WAS
Festival „phil intensiv – Schostakowitsch!“
3 Tage – 3 Konzertprogramme
WANN
Sonntag, 5. Februar 2023, 11 Uhr
Montag, 6. Februar 2023, 19:30 Uhr
Dienstag, 7. Februar 2023, 19:30 Uhr
WO
Konzerthaus Glocke
Domsheide 4/5
28195 Bremen
Kaum ein Komponist litt unter politischen Restriktionen und Repressionen so sehr wie Dmitrij Schostakowitsch. Unter Stalin befand er sich quasi im kaum zu ertragenden Dauerspagat zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und dem Gulag. Generalmusikdirektor Marko Letonja lenkt mit dem Festival „Phil intensiv – Schostakowitsch!“ den Fokus auf einen von einem diktatorischen Regime unterdrückten Komponisten, stellvertretend für Millionen Menschen, die in Unfreiheit und Krieg leben müssen. So steht das 6. Philharmonische Konzert der Bremer Philharmoniker mit drei verschiedenen Konzertprogrammen und insgesamt sieben Werken von Dmitrij Schostakowitsch vom 5. bis 7. Februar ganz unter dem Motto: Phil intensiv – Schostakowitsch!
Ein Komponist als Spiegel seiner Zeit: Eine „Geheimgeschichte Russlands“ sah der Cellist Mstislaw Rostropowitsch im symphonischen Schaffen von Dmitrij Schostakowitsch, als „apokalyptischen Soundtrack zum 20. Jahrhundert“ bezeichnete der Musikwissenschaftler Gottfried Blumenstein sein Werk. Vom sowjetischen Politbüro einerseits gefeiert, andererseits von Berufsverbot und Haft bedroht, einerseits die ständige Angst vor Repressionen und andererseits der Drang, sich künstlerisch auszuleben – das Leben von Schostakowitsch glich einem gefährlichen Drahtseilakt und war letztendlich eine Gratwanderung, die seine ohnehin schon fragile Gesundheit ruinierte. In diesem Spannungsfeld komponierte er Werke voller Dramatik, Passion und Authentizität. Die Idee, die ungeheuer faszinierende Musik von Schostakowitsch zum Thema des Festivals „Phil intensiv!“ zu machen, stand für Marko Letonja schon lange auf der Wunschliste. Mit Gästen wie Weltstar Annette Dasch, dem Bass Dimitri Ivashchenko, dem Pianisten Dejan Lazić und – aus den Reihen der Bremer Philharmoniker – Trompeter Thomas Ratzek verspricht Letonja eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk eines für ihn „letzten großen Symphonikers“.
Tag 1
Bestellt war eine „Siegessymphonie“, eine Hymne auf den Diktator Stalin, die ihm anlässlich des Sieges über Nazideutschland huldigen sollte. Doch Schostakowitsch lieferte mit der neunten Symphonie 1945 so ziemlich genau das Gegenteil, allerdings so raffiniert, dass ihm keiner etwas anhaben konnte. Ein Geniestreich! Was für ein Kontrast dazu ist die 14. Symphonie: eine Suite aus elf Liedern, die fast alle um das Thema Tod kreisen. Schostakowitsch war in dieser Zeit schwerkrank. Das Ergebnis ist ein zutiefst erschütterndes Werk.
