entwickelt haben. Die Zentralregierung erwartet zunehmend, dass kommerzielle Aktivitäten mit den Zielen der Partei für gemeinsamen Wohlstand, Innovation und Dekarbonisierung in Einklang gebracht werden. Daher sind wir der Meinung, dass Investoren den Aspekt der Governance einbeziehen sollten, um zu prüfen, ob kommerzielle Initiativen in China mit denen der Zentralregierung übereinstimmen.
Mit langem Atem
Angesichts der Verlangsamung der Weltwirtschaft und der Volatilität der Aktienmärkte war zu erwarten, dass risikoreichere Anlageklassen wie Schwellenländeraktien unter Druck geraten würden. Und obwohl sie in diesem Jahr hinter dem breiteren Markt zurückgeblieben sind, war die Schwäche nicht so ausgeprägt, wie viele erwartet hatten. Unseres Erachtens ist dies darauf zurückzuführen, dass die breite Anlegerschaft die sich verändernden Wachstumsfaktoren in den Schwellenländern zunehmend erkennt. Diese Faktoren dürften säkularer Natur sein und – wie Innovationen zeigen – zunehmend von Unternehmern angetrieben werden, die kommerzielle Lösungen für lokale Herausforderungen suchen.
Das Wachstum der Schwellenländer wird unweigerlich weiterhin vom globalen Wirtschaftszyklus beeinflusst werden. Mittelfristig erwarten wir jedoch, dass makroökonomische Faktoren das Wirtschafts- und Gewinnwachstum der Schwellenländer weniger stark beeinflussen werden. Im Zuge dieser Entwicklung erwarten wir, dass die Investitionsströme in diesem bisher als risikoreich angesehenen globalen Aktienmarktsegment weniger sprunghaft werden.
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