Die notwendige Transformation des Energiesystems im Zuge der Klimakrise stellt Politik, Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen vor Herausforderungen. Die aktuelle Energiekrise bietet jedoch Chancen für die Beschleunigung der industriellen Transformationsprozesse. Wie schätzen die Akteur*innen der Energiewirtschaft die aktuellen Entwicklungen ein? Wo liegen die Treiber für die industrielle Transformation, wo bestehen Hemmnisse, die beseitigt werden müssen? Und welche Rolle spielt grüner Wasserstoff in den Transformationsprozessen? Diesen Fragen ist eine aktuelle Studie nachgegangen, in der 32 Expert*innen aus dem Energiewende-Großprojekt Norddeutsches Reallabor (NRL) interviewt wurden.

Studie und Ergebnis-Paper sind entstanden im NRL-Teilvorhaben „Industrielle Transformation und gesellschaftliche Teilhabe“, das am Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der Hochschule für Angewandte Wissenschaften angesiedelt ist. Das CC4E befasst sich auf interdisziplinäre Weise mit den Herausforderungen einer zukunftsfähigen Energieversorgung und forscht an technologischen Lösungen wie auch an Fragen zur Akzeptanz und zur gesellschaftlichen Transformation.

Interviewt wurden 32 Expert*innen aus dem NRL-Netzwerk, und zwar sowohl aus der Industrie als auch aus dem Wärme- und dem Mobilitätssektor, der Energieversorgung, der Wissenschaft und den am Projekt beteiligten Politikvertreter*innen.

Dreiklang aus regulatorischen Rahmenbedingungen, Wirtschaftlichkeit und Förderung

Aus Sicht dieser Branchenexpert*innen sind sowohl die Technologien für die industrielle Transformation als auch die Handlungsbereitschaft der Akteur*innen in allen Verbrauchssektoren grundsätzlich vorhanden. Allerdings werden die gesetzten Ziele der Bundesregierung als zeitlich zu ambitioniert bewertet, eine fehlende Verlässlichkeit, um Investitionsentscheidungen zu treffen, kritisiert und die fehlende Technologieoffenheit bemängelt.

Für die Beschleunigung der Transformationsprozesse wurden im Rahmen des Papers wesentliche Einflussgrößen identifiziert: „Im Zentrum steht für die Expert*innen der Dreiklang aus regulatorischen Rahmenbedingungen, Wirtschaftlichkeit und monetärer Förderung. Er wird als zentrale Größe für einen erfolgreichen Markthochlauf von wasserstoffbasierten Sektorenkopplungstechnologien gesehen – und aktuell auch als die größte Hürde“, betont Pia Arndt, Studienautorin und Leitung der NRL-Arbeitsgruppe „Industrielle Transformation, gesellschaftliche Teilhabe & Transfer“.

Durch fehlende Wirtschaftlichkeit werde die Umsetzung von industriellen Transformationsprozessen derzeit massiv behindert. Diese Herausforderung wird durch die aktuelle energiepolitische Lage und die damit einhergehenden Preissteigerungen noch verschärft. Eine Anpassung des regulatorischen Rahmens – Reform der Abgaben und Umlagen im Energiemarkt – kann diese Hemmnisse beseitigen. Um gerade auch im globalen Umfeld wettbewerbsfähig zu bleiben, ist eine Anpassung des regulatorischen Systems den Ergebnissen der Studie zufolge zwingend erforderlich. Auch die Entwicklung eines sektorenübergreifenden Gesamtsystems sowie eine großräumige Zusammenarbeit der Akteur*innen entlang aller Wertschöpfungsstufen sind aus Sicht der Expert*innen wichtige Stellschrauben.

Hier kann das NRL wichtige Dienste leisten: „Im Norddeutschen Reallabor werden Vorhaben zur Sektorenkopplung und zur Erzeugung von grünem Wasserstoff im industriellen Maßstab erprobt. Bereits in der Aufbauphase und der konkreten Projektarbeit können wir Zwischenergebnisse und darauf aufbauend Vorschläge für die Anpassung des regulatorischen Rahmens an die Bundesregierung liefern. Sie sollen dem Ziel dienen, die industrielle Transformation zu beschleunigen.“, so Prof. Dr. Werner Beba, NRL-Projektkoordinator und Leiter CC4E.

Technologieoffenheit & gesellschaftliche Teilhabe

Zudem schreiben die Expert*innen der Technologieoffenheit eine große Bedeutung für die industrielle Transformation zu. So wird grüner Wasserstoff entgegen der medialen Wahrnehmung von den NRL-Akteur*innen nicht als „Allheilmittel“ angesehen, sondern weiterhin ein breiter Mix an nachhaltigen Energieträgern gefordert. Für den Wasserstoff-Markthochlauf wird insbesondere die Bedeutung einer funktionierenden Infrastruktur zwischen Erzeugung und Verbrauch betont, die bislang zu wenig im Fokus stehe. Auch die fortlaufende Einbindung der Bevölkerung in den industriellen Transformationsprozess wird dem Paper zufolge als wichtiger Hebel angesehen.

Das Paper trägt den Titel „Auf dem Weg zur Klimaneutralität: Einflussgrößen für eine gelingende Transformation des Energiesystems“ und kann unter www.norddeutsches-reallabor.de/presse#studien heruntergeladen werden.

Über NRL – Norddeutsches Reallabor

Das Norddeutsche Reallabor (NRL) ist ein innovatives Verbundprojekt, das neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigt. Dazu werden Produktions- und Lebensbereiche mit besonders hohem Energieverbrauch schrittweise defossilisiert – insbesondere in der Industrie, aber auch in der Wärmeversorgung und dem Mobilitätssektor. Hinter dem im April 2021 gestarteten Projekt steht eine wachsende Energiewende-Allianz mit mehr als 50 Partnern aus Wirtschaft, Wis-senschaft und Politik. Das Großprojekt hat eine Laufzeit von fünf Jahren (04/2021-03/2026). Das Investitionsvolumen der beteiligten Partner beträgt 300 Mio. Euro. Das NRL ist Teil der Förderinitiative „Reallabore der Energiewende“ und wird mit rund 52 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Weitere Fördermittel werden durch das BMDV bereitgestellt. Das NRL versteht sich als ausbaufähige Plattform auch für weitere Projekte.

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