Das Programm
Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
– Allegro
– Moderato
– Presto
– Largo
– Allegretto
Uraufführung am 3. November 1945 in Moskau
Symphonie Nr. 14 für Sopran, Bass, Streichorchester op. 135
– Adagio. De profundis (Federico García Lorca)
– Allegretto. Malagueña (Federico García Lorca)
– Allegro molto. Loreley (Guillaume Apollinaire nach Clemens Brentano)
– Adagio. Der Selbstmörder (Guillaume Apollinaire)
– Allegretto. Auf Wacht (Guillaume Apollinaire)
– Adagio. Sehen Sie, Madame! (Guillaume Apollinaire)
– Adagio. Im Kerker der Santé (Guillaume Apollinaire)
– Allegro. Antwort der Saporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Guillaume Apollinaire)
– Andante. An Delwig (Wilhelm Küchelbecker)
– Largo. Der Tod des Dichters (Rainer Maria Rilke)
– Moderato. Schlussstück (Rainer Maria Rilke)
Uraufführung am 29. September 1969 in Leningrad (heute St. Petersburg)
Marko Letonja, Dirigat
Annette Dasch, Sopran
Dimitry Ivashchenko, Bass
Tag 2
Die Oper Lady Macbeth of Mzensk von Schostakowitsch missfiel Stalin so sehr, dass der Komponist an den Pranger gestellt wurde. Eine lebenslange Angst vor der Zensur war die Folge. Jahrzehnte später wurde Schostakowitsch jedoch zum „Volkskünstler der UdSSR“ ernannt und seine zehnte Symphonie von der staatstreuen Zeitschrift „Die sowjetische Musik“ als „optimistische Tragödie, bezeichnet, die „durchdrungen vom festen Glauben an den Sieg der lichten, lebensbejahenden Kräfte“ sei.
Das Programm
Fünf Zwischenspiele aus der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“
(Katerina Izmailova) op. 29/114 (a)
– Allegretto
– Allegro con brio
– Largo
– Allegretto
– Presto
Uraufführung am 22. Januar 1934 Leningrad (heute St. Petersburg)
Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll für Klavier, Trompete und Streichorchester op. 35
– Allegro moderato – Allegro vivace – Moderato
– Lento
– Moderato
– Allegro con brio – Presto – Allegretto poco moderato – Allegro con brio
Uraufführung am 15. Oktober 1933 Leningrad (heute St. Petersburg)
Symphonie Nr. 10 e-Moll op. 93
– Moderato
– Allegro
– Allegretto
– Andante – Allegro
Uraufführung am 17. Dezember 1953 in Leningrad (heute St. Petersburg)
Marko Letonja, Dirigat
Dejan Lazić, Klavier
Thomas Ratzek, Trompete
Tag 3
Die erste und die letzte Symphonie von Schostakowitsch spiegeln durch die direkte Gegenüberstellung einen Eindruck von der Entwicklung des russischen Komponisten wider, der wie kein Zweiter für die Errungenschaften und Wiedersprüche der Musik des 20. Jahrhunderts steht. Von jugendlicher Frische ist die erste Symphonie geprägt, das Abschlusswerk eines Musikstudenten, das sofort seinen Siegeszug im Orchesterrepertoire antrat. Die Symphonie Nr. 15 dagegen ist ein abgeklärtes Alterswerk, in dem der schwerkranke, seinen Tod bereits ahnende Schostakowitsch musikalisch nochmal sein Leben musikalisch vorüberziehen lässt.
Das Programm
Symphonie Nr. 1 f-Moll op. 10
– Allegretto – Allegro non troppo
– Allegro
– Lento
– Lento – Allegro molto – Largo – Presto
Uraufführung am 12. Mai 1926 in Leningrad (heute St. Petersburg)
Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141
– Allegretto
– Adagio – Largo (attacca)
– Allegretto
– Adagio – Allegretto
Uraufführung am 8. Januar 1972 in Moskau
Marko Letonja, Dirigat
Pausenphhiller
Die Bremer Philharmoniker laden zu kostenlosen, öffentlichen Proben zu diesem Festival in die Glocke ein. Das beliebte Format „Pausenphiller“ findet statt am: Freitag, 3. Februar, Montag, 6. Februar und Dienstag, 7. Februar, jeweils 11:45 – ca. 13 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, es besteht freie Platzwahl.
