Heute kaum vorstellbar, doch früher gängige Praxis: Ab 1954 bauten die Federseegemeinden Kanalisationen und entließen ihre Abwässer ungeklärt über Gräben in den Federsee. Der See war der enormen Nährstoffzufuhr nicht gewachsen. Nur wenige Jahre später kippte er um. Riesige Mengen an Blaualgen färbten sein Wasser intensiv grün. „Die meisten Tiere und Pflanzen verschwanden, der See verlor seinen hohen naturschutzfachlichen Wert“ bestätigt Jost Einstein. In seiner Studie „Die Auswirkungen von Eutrophierung und Sanierung des Federsees auf die rastenden Schwimmvögel – Ergebnisse aus 72 Jahren Wasservogelzählung“ wertet er systematisch die Bestandsaufnahmen der Wasservögel aus und setzt sie in Bezug zu vorhandenen gewässerkundlichen Daten, wie Nährstoffgehalten, Wasserpflanzen- und Kleintierbeständen.
Vögel als Bioindikatoren
Vögel gelten als gute Bioindikatoren für den Zustand von Lebensräumen, insbesondere von Gewässern. „Veränderungen im Nährstoffhaushalt von Seen wirken sich meist deutlich auf die Rastbestände der Wasservögel aus“ schildert Jost Einstein. Dabei entwickeln sich die Bestände der einzelnen Arten unterschiedlich. Wichtigster Schlüsselfaktor ist die Nahrung. Und weil die Nahrungsbedürfnisse der einzelnen Arten gut bekannt sind, kann man aus der Zu- oder Abnahme der verschiedenen Arten gut auf Veränderungen im Gewässer schließen. Zwar gibt es von vielen Gewässern langjährige Wasservogelzählungen. „Den besonderen Wert der vorliegenden Untersuchung“, so die Leiterin des NABU-Naturschutzzentrums Federsee, Dr. Katrin Fritzsch, „macht jedoch die extrem lange Zeitreihe und Verschneidung der Vogeldaten mit limnologischen Daten aus.“ Für seine Untersuchung konnte Jost Einstein einerseits auf von Gerhard Haas von 1948 bis 1972 gesammelte Wasservogel-Daten zurückgreifen. Seit 1975 zählt er selber zwischen September und April einmal pro Woche die auf dem Federsee rastenden Wasservögel.
Der lange Weg zur Regeneration
Die Studie kommt zum Ergebnis: Die Einleitung der Abwässer hatte für die Natur katastrophale Folgen. Nach dem Bau der Kläranlage und der Abwasserringleitung im Jahr 1981 erholte sich der See zunächst nur sehr langsam. Die Pflanzenfresser unter den Wasservögeln wie Tafelente, Kolbenente, Höckerschwan und Blässhuhn, zeigen, dass sich Wasserpflanzen zwar nach und nach wieder einstellten, aber zeitweise auch wieder völlig verschwanden. Erst 25 Jahre später konnte sich eine Unterwasservegetation dauerhaft etablieren, doch wechselten die Bestände der verschiedenen Pflanzenarten oft sprunghaft. 2008 war dann der Kipppunkt erreicht und der Federsee wandelte sich schlagartig wieder vom algentrüben Gewässer zum von Wasserpflanzen dominierten See. Mit diesem Kippen, das in vielen Ökosystemen nach Erreichen bestimmter kritischer Werte auftritt, war ein großes Fischsterben verbunden, dem mehr als 9 Tonnen Welse, Hechte, Brachsen und Kleinfische zum Opfer fielen. Doch wie die sich von Fischen ernährenden Wasservögel zeigen, hat sich die Fischfauna schnell wieder erholt. Die jährliche Menge an Kleinfischen, die Haubentaucher, Gänsesäger und Kormorane dem See entnehmen, liegt heute bei 4 bis 5 Tonnen. Einen reich gedeckten Tisch finden mittlerweile auch wieder die von Kleintieren lebenden Wasservögel. Schellenten und vor allem Reiherenten sind wieder häufige Gäste. Insgesamt haben sowohl die Artenvielfalt als auch die Individuenzahlen stark zugenommen. Bis zu 3000 Wasservögel kann man den letzten Jahren zwischen Oktober und Februar auf dem Federsee beobachten, darunter auch manche Rarität.
Sensibles ökologisches Gleichgewicht
„Die Vorgänge am Federsee zeigen, wie schnell die Zerstörung eines ökologischen Gleichgewichts durch menschliche Eingriffe geschehen kann. Und wie lange es dauern kann, bis die Schäden wieder behoben sind“ mahnt Einstein. Ob der Federsee jemals wieder in genau den Zustand vor der Abwasser-Einleitung zurückgelangt? Damit sei nicht zu rechnen, so seine Einschätzung. Als der See wieder für Wasserpflanzen besiedelbar wurde, habe die Teichrose das vorübergehende Vakuum genutzt und sich fast über den gesamten See ausgebreitet. Im Sommer bedecken ihre Schwimmblätter heute große Teile der Wasserfläche. Aufgrund der Erderwärmung sind neue Wasserpflanzenarten und auch Kleintiere eingewandert, die es früher bei uns nicht gab. „Der Federsee hat sich in den letzten 15 Jahren wirklich gut erholt. Er scheint sich einem neuen stabilen Gleichgewicht zu nähern. Die weitere Entwicklung bleibt spannend“ resümiert Einstein. Insofern, prophezeit die Leiterin des NABU-Zentrums, bleibe die weitere Fürsorge für den Federsee und seine einzigartige sensible Moorlandschaft eine Herausforderung für die Zukunft.
i: Die Publikation ist Teil des Band 38 der Ornithologischen Jahreshefte für B-W, herausgegeben von der Ornithologischen Gesellschaft B-W. Bezug im NABU-Naturschutzzentrum Federsee.
i: Übermäßige Zufuhr an Nährstoffen in Gewässern führen zu einer explosionsartigen Vermehrung winziger einzelliger Grün- und Blaualgen, die das Wasser grün färben. Im trüben Wasser fehlt den Wasserpflanzen Licht für die Fotosynthese, sie sterben ab. In der Folge verarmt die Vielfalt der an Wasserpflanzen lebenden Kleintiere – und so fehlt letztlich auch vielen Fischen und Wasservögeln die Nahrungsbasis.
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