So erfreulich die Fortschritte in der Behandlung von Krebs bei jungen Erwachsenen und Kindern auch sind – die Ungleichbehandlung nach der Erkrankung erstreckt sich über viele Lebensbereiche. Gegenstand vieler Beratungsgespräche der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs sind Probleme bei der Aufnahme von Krediten, dem Abschluss von Versicherungen wie Krankenhauszusatz- oder (Risiko-) Lebensversicherungen oder der Verbeamtung. Auch eine Adoption von Kindern wird selbst viele Jahre nach geheilter Krebserkrankung häufig abgelehnt.
Die Betroffenen wünschen sich, dass ihre geheilte Krebserkrankung nach einer angemessenen Zeit „vergessen“ wird und sie dadurch keine Nachteile mehr erfahren. Im Europäischen Parlament besteht jetzt eine Initiative, die zumindest auf dem Gebiet der Verbraucherkredite aus diesem Wunsch Wirklichkeit werden lassen könnte.
Europäische Richtlinie für Verbraucherkredite und das „Recht auf Vergessenwerden“
Am 30.6.2021 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie über Verbraucherkredite[1] vor. Gegenstand der Richtlinie sollen Verbraucherkredite bis 100.000 Euro sein. Immobilienkredite werden Gegenstand einer getrennten Richtlinie sein. Aus dem Europäischen Parlament wurden vier Änderungsvorschläge eingebracht, die die Benachteiligung junger Menschen nach geheilter Krebserkrankung beenden sollen. Sie sind im Bericht des Ausschusses des Europäischen Parlaments für Binnenmarkt und Verbraucherschutz vom 25.8.2022[2] dokumentiert.
Beispielhaft hier der Kernsatz des Änderungsantrags 65. Er zielt auf die Einführung eines neuen Absatzes in die Richtlinie, mit dem ein „Recht auf Vergessenwerden“ für die Betroffenen realisiert werden soll:
„‘Recht auf Vergessenwerden‘ – das Recht von Personen, die einschlägige ansteckende und nicht ansteckende Krankheiten wie Krebs überlebt haben, ihre Diagnose zehn Jahre nach Ende ihrer Behandlung und bei Patienten, deren Diagnose vor dem 18. Lebensjahr gestellt wurde, fünf Jahre nach Ende ihrer Behandlung nicht mehr erklären müssen und nicht mehr anders behandelt werden dürfen als Personen, die bei der Beantragung und beim Zugang zu Finanzprodukten oder -dienstleistungen wie Versicherungen und Darlehen keine solche Diagnose erhalten haben.“
Die Änderungsanträge 22, 121 und 142 zielen in die gleiche Richtung.
In den Änderungsanträgen wird darüber hinaus das „Recht auf Vergessenwerden“ auch auf Versicherungspolicen ausgeweitet, die im Zusammenhang mit Kreditvergaben gefordert werden. Dies betrifft zum Beispiel Risikolebensversicherungen. Nach den Erfahrungen der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist dies in der Praxis ein wichtiger Punkt.
Derzeitiger Stand des Verfahrens zur Richtlinie für Verbraucherkredite
Der Vorschlag der Europäischen Kommission und die Änderungsanträge des Parlaments liegen zurzeit im sogenannten „Trilog“ zur Diskussion und Abstimmung.[3] Beteiligt sind dabei Delegierte der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats mit den Vertretern der Finanz- und Wirtschaftsministerien der EU-Länder. Laut einer kürzlichen Pressemitteilung[4] wurde jetzt eine Einigung erreicht. Soweit der Mitteilung zu entnehmen ist, wird das „Recht auf Vergessenwerden“ zumindest auf den Abschluss von Versicherungen im Rahmen von Kreditvergaben angewendet. Ob das „Recht auf Vergessenwerden“ auch generell auf Kreditvergaben angewendet werden soll, bleibt in der Pressemeldung offen.
Deutsche Vertreter im Europäischen Rat eher ablehnend gegenüber dem „Recht auf Vergessenwerden“
Dr. Françoise Meunier von der European Cancer Patient Coalition[5] berichtete bei einem Treffen mit der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs, dass die deutschen und österreichischen Delegierten des Europäischen Rats der Einführung des „Recht auf Vergessenwerden“ in der Richtlinie eher ablehnend gegenüberstehen. Demgegenüber haben Belgien, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Rumänien bereits entsprechende Regelungen in ihr nationales Recht aufgenommen. Laut Meunier zeigen die Erfahrungen aus Frankreich seit 2016, dass von der Kreditwirtschaft befürchtete Nachteile wie Verteuerungen für die breite Masse der Konsumenten nicht eingetreten sind. Die skeptische Haltung der deutschen und österreichischen Vertreter des Rats sei daher nicht gerechtfertigt.
„Wir wünschen uns sehr, dass die deutschen Vertreter in der Europäischen Kommission das ‚Recht auf Vergessenwerden‘ in der Richtlinie über Verbraucherkredite voll und ganz unterstützen“, sagt Prof. Dr. Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung, und fährt fort: „Krebspatientinnen und -patienten wünschen sich nach ihrer Heilung ein normales Leben. Jegliche Diskriminierung muss ein Ende haben. Das ‚Recht auf Vergessenwerden‘ muss in allen für diese jungen Menschen bedeutsamen Bereichen eingeführt werden.“
So berichtet etwa Doktorandin Claudia, zum Zeitpunkt der Diagnose eines Schilddrüsenkarzinoms 31 Jahre alt, von Diskriminierungserfahrungen beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung: „Ich bin gegen Ende meines Studiums erkrankt und nach Abschluss der Therapie ganz normal in den Beruf eingestiegen. Ich hatte dann aber keine Chance mehr eine Berufsunfähigkeitsversicherung abzuschließen. Es ist total unfair, dass ich wegen einer sechsmonatigen Krankheit in jungen Jahren meine Arbeitskraft nicht mehr absichern kann.“
Stiftung sammelt Erfahrungen junger Betroffener unter #RechtAufVergessenWerden
Die Stiftung bittet junge Betroffene, von ihren Diskriminierungserfahrungen zu berichten und unter den Hashtags #RechtAufVergessenWerden und #righttobeforgotten in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu schaffen. Benachteiligungen sollten laut Stiftung nicht im Dunkeln bleiben.
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Jedes Jahr erkranken in Deutschland nahezu 16.500 junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 39 Jahren an Krebs. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist Ansprechpartnerin für Patient:innen, Angehörige, Wissenschaftler:innen, Unterstützer:innen und die Öffentlichkeit. Die Stiftungsprojekte werden in enger Zusammenarbeit mit den jungen Betroffenen, Fachärzt:innen sowie anderen Expert:innen entwickelt und bieten direkte und kompetente Unterstützung für die jungen Patient:innen. Die Stiftung ist im Juli 2014 von der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. gegründet worden. Alle Stiftungsprojekte werden ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist als gemeinnützig anerkannt.
Spendenkonto der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs:
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[1] Entwurf der Richtlinie vom 30.6.2021: https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:2df39e27-da3e-11eb-895a-01aa75ed71a1.0003.02/DOC_1&format=PDF
[2] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2022-0212_DE.pdf
[3] https://www.europarl.europa.eu/cmsdata/253995/2021%200171(COD)-CCD-%202022%20-%20Articles.pdf
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