Informationen zu Künstlern und Programm / Auszüge aus dem Programmheft
Marko Letonja
Dirigat
Seit Beginn der Spielzeit 2018/2019 ist Marko Letonja Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Bremer Philharmoniker. Marko Letonja ist zudem Artistic Director des Tasmanian Symphonie Orchestra, an dem er zuvor von 2011 bis 2018 Chefdirigent war. Unter seiner Amtszeit gelang es ihm, das Tasmanian Orchestra auf ein neues künstlerisches Niveau zu bringen. So gewann er 2017 für die konzertante Aufführung von Wagners Tristan und Isolde mit Nina Stemme und Stuart Skelton den Helpman Award für das beste Konzert eines Symphonieorchesters. Von 2012 bis 2021 war er Chefdirigent des Orchèstre Philharmonique de Strasbourg. Als Gastdirigent arbeitet Letonja mit den Wiener Symphonikern, den Münchnern Philharmonikern, dem Orchestre de la Suisse Romande, den Hamburger Symphonikern, dem Orchester Filamonica della Scala in Mailand und dem Berliner Radio-Symphonieorchester zusammen sowie mit dem Seoul Philharmonic, dem Mozarteum Salzburg, dem Stockholmer Opernorchester, dem Staatsorchester Stuttgart und dem Orchester Sinfonica di Milano Giuseppe Verdi. Mit einem vielfältigen Repertoire gastiert er des Weiteren u. a. an den Opernhäusern in Wien, Genf, Rom, Dresden, Berlin, Straßburg, München und Lissabon. Zudem ist er gern gesehener Gast in Australien und Neuseeland und wurde 2008 zum Principal Guest Conductor des Orchestra Victoria Melbourne ernannt. Letonja begann sein Studium als Pianist und Dirigent an der Musikakademie von Ljubljana und schloss es 1989 an der Akademie für Musik und Theater in Wien ab. Schon zwei Jahre später wurde er Musikdirektor der Slowenischen Philharmonie in Ljubljana, die er bis zu seiner Ernennung zum Chefdirigenten und Musikdirektor des Sinfonieorchesters und des Theaters Basel leitete. In dieser Zeit begann auch seine internationale Laufbahn als Konzertdirigent.
Annette Dasch
Sopran
Die Berlinerin Annette Dasch zählt weltweit zu den führenden Sopranistinnen unserer Zeit. Sie ist Gast der wichtigsten Opernhäuser und Festivals weltweit. Zu ihren wichtigsten Partien zählen u.a. Marschallin (New National Theater Tokyo), Katia Kabanova (Komische Oper Berlin), Elsa (Bayreuther Festspiele, Mailänder Scala, Bayerische Staatsoper München, Wiener Staatsoper, Oper Frankfurt, Gran Teatre del Liceu Barcelona, Oper Frankfurt), Donna Elvira (Mailänder Scala, Berliner Staatsoper, Bayerische Staatsoper München), Contessa (Royal Opera House Covent Garden London, Teatro Real Madrid, Théâtre des Champs-Elysées Paris, Metropolitan Opera New York, Oper Frankfurt), Armida (Salzburger Festspiele), Rosalinde (Wiener Staatsoper, Bayerische Staatsoper, Deutsche Oper Berlin) und die Csardasfürstin (Oper Zürich). Im Konzert arbeitet sie mit Orchestern wie den Berliner und Wiener Philharmonikern, dem Orchestre de Paris, dem RSB Berlin oder dem Mozarteum Orchester Salzburg sowie mit Dirigenten wie Daniel Barenboim, Sir Colin Davis, Nikolaus Harnoncourt, Kent Nagano, Sir Simon Rattle, Esa-Pekka Salonen oder Christian Thielemann zusammen. Liederabende führen sie regelmäßig u.a. zu der Schubertiade Schwarzenberg, in den Wiener Musikverein, das Wiener Konzerthaus, zum Concertgebouw Amsterdam und in die Wigmore Hall London. Annette Dasch studierte u.a. an der Hochschule für Musik in München. Sie hat zahlreiche CDs veröffentlich und erhielt für ihre CD Armida (SONY) den ECHO für die beste Operneinspielung. Annette Dasch wurde 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Dimirty Ivashchenko
