Wir beobachten mit Sorge, mit wie viel Wucht sich die Berichterstattung zur Silvesternacht zugespitzt hat, wobei die journalistische Sorgfaltspflicht teilweise auf der Strecke bleibt. Die Tendenz, sich auf die (vermeintliche) Herkunft der Täter*innen oder deren Eltern zu fokussieren, schürt Vorurteile, verhindert eine sachgerechte Analyse und verstellt den Blick auf mögliche Lösungsansätze.

Selbstverständlich muss über die Vorgänge in der Silvesternacht berichtet und ihre Ursachen recherchiert werden. Dabei sollten Behauptungen und Rückschlüsse durch eine gesicherte Datenbasis gedeckt sein und nicht auf Spekulationen beruhen. Ein (vermeintlicher) „Migrationshintergrund“ als Erklärungsansatz für Straftaten oder Probleme führt zum Fehlschluss, Kriminalität zu ethnisieren. Zumeist sind andere Faktoren entscheidend, wie Alter, Geschlecht, ökonomische Lage, soziale Milieus, in denen Menschen mit Migrationsgeschichte statistisch stärker vertreten sind. Wenn in Großstädten die Hälfte der jungen Männer einen sogenannten Migrationshintergrund hat und die Vorfälle vorwiegend von jungen Männern begannen werden, ist es kaum verwunderlich, dass sich unter den Täter*innen vielfach als migrantisch gelesene Menschen wiederfinden. Diese Kontexte auszublenden verstößt gegen journalistische Sorgfaltspflicht.

Um Stigmatisierungen zu vermeiden, sollte die Herkunft potenzieller Täter*innen nur genannt werden, wenn diese für das Verständnis der Tat erforderlich ist, was in der Regel selten zutrifft. Ob eindeutige Relevanz für die Geschichte besteht, sollte auf fachkundiger und vergleichbarer Basis entschieden werden. Mit der Herkunftsnennung in der Kriminalitätsberichterstattung sorgsam umzugehen gibt auch der Pressekodex vor.

In der Berichterstattung zur Silvesternacht finden jedoch vor allem Spekulationen auf Basis rassistischer Klischees über bestimmte Stadtteile Gehör, während vergleichbare Vorfälle an anderen Orten weniger Medienaufmerksamkeit erhalten. Das Bedienen von Vorurteilen führt zu mehr rassistischer Hetze und Gewalt. Journalist*innen haben eine demokratische und berufliche Verantwortung, Stigmatisierungen zu vermeiden. Journalist*innen, die Qualitätsstandards wahren möchten, sollten sich nicht von rechten Medien und Akteur*innen vor sich her treiben lassen.

Auffällig ist dabei auch die sehr eingeschränkte Auswahl an "Expert*innen" als Interviewpartner*innen – Menschen, die Bekanntheit durch das Bedienen rassistischer Klischees erlangt haben, sollten nicht bei jedem Nachrichtenformat zu Wort kommen oder mindestens durch eine andere Stimme ergänzt werden.

Für mehr Tipps zu diskriminierungssensibler Berichterstattung und Hinweisen zur Herkunftsnennung empfehlen wir unseren Diversity-Guide: www.mediendiversitaet.de.
Differenzierte Expert*innen für Interviews kann der Mediendienst Integration vermitteln: mediendienst-integration.de/experten 

Über den Neue Deutsche Medienmacher e.V.

Die Neuen deutschen Medienmacher*innen sind ein ehrenamtlicher Verein, der sich für mehr Vielfalt im Journalismus stark macht. Als größte bundesweite NGO von Journalist*innen setzen wir uns für diskriminierungskritische Berichterstattung und divers besetzte Redaktionen ein.

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