Emil Orliks erster erhaltener Brief an Max Lehrs datiert vom 20. Juni 1898. Orlik schrieb ihn während seiner ersten großen Europareise. Der knapp 28-Jährige hatte sich damals als freischaffender Künstler in seiner Geburtsstadt Prag niedergelassen, wohin er nach seinem Studium in München zurückgehrt war. Der fünfzehn Jahre ältere Kunsthistoriker Lehrs lebte zu der Zeit in Dresden. Seit 1896 leitete er dort das Königliche Kupferstich-Kabinett. Sehr wahrscheinlich war es sein professionelles Interesse, das ihn mit dem jungen Grafiker zusammenführte. Ihr mal mehr, mal weniger intensiver Briefwechsel sollte die beiden Männer von nun an über dreißig Jahre begleiten. Bis 1930 erhielt Lehrs über 440 Briefe und Postkarten von Orlik, die er sorgfältig aufbewahrte und in drei Alben binden ließ.
Die Korrespondenz umfasst somit die gesamte produktive Zeit von Emil Orlik. „Fast jedes Schreiben ergänzt Orlik mit Zeichnungen. Oft sind es humorvolle Kommentare zum Geschriebenen oder Eindrücke von seinen Reisen. Manchmal sendete er Lehrs auch Proben seiner druckgrafischen Arbeiten,“ berichtet Dr. Sebastian Schmidt, der Kurator der Ausstellung und Leiter der Grafischen Sammlung am Kunstforum Ostdeutsche Galerie. „Somit sind die Schriftstücke nicht nur als historische Dokumente zu betrachten. Es handelt sich zugleich auch um kleine Kunstwerke,“ hebt er hervor. Orliks Post bietet Einblick in sein Leben und gibt Auskunft über seine vielen Reisen quer durch Europa sowie nach Asien und Amerika. Die Berichte über seine künstlerischen Vorhaben und Aufträge ergeben ein Bild über den Werdegang des gefragten Porträtisten. Die Briefe und Karten, die während seiner Japan-Besuche in den Jahren 1900/01 und 1912 entstanden sind, lassen seine Auseinandersetzung mit der japanischen Kunst, insbesondere dem Farbholzschnitt, nachvollziehen.
Vor Ort in dieser Technik ausgebildet trug Orlik zur Verbreitung dieser für den Jugendstil charakteristischen Technik in Mitteleuropa bei.
Heute befindet sich Lehrs‘ einzigartige Sammlung an Künstlerpost im Kunstforum Ostdeutsche Galerie. Angekauft hat sie im Jahr 1967 der Adalbert Stifter Verein e.V. mit Hilfe von Bundesmitteln für die im Vorjahr gegründete Stiftung Ostdeutsche Galerie. Die erste wissenschaftliche Auswertung erfolgte im Stifterverein, der 1981 eine Auswahl des Materials unter dem Titel „Malergrüße“ veröffentlichte. Die Ausstellung „Emil Orlik an Max Lehrs. Künstlerpost aus aller Welt“ präsentiert die nun komplett dokumentierte Korrespondenz zum ersten Mal in der Gesamtheit.
Emil Orlik und Max Lehrs: eine Freundschaft zwischen Künstler und Kunsthistoriker
Auch wenn Emil Orlik und Max Lehrs ihre ersten Briefe wahrscheinlich bereits zuvor getauscht hatten, kann man ihre Begegnung in den Niederlanden im September 1898 als Beginn ihrer freundschaftlichen Beziehung ausmachen. Für Orlik war es eine Station auf seiner ersten großen Europareise. Lehrs – in diesen Tagen ebenfalls auf Reisen – traf ihn in Amsterdam.
In Max Lehrs fand Orlik den richtigen Gesprächspartner, mit dem er sich über seine aktuellen künstlerischen Projekte austauschen konnte. Der Kunsthistoriker gilt als Entdecker Orliks. Als Direktor des Dresdner Kupferstich-Kabinetts (1896-1904 und 1908-1923) sowie zeitweise des Kupferstichkabinetts in Berlin (1904-1908) erwarb Lehrs Orliks Werke. Doch auch „dem Privatmann!!“ (18.10.1899) schickte Orlik gelegentlich Proben aktueller Arbeiten als Geschenk.