Bass
In Russland geboren, studierte Dimitry studierte zunächst am Glinka-Konservatorium und dann an der Hochschule für Musik in Karlsruhe. Eine der wichtigsten Rollen der Basskarriere – Sarastro (Die Zauberflöte) – spielte er bereits in Berlin, Baden-Baden, Wien, Paris, New York und Aix-en-Provence. Aber auch mit anderen großen Bassrollen ist er international auf der Bühne zu erleben: Die Wagner-Partien sind Pogner (Die Meistersinger) in Chicago, Daland (Der fliegende Hollänger) in Genf und Madrid, Hunding (Die Walküre) in Toronto, Toulouse und bei den Festspielen Baden-Baden sowie Fafner (Das Rheingold & Siegfried) in Paris. Mit Sparafucile (Rigoletto) war er zweimal an der MET sowie in München und Paris sowie bei den Bregenzer Festspielen. Weitere wichtige Rollen sind Vodnik (Rusalka), Osmin (Die Entführung aus dem Serail), Rocco (Fidelio) an der Oper Zürich, Gremin (Eugen Onegin) an der Wiener Staatsoper, Ivan Khovanski (Chowanschtschina), dirigiert von Philippe Jordan und Konchak (Principal Igor) an der Pariser Opera Bastille. Im Konzert sind es vor allem das Verdis Requiem und Beethovens Neunte Symphonie, für die der Künstler mehrfach eingeladen wird, zum Beispiel in Zürich, beim Grafenegg Festival, in Hamburg, von den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Sir Simon Rattle u. a Welttournee sowie von den Wiener Philharmonikern und dem Orchestre de Paris.
Dejan Lasić
Klavier
Dejan Lazićs erfrischende Interpretationen haben ihn zu einem der einzigartigsten und ungewöhnlichsten Solisten seiner Generation gemacht. Er spielt u.a. mit Australian Chamber Orchestra, Budapest Festival Orchestra, City of Birmingham Symphony Orchestra, Royal Concertgebouw Orchestra, Helsinki Philharmonic und NDR Elbphilharmonie Orchestra Hamburg sowie mit den Philharmonischen Orchestern von Seoul und Hongkong. Er pflegt eine enge Zusammenarbeit mit Dirigenten wie z.B. Iván Fischer, Andris Nelsons, Ivan Repušić, John Storgårds oder Krzysztof Urbański. Darüber hinaus dirigiert er zunehmend auch selbst. Im Sommer 2022 trat er beim Gstaad Menuhin Festival mit Sol Gabetta (Violoncello) und Andreas Ottensamer (Klarinette) auf. Weitere Kammermusikpartner sind u.a. die Geiger Joshua Bell und Benjamin Schmid.Auch die Kompositionen von Dejan Lazić erfahren zunehmende Anerkennung. Er wurde 2015 von den Sikorski Musikverlagen als Komponist unter Vertrag genommen. Zu erwähnen sind hierbei vor allem sein „Klavierkonzert im istrischen Stil“, op. 18, die Tondichtung „Mozart und Salieri“ (nach Alexander Puschkin), op. 21 und das „S.C.H.E.rzo“ für Orchester, Op. 25. Dejan Lazić wurde in Zagreb, Kroatien geboren, wuchs in Salzburg auf und studierte am Mozarteum Klarinette, Klavier und Komposition. Entscheidend für seinen künstlerischen Werdegang war die frühe Begegnung mit Zoltán Kocsis und Imre Rohmann sowie der maßgebliche Einfluss von Peter Eötvös. Dejan Lazić lebt in Amsterdam. Seine CD-Aufnahmen wurden mehrfach ausgezeichneten.
