Seit dem 24. Februar 2022 sind allein nach Deutschland mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine geflohen. Viele ukrainische Geflüchtete nehmen inzwischen aktiv am Leben in Deutschland teil: 17 Prozent sind in Deutschland bereits erwerbstätig, die Hälfte besucht einen Sprachkurs, und 60 Prozent leben in einer eigenen Wohnung. Die geflüchteten Kinder besuchen Schulen und einige auch Kitas. Während die meisten ukrainischen Geflüchteten planen, nur zeitlich begrenzt in Deutschland zu bleiben, möchte ein Viertel gleichwohl dauerhaft hier leben. Diese Ergebnisse liefert die erste repräsentative Studie über die Lebenssituation von nach Deutschland geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainern, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) vorgelegt haben.
Als häufigstes Motiv für die Wahl Deutschlands als Zielland nannten die Geflüchteten, dass bereits Familienangehörige, Freundinnen und Freunde oder Bekannte hier leben (60 Prozent). 80 Prozent der erwachsenen Geflüchteten sind Frauen, von denen 48 Prozent mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt leben. Nur etwas mehr als 20 Prozent der Frauen kamen mit einem Partner, während dies bei den Männern etwas mehr als 70 Prozent waren.
Hintergrundinformationen zur Studie
Die IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung ist eine Längsschnittbefragung von ukrainischen Geflüchteten. Befragt wurden in der ersten Welle 11.225 ukrainische Staatsangehörige im Alter von 18 bis 70 Jahren, die vom 24. Februar 2022 bis zum 8. Juni 2022 nach Deutschland zugezogen sind und bei den Einwohnermeldeämtern registriert waren. Die Befragung wurde vom Befragungsinstitut infas zwischen August und Oktober 2022 durchgeführt. Der Fragebogen war auf Ukrainisch und Russisch verfügbar und konnte sowohl online als auch auf Papier ausgefüllt werden. Ab Januar 2023 wird eine zweite Welle der Befragung durchgeführt. Finanziert wird die Studie vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Mit der Aktivierung der sogenannten „Richtlinie zum vorübergehenden Schutz“ durch die EU wurde schnell Planungssicherheit geschaffen. 76 Prozent der ukrainischen Geflüchteten haben nach dieser Richtlinie eine zunächst bis März 2024 befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, 18 Prozent eine Fiktionsbescheinigung, die bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird.
Mit der Aufenthaltserlaubnis sowie mit der Fiktionsbescheinigung ist es ukrainischen Geflüchteten möglich, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder Leistungen vom Jobcenter oder Sozialamt zu beziehen. Zudem werden sie mit der Übernahme in das Grundsicherungssystem des Sozialgesetzbuch II im Bedarfsfall schnell in die Förderstruktur der Jobcenter integriert.
Knapp drei Viertel der Befragten leben zum Befragungszeitpunkt in privaten Wohnungen und Häusern, weitere 17 Prozent in Hotels und Pensionen und lediglich 9 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften. Unter den Personen, die in privaten Unterkünften wohnen, leben 60 Prozent dort alleine oder mit ihren ebenfalls geflüchteten Familienangehörigen zusammen, gut ein Viertel bei bereits in Deutschland lebenden Familienangehörigen, Freundinnen und Freunden oder Bekannten.
Überdurchschnittliches Bildungsniveau und hohe Bereitschaft zum Deutschlernen
Überdurchschnittlich viele der Geflüchteten weisen ein hohes Bildungsniveau auf. So liegt das durchschnittliche Bildungsniveau der in Deutschland lebenden erwachsenen Geflüchteten deutlich höher als das der Bevölkerung in der Ukraine: 72 Prozent verfügen über Hochschulabschlüsse oder vergleichbare Abschlüsse (in der Ukraine insgesamt: 50 Prozent).
Nur wenige der Geflüchteten verfügen indes schon über gute deutsche Sprachkenntnisse: Acht von zehn Geflüchteten gaben in der Befragung an, dass sie keine oder eher schlechte Deutschkenntnisse besitzen. Zum Befragungszeitpunkt besuchten gleichwohl 51 Prozent der erwachsenen Geflüchteten einen Deutschkurs oder hatten diesen abgeschlossen. 36 Prozent haben dabei einen Integrationskurs oder ein anderes (Sprach-)Kursangebot des BAMF genutzt. Die Zahl der Kursteilnehmenden ist mit zunehmender Aufenthaltsdauer schnell gestiegen: Zwei Monate nach dem Zuzug besuchten 9 Prozent der Befragten einen Deutschkurs, nach vier Monaten 33 Prozent und nach sechs Monaten 49 Prozent.
