Am Freitag, 28. April 2023 haben Digitalcourage und andere Bürgerrechtsorganisationen zum 23. Mal die BigBrotherAwards verliehen.

Die „Oscars für Überwachung” gingen in diesem Jahr an:

Kategorie „Behörden und Verwaltung“
Bundesfinanzministerium, vertreten durch Bundesfinanzminister Lindner

Der BigBrotherAward 2023 in der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ geht an das Bundesfinanzministerium, vertreten durch Bundesfinanzminister Lindner. Mit dem Preis wird das seit dem 1. Januar 2023 geltende Plattformen-Steuertransparenzgesetz (PStTG) bedacht. Dieses Gesetz soll im Bereich der Plattformökonomie für Steuergerechtigkeit sorgen und hatte ursprünglich gewerbliche Portale wie airbnb oder Uber im Fokus. Darüber hinaus zwingt es Plattformanbieter aber auch zur umfassenden Vorratsdatenspeicherung über private „Flohmarktverkäufe“.

Prof. Dr. Peter Wedde begründet den BigBrotherAward so:

Um dem Ziel der Steuergerechtigkeit näher zu kommen, wäre es völlig ausreichend gewesen, im Plattformen-Transparenzgesetz die Verpflichtung zur Meldung von offenkundig einkommenssteuerpflichtigen Gewinnen zu verankern – statt einer ausufernden, umfassenden Vorratsdatenspeicherung ohne transparent und abschließend festgelegten Verwendungszweck, die zurück in die graue Vorzeit führt.

Kategorie „Finanzen“
finleap connect GmbH

Der BigBrotherAward in der Kategorie Finanzen 2023 geht an finleap connect GmbH, dafür, dass es über Jahre hinweg fälschlicherweise Informationen zum Kontowechsel an Firmen schickt, die mit dem Vorgang nichts zu tun haben. Dabei geraten Name, Geburtsdaten, Anschrift, Kontodaten und Zeilen aus dem Kontoauszug von Betroffenen in falsche Hände.

Frank Rosengart erklärt zum Award für finleap:

Für Betroffene kann das ganz schön peinlich sein, schließlich kann so ein Stück vom Kontoauszug auch den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung berühren. Stichwort „Erotik-Versand“, oder vielleicht auch private Arztrechnungen.

finleap connect hat inzwischen weitere Datenlecks eingeräumt
(siehe unten bei „Reaktion der Preisträger.innen“)

Kategorie „Kommunikation“
Zoom Video Communications Inc.

Der BigBrotherAward in der Kategorie Kommunikation geht an Zoom Video Communications Inc., die als US-Unternehmen Daten an Geheimdienste weiterleiten müssen, aber dennoch behaupten, DSGVO-konform zu sein. Zoom untersteht überdies chinesischer Kontrolle und Zensur, da relevante Teile der Entwicklung in China stattfinden. Der Preis geht auch an alle Gruppen, insbesondere Menschenrechts- sowie Umwelt- und Klimaorganisationen, die Zoom einsetzen und damit ihre Teilnehmer.innen der Überwachung preisgeben, obwohl es freie und datenschutzfreundliche Alternativen gibt.

padeluun erklärt bei der Verleihung des BigBrotherAwards an Zoom:

Zoom ist der Versuch, Menschen, die miteinander in einer Videokonferenz kommunizieren wollen, in den Strudel des Überwachungskapitalismus zu ziehen.

padeluun nimmt aber auch die Zivilgesellschaft in die Pflicht:

Zwingt andere nicht in Eure Hölle hinein, indem Ihr zu Zoom-Videokonferenzen einladet. Denn es ist schwer, dem Gruppenzwang zu widerstehen. Zu viele klicken dann trotz besseren Wissens auf den Link. Man will ja nicht dauernd „die Spielverderberin“ sein.

Kategorie „Lebenswerk“ Microsoft

Der BigBrotherAward 2023 für das Lebenswerk geht an Microsoft, für den Missbrauch ihrer Marktmacht. Microsoft zwingt Menschen, Unternehmen und Behörden, bei deren digitalen Aktivitäten dauernd Daten in die USA zu übermitteln und sich dadurch in Echtzeit überwachbar zu machen. Damit wird Microsoft bereits zum zweiten Mal (zuerst im Jahr 2002) in der Kategorie Lebenswerk ausgezeichnet.

Es ist erklärtes Ziel von Microsoft, ‚die Linie zwischen Cloud und Endgerät verschwimmen‘ zu lassen – also die Datenkontrolle in die Cloud von Microsoft zu verlagern. Microsoft, das als reiner Softwareanbieter begann, hat inzwischen einen weltweiten Cloud-Marktanteil von ca. 30 %.“ – begründet Dr. Thilo Weichert den BigBrotherAward.