Thomas Ratzek
Trompete
Thomas Ratzek, geboren 1976 in Offenau (Baden-Württemberg), erhielt ab dem dritten Lebensjahr Klavierunterricht, bevor er mit 13 Jahren seine Liebe zur Trompete entdeckte. Den ersten Trompetenunterricht erhielt er bei seinem Vater, später bei Georges Lukaczy und während seines Studiums am Konservatorium in Würzburg bei Richard Steuart. 1997 wechselte er nach Karlsruhe zu Professor Reinhold Friedrich. Seit 2000 ist Thomas Ratzek festes Mitglied im Blechbläserensemble „Worldbrass“. Neben Aushilfen in Sinfonieorchestern, wie u.a. dem Radio Sinfonieorchester Frankfurt, SWR Baden-Baden, Saarländischer Rundfunk Saarbrücken, dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn und dem Staatstheater Wiesbaden sind Auftritte als Solist u.a. mit dem Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester von Schostakowitsch (Stuttgarter Philharmoniker) und der deutschen Erstaufführung des Trompetenkonzerts von Alfred Reed eindrucksvolle Belege seiner künstlerischen Karriere. Er war neun Jahre Solo-Trompeter des Landesblasorchesters Baden-Württemberg und ist seit 2003 stellvertretender Solotrompeter der Bremer Philharmoniker.
Als Dirigent leitet Thomas Ratzek seit nunmehr 13 Jahren das Sinfonische Blasorchester Wehdel, mit dem er auch mehrere Dirigentenpreise gewann. Er leitet regelmäßig Workshops für sinfonisches Blasorchester und wird als Gastdirigent bei Auswahlorchestern und Ensembles sowie an das Theater Bremen eingeladen.
Dmitrij Schostakowitsch (1906-1975)
Symphonie Nr. 9 Es-Dur op. 70
Im Frühjahr 1945, als die sowjetische Armee in Deutschland einrückte, erklärte Schostakowitsch gegenüber der heimischen Presse, dass er an einer „Sieges-Symphonie mit einem Lobgesang“ arbeite. Stalin erwartete eine große Neunte mit Chor, und Schostakowitsch ließ prompt die Andeutung fallen, dass es sich um eine Chorsymphonie handeln würde, er aber keinen Vergleich mit einer anderen neunten Chorsinfonie [Beethoven!] anstellen wolle. Was Schostakowitsch im August 1945 vollendete, war daher für alle eine Überraschung, für viele eine Enttäuschung und für andere ein Rätsel. Sie war kurz und voller Humor statt Heldentum. „Ich konnte keine Apotheose auf Stalin schreiben, konnte es einfach nicht“, sagte Schostakowitsch später. „Die Musiker werden es gerne spielen und die Kritiker werden es mit Vergnügen verreißen“. Etwa zwei Jahre lang waren die sowjetischen Kritiker geteilter Meinung über die Neunte. 1948 ging die sowjetische Regierung, die ihre Aufsicht über die Künste während der Kriegsjahre gelockert hatte, erneut hart gegen den „Formalismus“ vor, den sie als elitäres „Catering für die rein individualistischen Erfahrungen einer kleinen Clique von Ästheten“ definierte, während sie das „klassische Erbe“, den „nationalen Charakter“, den „Dienst am Volk“, die „Wahrhaftigkeit und den Realismus“ sowie die „tiefe organische Verbindung mit dem Volk und seinem Erbe an Musik und Volksliedern“ ablehnte. Wie schon 1936 machte Schostakowitschs Bekanntheit ihn zur Zielscheibe, und viele seiner Werke wurden verboten. Obwohl Stalin selbst das Verbot bald aufhob, brachte Schostakowitsch erst nach Stalins Tod 1953 eine weitere Symphonie heraus. Die Neunte wird manchmal als Schostakowitschs klassische Symphonie bezeichnet, und zwar wegen ihrer Kürze, ihrer Form und ihres kammermusikalischen Charakters.