Kinder besuchen mehrheitlich deutsche Schulen und teilweise Kitas
Insbesondere Kinder, deren Eltern einen Sprachkurs besuchen oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen, besuchen oft eine Kinderbetreuungseinrichtung. In Familien, in denen Geflüchtete mit einem Kind in Deutschland zusammenleben, haben 22 Prozent der Kinder unter drei Jahren und knapp 60 Prozent der Kinder im Kindergartenalter einen Kita-Platz.
In mehr als 90 Prozent der Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter besucht mindestens ein Kind eine Schule in Deutschland. In knapp einem Viertel dieser Familien wird auch der Online-Unterricht einer ukrainischen Schule genutzt. Der überwiegende Teil dieser – meist schon älteren – Kinder tut dies nur ergänzend zum Schulbesuch in Deutschland, knapp 3 Prozent nutzen ausschließlich ukrainischen Online-Unterricht.
Quote der Erwerbstätigen steigt
Vor dem Hintergrund der kurzen Aufenthaltsdauer ist die Erwerbstätigenquote unter den Geflüchteten sehr hoch: Unter denjenigen Befragten mit einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten und länger haben bereits 18 Prozent einen Arbeitsplatz gefunden. Sechs Monate nach dem Zuzug sind die Erwerbstätigenquoten von Männern (24 Prozent) allerdings deutlich höher als die von Frauen (16 Prozent). Die Erwerbstätigenquoten hängen vom Bildungsniveau ab, bei Frauen spielt eine wichtige Rolle, ob Kleinkinder einen Betreuungsplatz haben. Die Erwerbstätigkeitsquoten steigen auch, wenn sich die Geflüchteten ihren Wohnort frei auswählen konnten. 71 Prozent der erwerbstätigen Ukrainerinnen und Ukrainer üben in Deutschland qualifizierte oder hochqualifizierte Tätigkeiten aus.
Mehrheit fühlt sich willkommen, Unterstützung in vielen Lebensbereichen weiterhin notwendig
Wie geht es Ukrainerinnen und Ukrainern, die in Deutschland Schutz gefunden haben? Knapp die Hälfte der Geflüchteten hat bereits regelmäßig Kontakt zu Deutschen. Ihren Gesundheitszustand bewerten die Befragten als ähnlich gut wie die deutsche Bevölkerung den ihren. Allerdings gibt es Hinweise auf psychische Belastungen der geflüchteten Kinder. Auch die sehr viel geringere Lebenszufriedenheit im Vergleich zur deutschen Bevölkerung weist darauf hin, dass der Krieg die ukrainischen Geflüchteten stark belastet.
Die überwiegende Mehrheit der Befragten (76 Prozent) fühlte sich bei ihrer Ankunft „voll und ganz“ oder „überwiegend“ willkommen in Deutschland. Die Bleibeabsichten sind dagegen sehr unterschiedlich: 34 Prozent wollen nach Kriegsende Deutschland verlassen, 26 Prozent für immer und 13 Prozent für mehrere Jahre oder kürzer in Deutschland bleiben, 27 Prozent können noch keine Aussage treffen.
Die große Mehrheit der ukrainischen Geflüchteten sieht weiter einen hohen Unterstützungsbedarf durch den Staat und andere Akteure. Am häufigsten nennen die Befragten nötige Unterstützung beim Erlernen der deutschen Sprache, bei der Arbeitssuche, bei der Gesundheitsversorgung sowie der Wohnungssuche. Sprachkursangebote und Angebote zur Arbeitsvermittlung werden bereits breit genutzt. Die Daten weisen darauf hin, dass diese und weitere Angebote von zentraler Bedeutung für Integration und Teilhabe sind und weiter ausgebaut werden sollten.
Insgesamt bewerten die Forscherinnen und Forscher von IAB, BiB, BAMF-FZ und SOEP die ersten Erkenntnisse zur Teilhabe angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer als positiv. Das hohe Bildungsniveau, aber auch die rechtlichen und institutionellen Bedingungen in Deutschland und der schnelle Ausbau von Unterstützungs- und Integrationsangeboten erleichtern die Lebens- und Arbeitssituation für ukrainische Geflüchtete. Nun gilt es, diese guten Voraussetzungen in der Praxis so umzusetzen, dass sie bestmöglich für die Teilhabe an Arbeitsmarkt, Bildungs- und Gesundheitssystem und Gesellschaft genutzt werden können. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die große Gruppe an Ukrainerinnen und Ukrainern, die länger oder dauerhaft in Deutschland bleiben möchten. Bei der Weiterentwicklung und dem Ausbau integrationsfördernder Angebote muss aber gleichzeitig auch der hohen Ungewissheit und Heterogenität der Bleibeabsichten Rechnung getragen werden.
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