Der Koalitionsvertrag gefährdet die Verkehrswende in Berlin. Das Mobilitätsgesetz soll für ein „besseres Miteinander“ weiterentwickelt werden, heißt es dort. Was auf den ersten Blick irgendwie nett klingt, ist tatsächlich eine Abkehr vom Vorrang des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs, den das Mobilitätsgesetz fordert. In Zukunft soll das Auto wieder priorisiert werden. 

Die SPD, die 2018 das Gesetz mit verabschiedet hat, vollzieht in der Verkehrspolitik eine Abkehr von der Mobilitätswende. Diese wird im Koalitionsvertrag mit keinem Wort erwähnt, stattdessen heißt es nun: Radspuren sollen „unter Beachtung örtlicher Gegebenheiten“ eingerichtet werden. Im Klartext bedeutet das: Radwege wird es nur dort geben, wo sie den Autoverkehr nicht einschränken. Die Koalition will die Mindestbreiten von Radwegen überprüfen, obwohl sie im Radverkehrsplan aus guten Gründen standardisiert wurden. Wo für den Kfz-Verkehr 3,50 Meter pro Spur bereitstehen, soll nicht mal 2,3 Meter Platz für den Radverkehr sein, wie Kai Wegner (CDU) behauptet – und das nennt sich dann gleichberechtigtes Miteinander? 

Mit Ampelschaltungen will die Koalition die „Verkehrssicherheit und Leistungsfähigkeit für alle Verkehrsträger“ erhöhen – wie soll das gehen? Ampelschaltungen geben entweder dem Fuß- und/oder Radverkehr Vorrang oder dem motorisierten Individualverkehr. Alle gleichzeitig zu priorisieren ist faktisch nicht möglich. Vor allem nicht, wenn man Tempo 50 als Regelgeschwindigkeit beibehält. 

Das Fahrzeug, dessen Name nicht genannt werden darf

Während im Wahlkampf noch offen für das Auto geworben wurde, werden die Wörter Auto oder Pkw im Koalitionsvertrag kein einziges Mal erwähnt. Stattdessen wird mit viel rhetorischer Energie ein nicht näher definiertes „Miteinander“ (15 Mal) heraufbeschworen. Wer zwischen den Zeilen liest, erkennt jedoch, dass CDU und SPD das Mobilitätsgesetz bis zur Unkenntlichkeit entschärfen wollen. Von einer Mobilitätswende ist Berlin meilenweit entfernt – und soll nun in die entgegengesetzte Richtung gehen. 

Was bringt es denn, Bike-Sharing in den Außenbezirken anzubieten, wenn keine vernünftigen Radwege vorhanden sind? Durchgangsverkehr soll in den Wohnvierteln vermindert, aber nicht unterbunden werden – wie? 

„SPD und CDU interessieren sich schlicht nicht für den Radverkehr. Sie planen mit dem Koalitionsvertrag eine Demontage des Mobilitätsgesetzes. Dafür haben wir nicht den Volksentscheid Fahrrad initiiert und jahrelang mit Expertise und viel Energie für die Verkehrswende gearbeitet. Die zukünftige GroKo versucht, sich den schönen Schein des Wandels zu geben – inhaltlich legt sie die Axt an die Wurzel der Verkehrswende“, kommentiert Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

„Ein tatsächliches Miteinander im Verkehr kann es nur geben, wenn wir die bestehende ungerechte Verteilung der Flächen angehen und den ungeschützten Verkehrsteilnehmenden, also Radfahrer*innen und Fußgänger*innen, den nötigen Schutz bieten. Dafür muss das Mobilitätsgesetz durch die Aufstockung von Personal und Geld beschleunigt und nicht rückwärts gedreht werden“, kommentiert Solveig Selzer, politische Referentin des ADFC Berlin.

Mit keinem Wort wird das Radnetz erwähnt: Für die Koalition sind die bisherigen 113 km neue Radinfrastruktur offensichtlich ausreichend. Die restlichen 96 Prozent des 2.700 km umfassenden Radnetzes, das die SPD Ende 2021 mit beschlossen hat, sind für sie anscheinend entbehrlich. Wenn die Sanierung Priorität vor neuen Radwegen hat, bleiben die Lücken in der Radinfrastruktur erhalten, und den Menschen wird das Radfahren weiterhin erschwert. Stattdessen schlägt die Koalition den Bau von U-Bahnen vor  – Investitionen, die frühestens in 15 bis 20 Jahren Wirkung zeigen werden – das ausgestoßene CO2 ist aber erst (nach konservativer Rechnung) in ca. 100 bis 120 Jahren amortisiert! Währenddessen soll die Tangentialverbindung Ost (TVO) zügig gebaut werden. Außerdem zeigt die Koalition in spe durch die Nicht-Erwähnung des 17. Bauabschnitts der A100, dass sie mit der Entscheidungsgewalt des Bundes ganz zufrieden ist. Wiederholt werden im Koalitionsvertrag Prioritäten gesetzt, die einer nachhaltigen Verkehrswende entgegenstehen.

Changing Cities lädt zu einer Fahrrad-Demonstration gegen die Demontage des Mobilitätsgesetzes am Samstag den 8. April, um 13.45 Uhr. Startpunkt ist der Potsdamer Platz. Die Route führt zu den wenigen Radinfrastruktur-Vorzeigeobjekten in Berlin und durch viele gefährliche Straßen, die aber laut Radverkehrsplan sichere Radwege bekommen. Die Veranstaltung ist polizeilich angemeldet.

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Über den Changing Cities e.V.

Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

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