Symphonie Nr. 14 für Sopran, Bass, Streichorchester und Schlagzeug op. 135
Bei Schostakowitschs Symphonie Nr. 14 handelt sich sowohl um einen Liederzyklus als auch um vokale Kammermusik. Aber eine Symphonie? Im traditionellen Sinne sicher nicht. Die Texte sind von tiefster Bedeutung, sind Reflexionen über den Tod, vertont von einem Komponisten, der trotz seines wachsenden Erfolgs in der Post-Stalin-Ära oft genug von Selbstzweifeln geplagt wurde und gesundheitlich wie politisch mehrmals an der Schwelle des Todes stand. Bezüglich der Auswahl der Texte schrieb Schostakowitsch an seinen Freund Isaak Glikman: „Es kam mir in den Sinn, dass es ewige Themen und ewige Probleme gibt, zu denen auch die Liebe und der Tod gehören… Ich begann, die Verse auszuwählen, wobei meine Wahl ziemlich willkürlich ausfiel. Aber es scheint mir, dass sie durch die Musik eine Einheit bilden. Ich komponierte sehr schnell und hatte während des Schreibens der Vierzehnten Symphonie ständig Angst, dass mir etwas zustoßen würde – dass meine rechte Hand nicht mehr funktionieren würde, dass ich plötzlich blind werden würde usw..“
Schostakowitsch schien sich geradezu an das Leben zu klammern. Vor der Uraufführung wandte er sich deshalb mit einer aufrüttelnden Botschaft an das Publikum: „Das Leben [ist] der teuerste Besitz des Menschen. Es wird ihm nur einmal geschenkt, und er sollte so leben, dass er keinen akuten Schmerz beim Gedanken an die ziellos vergeudeten Jahre empfindet oder sich für seine unbedeutende und unrühmliche Vergangenheit schämt, sondern im Moment des Todes sagen kann, dass er sein ganzes Leben und seine ganze Kraft der edelsten Sache der Welt gewidmet hat – dem Kampf für die Befreiung der Menschheit. Ich möchte, dass die Zuhörer dieser Sinfonie erkennen, dass das ‚Leben‘ wirklich schön ist.“
Fünf Zwischenspiele aus der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ (Katerina Izmailova) op. 29/114(a),
Mit ihrer ungeschönten und zuweilen auch drastischen Darstellung von Sex und Gewalt sowie ihrem sardonischen Blick auf die sowjetische Gesellschaft war die Oper Lady Macbeth von Mzensk bei ihrer Uraufführung im Jahr 1934 zunächst ein großer Erfolg. Zwei Jahre später besuchte allerdings der sowjetische Diktator Stalin eine Aufführung, die er alles andere als goutierte. Sein Urteil war verheerend und gipfelte in dem Diktum: „Chaos statt Musik“. In der Folge wurde die Oper zurückgezogen und in der Sowjetunion erst nach Stalins Tod wieder aufgeführt, und selbst dann nur in einer entschärften bzw. eher verschlimmbesserten Fassung. Die fünf Zwischenspiele aus der Oper sind dramaturgische Kondensate der Handlung, weit mehr als nur musikalische Füllsel zur Überbrückung von Umbaupausen.