Die beiden Freunde profitierten auch gegenseitig von ihren Kontakten in Kollegenkreisen. So vermittelte Lehrs Orlik beispielsweise an Julius Leisching, den Direktor des Mährischen GewerbeMuseums in Brünn. Im Jahr 1900 richtete das Museum die erste umfangreiche Einzelausstellung von Werken Emil Orliks aus. Der Künstler unterstützte wiederum Lehrs, als dieser 1911 eine Ausstellung mit Zeichnungen des Malers Ferdinand Hodler vorbereitete.
Quer durch Europa und bis nach Japan und Amerika: ein Künstler auf Reisen
„Aber dem Himmel sei Dank! Ich trag jetzt eine halbe Welt mit mir und wird es mir hier gar zu enge – dann wandere ich wieder ein wenig – wenn auch nur in der Erinnerung.“ (6.1.1899). Diese Zeilen schrieb Emil Orlik an Max Lehrs als er nach seiner ersten großen Studienreise wieder zu Hause in Prag angekommen war. Orlik fuhr zunächst nach England, danach weiter nach Schottland, in die Niederlande und Belgien und kehrte dann über Frankreich und die Schweiz wieder zurück. Der elfmonatige Auslandsaufenthalt mit mehreren Stationen dürfte für Orliks lebenslange Reiselust prägend gewesen sein.
Der junge Orlik wechselte mehrfach seinen Lebensmittelpunkt. Aufgewachsen in Prag als Sohn eines jüdischen Schneidermeisters zog Orlik 1889 für seine künstlerische Ausbildung nach München. Von 1891 an studierte er drei Jahre lang an der dortigen Kunstakademie. Zurück in Prag gründete er 1897 sein erstes Atelier als selbständiger Grafiker. Ab 1899 intensivierte er seine Kontakte nach Wien, wurde Mitglied der Wiener Secession und verlegte schließlich 1904 sein Atelier dorthin. Im darauffolgenden Jahr nahm Orlik die Professur an der Staatlichen Lehranstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums an und trat daraufhin aus der Wiener Secession aus und wurde 1908 Mitglied der Berliner Secession.
Viel Zeit verbrachte Orlik auf Reisen. Ob er sich auf einer großen Studienreise befand oder lediglich Freunde und Kollegen besuchte oder sich bei einem Kuraufenthalt erholte – immer war Orlik mit Stift oder Feder unterwegs und auf Motiv-Suche. So sind nicht nur seine Skizzenbücher voller Zeichnungen, auch in den Karten und Briefen an Lehrs finden sich oft verwandte Darstellungen. Neben Sehenswürdigkeiten sind es lokale Trachten und Landschaftsmotive, aber auch alltägliche Begebenheiten, die er meisterhaft – oft mit wenigen Strichen – zu Papier brachte. In vielen Fällen gehen seine druckgrafischen Arbeiten auf solche Studien zurück. Den Berichten an Lehrs zufolge bearbeitete Orlik seine Druckplatten bisweilen sogar unterwegs und ließ diese in verschiedenen Werkstätten seines Vertrauens drucken. Oft verband er seine Reisen mit Porträtaufträgen.
Wegweisend war für Emil Orlik insbesondere seine erste Japan-Reise im Jahr 1900/01. In einem der ersten Briefe an Lehrs stellte er fest – „lernt man aber den scheusslichen modernen Firnis mit dem hier leider schon so vieles überzogen ist abzunehmen, so findet man doch, dass die Dinge hier noch über Erwarten schön sind. Ich wandere ganze Tage herum: in Kuriositäten Läden, zu Holzschneidern, Farbenholzschnittdruckern (schönes Wort!)“ (15.5.1900) Später schrieb er: „Mir gefällt es hier immer besser! Ich spreche schon zum Dienstgebrauch genügend japanisch und kann famos Holzschnitte drucken.“ (26.7.1900). Bei seiner zweiten Reise Richtung Japan im Jahr 1912, die ihn auch nach Ägypten, Nubien, Ceylon, China und Korea führte, standen statt technischen Fertigkeiten zunehmend exotische Motive im Mittelpunkt.
Orlik hatte bereits 1901 überlegt, auf dem Rückweg von Japan nach Amerika zu fahren. Doch er entschied sich damals dagegen. Eine gute Gelegenheit, doch noch in die USA zu reisen, ergab sich 1924. Die Kosten für die Reise und den zweimonatigen Aufenthalt übernahm ein Auftraggeber, der ein Porträt bei Orlik bestellte. Seine Eindrücke von New York brachte Orlik in einem Schreiben an Lehrs auf den Punkt: „Die Stadt ist unvorstellbar grossartig 1000 künstlerische Eindrücke. Aber die Einstellung zum Leben für uns schwer. Alles nach $ Wert gemessen.“ (20.1.1924). In zahlreichen Skizzen hielt er immer wieder die Skyline der Metropole fest. Als Hommage an die Stadt erstellte Orlik 1928 eines seiner beeindruckendsten Blätter, die große Radierung „Bau eines Hochhauses in New York“.