Dr. Thilo Weichert warnt:

Microsoft baut derzeit 17 Rechenzentren in Europa auf und aus. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass US-Behörden auf diese Daten per Cloud-Act und Foreign Intelligence Surveillance Act Zugriff einfordern. Diese Gesetze verpflichten Microsoft, auch im Ausland verarbeitete Daten den US-Sicherheitsbehörden zur Verfügung zu stellen und hierüber Stillschweigen zu wahren.

Kategorie „Verbraucherschutz“
Deutsche Post DHL Group

Die Deutsche Post DHL Group erhält den BigBrotherAward 2023 in der Kategorie Verbraucherschutz für praktizierten Digitalzwang. Sie will die Kund.innen durch die Umstellung (der Funktionsweise) ihrer Packstationen dazu zwingen, ein Smartphone und ihre Post & DHL-App zu nutzen. Die Post & DHL-App sendet ungefragt Daten an Tracking-Firmen. Dieser Digitalzwang gehört besonders gerügt, denn hier schließt ein ehemaliges Staatsunternehmen Bürgerinnen und Bürger von einer wichtigen Grundversorgung aus.

Rena Tangens erklärt in ihrer Laudatio:

Bei diesem BigBrotherAward geht es um die Tendenz, den schleichenden Druck auf alle Menschen, sich auf Überwachungsstrukturen einzulassen: An einer Stelle wird zwingend ein Login verlangt, an einer anderen wird Bargeld nicht mehr akzeptiert, hier wird die Installation einer App gefordert, dort bekomme ich ohne Smartphone keine Informationen zum Service mehr – oder überhaupt keinen Service. Wer sich nicht fügt, dessen Alltag wird immer schwerer gemacht. Das nennen wir „Digitalzwang“.

Reaktion der Preisträger.innen

Alle Preisträger.innen werden von uns jedes Jahr vorab informiert und eingeladen, ihre BigBrotherAwards-Statue persönlich entgegenzunehmen. Damit verbunden ist auch das Angebot, mit uns ins Gespräch zu kommen. So kann aus der Preisverleihung ein Dialog entstehen, in dem die Preisträger.innen erkennen, wie stark sie in die Grundrechte von Menschen – und damit auch in ihre eigenen – eingreifen.

finleap connect möchte Preis annehmen
Deshalb freut es uns sehr, dass die finleap connect GmbH den Preis annehmen möchte. finleap connect erklärte uns gegenüber, sie seien 2021 von mehreren Zahlungspartnern über Datenlecks informiert worden. Das bestätigt, dass finleap connect auch an andere Organisationen falsche Kontowechsel-Benachrichtigungen mit sensiblen persönlichen Daten wie Geburtsdatum, Adresse, Namen und Verwendungszwecke von Transaktionen zugeschickt hat – von Menschen, die in keinem Kontakt zu diesen Organisationen standen. Einer Behauptung finleaps, die Datenlecks 2021 abgestellt zu haben, widerspricht Digitalcourage. Auch nach 2021 sind im Büro von Digitalcourage weiterhin Briefe nach dem selben Muster mit sensiblen Daten von Betroffenen eingegangen.

Zoom verweist auf eine Datenschutz-Folgenabschätzung mit begrenzter Aussagekraft
Die Cheflobbyistin des US-Unternehmen Zoom in Deutschland gibt eine generische Antwort, in der Sie sich auf eine erfolgte Datenschutz-Folgenabschätzung beruft. Diese Datenschutz-Folgenabschätzung wurde allerdings für einen bestimmten Verband von niederländischen Bildungsorganisationen angefertigt – und ist auch nur für diesen Fall aussagekräftig. Denn im Rahmen einer Datenschutz-Folgenabschätzung werden auch vertragliche Konditionen und IT-Sicherheitsmaßnahmen angeschaut. Sobald sich diese ändern, muss sich auch die Risikobewertung ändern. Für einen Einsatz von Zoom bei anderen Organisationen hat diese Folgenabschätzung deshalb nur eine begrenzte Aussagekraft. In der erwähnten Datenschutz-Folgenabschätzung wird außerdem eingeräumt, dass es möglich ist, dass im Rahmen des Cloud Acts von Zoom erhobene Daten an die US Regierung weitergegeben werden – das Risiko sei „vergleichbar mit dem Einsatz von Google oder Microsoft“. Beide als Vergleich genannten Unternehmen stehen allerdings in dauernder Kritik von Datenschützern. Google hat bereits zwei BigBrotherAwards erhalten, Microsoft bekommt in diesem Jahr den dritten.

Über den digitalcourage e.V.

Digitalcourage setzt sich seit 1987 für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter und richtet seit 2000 die jährliche Verleihung der BigBrotherAwards aus. 2008 erhielt Digitalcourage die Theodor-Heuss-Medaille für besonderen Einsatz für die Bürgerrechte. Digitalcourage ist gemeinnützig, finanziert sich durch private Spenden und lebt durch die Arbeit vieler Freiwilliger.

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