Klavierkonzert Nr.1 c-Moll für Klavier, Trompete und Streichorchester op. 35
Ursprünglich hatte Schostakowitsch erwogen, ein Trompetenkonzert für den Trompeter der Leningrader Philharmonie, Alexander Schmidt, zu schreiben. Da es sein erstes konzertantes Werk war, fand er die technischen Herausforderungen aber zu entmutigend und fügte ein Klavier hinzu, um ein Doppelkonzert für Trompete und Klavier zu komponieren. Schließlich gewann das Klavier die Oberhand, und die Trompete spielte nurmehr eine wichtige, aber doch untergeordnete Rolle. Die Kompositionszeit von März bis Juli 1933 fiel mit den Vorbereitungen für die erste Inszenierung von Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk zusammen. Zu dieser Zeit konnte Schostakowitsch es sich noch leisten, eine konfrontative Haltung einzunehmen, ohne sich den Zorn der politischen Klasse zuzuziehen. Schostakowitsch setzte sich bewusst von der bisherigen, deutlich gewichtigeren Tradition dieses Genres in Russland ab: „Ich habe es als ein Werk des leichten Genres geschrieben.“ Sein Werk strotzt vor Witz und Sarkasmus, ist klar und transparent, wo die Werke seiner Vorgänger üppig und ausschweifend waren. In den 1920er Jahren hatte Schostakowitsch mit seinen Klavierkünsten seine Familie ernähren können, indem er für Stummfilme spielte. Diese Erfahrung hat offensichtlich auch dieses Stück geprägt. Es ist voller Musik, die aus einem Charlie Chaplin-Film stammen könnte. Obwohl der tonale Charakter manchmal irreführend ist, schrieb Schostakowitsch ein Konzert, das nicht nur sein technisches Können unter Beweis stellt, sondern die Zuhörer auch daran erinnert, dass Virtuosität nicht nur dazu da ist, zu inspirieren, sondern um zu unterhalten. Schostakowitsch selbst spielte die Uraufführung des Konzerts mit den Leningrader Philharmonikern. Danach wurde es zu einem festen Bestandteil seines Repertoires bis in die späten 1950er Jahre, als eine Krankheit die Beweglichkeit seiner rechten Hand beeinträchtigte.
Symphonie Nr. 10 e-Moll op. 93
1948 sah sich Schostakowitsch zusammen mit anderen Komponisten wegen „formalistischer Perversionen und antidemokratischer Tendenzen in der Musik, die dem sowjetischen Volk und seinem Kunstgeschmack fremd sind“, verurteilt. Er reagierte mit einem pathetischen Schuldeingeständnis und rehabilitierte sich im folgenden Jahr mit dem „Lied der Wälder“, einem nationalistischen Oratorium, für das er einen weiteren Stalinpreis erhielt. Nach Stalins Tod im Jahr 1953 hörte die sowjetische Regierung auf, Künstler zu schikanieren, doch zu diesem Zeitpunkt war Schostakowitsch längst traumatisiert und paranoid geworden. Er schien zu ahnen, dass das sowjetische kulturelle Tauwetter nur eine Illusion sein könnte, die sich jeden Moment umkehren konnte. Seine Symphonie Nr. 10 begann Schostakowitsch nur wenige Monate nach Stalins Tod. Sie mutet als eine Art Verarbeitung der traumatischen Ereignisse während der Herrschaft des Diktators an: „Ich habe Stalin in der Zehnten dargestellt. Ich habe sie gleich nach Stalins Tod geschrieben, und noch hat niemand erraten, worum es in der Sinfonie geht. Sie handelt von Stalin und den Stalinjahren. Der zweite Teil, das Scherzo, ist, grob gesagt, ein musikalisches Porträt von Stalin. Natürlich gibt es noch viele andere Dinge darin, aber das ist die Grundlage.“ Die Symphonie war sowohl bei der Uraufführung als auch bei den nachfolgenden Aufführungen in Moskau ein beachtlicher Erfolg. Es war vielleicht unvermeidlich, dass ein so herausragendes neues Werk von der Komponistenvereinigung unter die Lupe genommen wurde, die sich im April 1954 drei Tage lang damit beschäftigte. Schostakowitsch, der es inzwischen verstanden hatte, sich öffentlich für seine Musik zu entschuldigen, räumte diplomatisch ein, dass er im Abstand von einem Jahr gewisse Mängel in dem Werk spürte und dass er einige Dinge vielleicht anders schreiben würde, wenn er es noch einmal machen müsste. Aber er ging nicht so weit, dass er sich bereit erklärte, seine Symphonie tatsächlich neu zu schreiben. Die Hardliner unter den Kommissaren warfen ihm vor, er sei „unrealistisch“ und letztlich pessimistisch, was kaum zu einer hoffnungsvollen sowjetischen Gesellschaft passe. Am Ende der Debatte gelang es jedoch einer liberaleren Fraktion, eine Kompromissposition zu finden, der die Mitglieder der Union zustimmen konnten: das Werk wurde auf höchst merkwürdige Weise als „eine optimistische Tragödie“ definiert.