Die Ausstellung: Orliks Post als Leitfaden
Das Herzstück der Präsentation stellen die mehr als 440 Originale von Orliks Briefen und Karten dar. Die jeweils aufgeschlagenen Seiten der drei Alben wechseln regelmäßig, damit die BesucherInnen bis zum Ende der Laufzeit der Ausstellung am 18. Juni möglichst viele von Orliks virtuosen Zeichnungen im Original betrachten können.
Sämtliche Schriftstücke wurden im Rahmen der Vorbereitungen zu dem Ausstellungsprojekt hochauflösend eingescannt. Mit allen Vorder- und Rückseiten sowie den meist ebenfalls noch vorhandenen Umschlägen sind rund 1200 Digitalisate angefertigt worden. In der Ausstellung kann man anhand der Scans auf einem großen Bildschirm jedes einzelne Schriftstück im Detail betrachten. Die gesamte Korrespondenz ist zudem im Katalog abgebildet, der außerdem die Transkriptionen der Texte enthält. Ausgewählte Zitate aus dem Schriftwechsel bilden den Leitfaden der Präsentation. Ausgestellt sind neben dem Briefwechsel 125 Kunstwerke aus der über 2500 Werke umfassenden Orlik-Sammlung des Kunstforums Ostdeutsche Galerie. Es sind Zeichnungen aus Skizzenbüchern, die der Künstler auf seinen Reisen erstellte, aber auch beispielsweise Porträts und Exlibris, die im Zusammenhang mit seiner Korrespondenz stehen. Die Zusammenschau runden auch einige Gemälde ab.
Begleitprogramm und Einladung in Orliks Kaffeehaus
Die Ausstellung eröffnet am Donnerstag, 30. März um 19 Uhr. In der ersten Woche erwarten die BesucherInnen zwei Führungen mit dem Kurator Dr. Sebastian Schmidt: Die 30-minütige Mittagspause im Museum beginnt am Mittwoch, 5. April um 13 Uhr. Am Donnerstag, 6. April, gibt es ab 18.30 Uhr eine Kuratorenführung. Kurzführungen zur Mittagszeit finden alle zwei Wochen mittwochs um 13 Uhr statt. Die regelmäßigen Sonntagsführungen starten jeweils um 15 Uhr. Am Ostersonntag gibt es keine Führung. Mehr über das Postwesen zu Emil Orliks Zeiten erfahren die BesucherInnen am Donnerstag, den 11. Mai, beim Online-Vortrag von Dr. Veit Didczuneit vom Museum für Kommunikation Berlin. Geplant ist ebenso eine Führung mit Gebärdendolmetscherin. Das Programm für Kinder und Familien beginnt mit dem zweitägigen Ferien-Workshop „Fröhliche Ostern wünscht OE! am Dienstag und Mittwoch, 4. und 5. April. In der Werkstatt für Groß und Klein am Samstag, 6. Mai, kann man nach Orliks Vorbild pfiffige Avatare und Namensstempel gestalten. Mitmachführungen für Kinder und Erwachsene bietet das KOG am 14. Mai und am 17. Juni, jeweils um 11 Uhr an.
Eine Kaffeehaus-Ecke, eingerichtet mit Möbelstücken aus dem Fundus des Theaters Regensburg wie zu Emil Orliks Zeiten, lädt dazu ein, bei Kaffee und Kuchen den Kartengruß wieder aufleben zu lassen, der heutzutage oft von Social Media-Kommunikation verdrängt wird. Zur Auswahl gibt es neben Postkarten mit Orliks Motiven auch Blanko-Karten zum Selbstgestalten. Um die Post direkt auf den Weg bringen zu können, stehen Briefmarken sowie die getreue Replik eines Briefkastens von 1865 aus dem Freilandmuseum Oberpfalz zur Verfügung.
AUSSTELLUNGSDATEN
Emil Orlik an Max Lehrs
Künstlerpost aus aller Welt
31.3. bis 18.6.2023
Kurator: Dr. Sebastian Schmidt, Leiter der Grafischen Sammlung
Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie bedankt sich bei den ZuwendungsgeberInnen und den SponsorInnen der Ausstellung.
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