Die beiden bedeutenden Skulpturen des österreichischen Barock, einst wahrscheinlich Teil eines Altars oder Tabernakels, befanden sich nachweislich seit 1924 im Besitz des Frankfurter Arztes und Privatsammlers Dr. David Rothschild (1875–1936). Wann und von wem er die Skulpturen erwarb und wer sie vor ihm besaß, ist nicht bekannt. Im Dezember 1932 wurde die „Sammlung Dr. D. Rothschild“ einschließlich der beiden im Auktionskatalog ganzseitig abgebildeten Skulpturen im Frankfurter Auktionshaus Helbing zum Verkauf angeboten. David Rothschild lebte zu dieser Zeit mit seiner Frau Stephanie Rothschild (1889–1988) und Familie in einem mehrstöckigen Eigenheim in der Bockenheimer Landstraße. Wie viele der insgesamt 119 Positionen aus der Sammlung Rothschild jedoch tatsächlich bei dieser Auktion verkauft wurden und wie viele der Objekte an David Rothschild zurückgingen, ist nicht bekannt. Bisher konnten keine diesbezüglichen Geschäftsunterlagen oder annotierten Kataloge lokalisiert werden. Am 24. März 1938 wurden die beiden Skulpturen nebst Sockeln Alfred Wolters, dem damaligen Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung, durch den Frankfurter Kunsthändler Adolf Klein zum Verkauf angeboten. Zum Preis von 2800 RM wurden sie von der Stadt Frankfurt für das Liebieghaus erworben. Da Klein lediglich als Vermittler auftrat ist nicht dokumentiert, aus welchem Besitz er die beiden Skulpturen verkaufte. Geschäftsunterlagen seiner Kunsthandlung sind bisher nicht bekannt. Trotz intensiver Forschungsbemühungen ließ sich die etwa fünf Jahre umfassende Lücke in der Provenienz der Werke zwischen Dezember 1932 und März 1938 nicht auflösen. Obwohl somit nicht rekonstruierbar ist, wann und wie sich David oder Stephanie Rothschild von den beiden Skulpturen trennten, ist ein Besitzerwechsel zu einem Zeitpunkt, als sie aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgung unter Druck standen, am wahrscheinlichsten.
„David und Stephanie Rothschild waren einst Frankfurter. Diese Stadt war ihr Zuhause. Stephanie Rothschild forderte nach dem Krieg erfolglos Wiedergutmachung ein. Jahrzehnte später können wir mit den beiden barocken Skulpturen in Teilen Entschädigung für das Verlorene leisten. Die Nachfahren von David und Stephanie Rothschild haben entschieden, dass die beiden Skulpturen in der Liebieghaus Skulpturensammlung verbleiben sollen. Als Vertreterin der Stadt danke ich ihnen, insbesondere David Rothschild Junior, von Herzen für diese außerordentlich wertschätzende Geste“, so Dr. Ina Hartwig, Kultur- und Wissenschaftsdezernentin der Stadt Frankfurt am Main.
Der Vertreter der Erben, David Rothschild Junior., Enkel von David und Stephanie Rothschild, teilt mit: „Die deutschen Wurzeln unserer Familie reichen Jahrhunderte zurück. Unsere tiefe Verbundenheit mit der Stadt Frankfurt und Deutschland war eine Zeit lang unterbrochen, aber man muss in der Gegenwart leben, nicht in der Vergangenheit. Die Nachkommen von David und Stephanie Rothschild wissen die Bemühungen der Liebieghaus Skulpturensammlung und der Stadt Frankfurt um die Wiedergutmachung eines historischen Unrechts sehr zu schätzen. Die Behandlung, die wir sowohl vom Team des Liebieghauses als auch von der Stadt Frankfurt erfahren haben, war außerordentlich verständnisvoll, freundlich und professionell. Wir sind allen Beteiligten dankbar, dass sie uns eine einvernehmliche und gerechte Lösung für ein dunkles Kapitel unserer Familiengeschichte angeboten haben. Unser Dank gilt auch dem unerschrockenen David-Rothschild-Experten Dr. Markwart Herzog für seine unschätzbare Hilfe bei der Klärung dieser Angelegenheit zum Wohle der Familie Rothschild. Zwei barocke Skulpturen, das Liebieghaus und die Stadt Frankfurt haben geschafft, was manche für unmöglich gehalten hätten: Sie haben unsere tiefe Verbundenheit mit der Stadt Frankfurt und Deutschland erneuert und dazu beigetragen, eine tiefe Wunde zu heilen. Vielen Dank! Es ist mir eine Ehre und ein Privileg, dem Liebieghaus mit einer Spende dabei helfen zu können, die Skulpturen meines Großvaters wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen zu lassen. Ich möchte auch andere ermutigen, dieses außergewöhnliche Museum zu unterstützen.“
„Seit vielen Jahren bereits untersucht und erforscht die Liebieghaus Skulpturensammlung systematisch ihre Bestände auf verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke aus jüdischem Besitz. Wir verstehen die Provenienzforschung als moralische Pflicht und als essenziellen Teil unserer Arbeit. Als Museum ist es unsere historische und gesellschaftliche Verantwortung, bei Herkunftsfragen der Objekte genau hinzusehen, auch wenn viele Provenienzen lückenhaft bleiben. Die Kunstwerke der Liebieghaus Sammlung stehen nie nur für sich, sie sind verbunden mit Geschichten von Menschen. Im Fall der barocken Engelsfiguren ist es die Geschichte von David und Stephanie Rothschild. Ihre Geschichte zu erzählen und damit an sie zu erinnern, ist unser Anliegen. Mein tief empfundener Dank geht an den Enkel, David Rothschild Junior, und an seine Familie für ihr Vertrauen in das Liebieghaus und für die überaus großherzige Spende für die Restaurierung der Skulpturen“, sagt Dr. Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung.
Liebieghaus Skulpturensammlung / Städtische Galerie
Dürerstraße 2
60596 Frankfurt am Main
Telefon: +49 (69) 605098-0
Telefax: +49 (69) 605098-111
http://www.liebieghaus.de
Telefon: +49 (69) 605098-170
E-Mail: presse@liebieghaus.de