Symphonie Nr. 1 f-Moll op. 10
Dieses Werk, das Schostakowitsch im Alter von neunzehn Jahren schrieb, bietet sowohl einen Einblick in die Quelle seiner Kreativität als auch einen Ausblick auf sein künftiges Schaffen. Die Symphonie fasst die Jahre des frühen Studiums zusammen und zeigt die ungewöhnliche technische Reife des Komponisten. Die Uraufführung war ein Sensationserfolg, der zweite Satz musste sogar wiederholt werden, so groß war die Begeisterung des Publikums. Schon ein Jahr später dirigierte Bruno Walter die Symphonie in Berlin. Nur Alexander Glasunow war einer der wenigen, die mit der Musik seines Schülers Schostakowitsch wenig anfangen konnte: „Ich finde seine Musik schrecklich. Es ist das erste Mal, dass ich die Musik nicht höre, wenn ich die Partitur lese. Aber das ist unwichtig. Die Zukunft gehört nicht mir, sondern diesem Jungen.“ Nikolai Malko, der die Uraufführung der Symphonie dirigierte, stellte denn auch mit Genugtuung fest, dass es sich um ein ungewöhnliches Werk für einen jungen Musiker handelte, der von der Lehre des Konservatoriums geprägt war. Für Schostakowitschs weitere stilistische Entwicklung durchaus bezeichnend ist die kammermusikalische Struktur. Keine einzige überflüssige Verdoppelung, keine Verwendung von Geräuschen als Requisiten. Das Temperament des Komponisten schlug sich gleichwohl in der Partitur der Ersten Symphonie wieder. Schostakowitsch schlug vor, die Symphonie in 22 Minuten zu spielen. „Je schneller, desto besser“, lautete seine Empfehlung für das Scherzo. Hier brach sich vielleicht auch das Temperament des jungen Schostakowitsch Bahn. Die erste Symphonie ist einfallsreich und überschäumend, wie es sich für ein derartiges jugendliches Werk wohl gehört, doch klingen in der Musik vielfach auch Beklommenheit und bisweilen gar nervöse Panik an.
Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141
Nach Stalins Tod 1953 ließ der Druck auf Schostakowitsch zwar nach, aber die alten Gewohnheiten waren tief verwurzelt. Der Komponist blieb so rätselhaft wie immer. Gegenüber einem jüngeren Komponistenkollegen, Boris Tischtschenko, meinte er: „Ich möchte eine fröhliche Symphonie schreiben.“ Tatsächlich beginnt die Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141 mit einem scherzohaften Satz voller humoristischer Anklänge, doch ab dem zweiten Satz schlägt die Stimmung um: Trauer, Feierlichkeit, Zweifel, Sarkasmus und Todessehnsucht verdichten sich zu einem ergreifenden symphonischen Epilog. Der Komponist, der an einer schweren Herzerkrankung litt, ahnte wohl, dass die 15. seine letzte Symphonie werden würde. Seine späteren Werke, die oft auf verschlüsselte Symbole (wie das DSCH-Thema in der Zehnten Symphonie), auf frühere Werke und auf die Werke anderer verweisen, sind von Anspielungen durchzogen. Schostakowitsch, ein äußerst privater Mensch, hat nur wenige Hinweise hinterlassen. Bei den Proben vor der Uraufführung 1972 murmelte er von einer sorglosen Kindheit und den Stürmen und Belastungen des Erwachsenenlebens. Außerdem verglich er den spielerischen Ton des ersten Satzes mit einem Spielzeugladen, in dem es mechanische Puppen gibt. Es gibt Anspielungen auf Wagner, Rossini, auf populäre subversive Lieder und Anklänge an frühere Symphonien. Im letzten Satz erzeugt eine breite Passacaglia, eine der musikalischen Lieblingsformen von Schostakowitsch, einen spannungsgeladenen Höhepunkt.
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