„Benedikt XVI. prägte die Welt und die Kirche. Man muss nicht katholisch sein, um sich an die jubelnde Schlagzeile ‚Wir sind Papst!‘ zu erinnern, die in Deutschland zu seiner Wahl im Jahr 2005 erschien. Der deutsche Papst erfüllte viele mit Stolz, vor allem aber mit Hoffnung. Für manche hat sich diese Hoffnung in reichem Maße erfüllt. Für andere blieb die unerfüllte Sehnsucht, durch einen Intellektuellen auf dem Stuhl Petri Antwort auf die Frage zu finden, wie ihr Christsein im 21. Jahrhundert gelingen kann.“ Mit diesen Worten erinnert die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Dr. Irme Stetter-Karp, an den heute im Alter von 95 Jahren verstorbenen emeritierten Papst Benedikt XVI.

„Respekt und Anerkennung für sein Lebenswerk als Gelehrter und interdisziplinär denkender Theologe zollten ihm bei seinem Rücktritt im Februar 2013 alle. Die ganze Welt – auch ich selbst – staunte über diesen Schritt, der vielleicht neue Maßstäbe für das Verständnis des Papsttums gesetzt hat“, so Stetter-Karp weiter.

Benedikt XVI., als Joseph Ratzinger am 16. April 1927 im oberbayerischen Marktl am Inn geboren, sei in Kindheit und Jugend von einem Katholizismus geprägt worden, „der den Alltag bis in jede Faser des Daseins prägte und der sich schon bald vor der Herausforderung des Nationalsozialismus bewähren musste“, sagt die ZdK-Präsidentin. Der 16-jährige Ratzinger wurde als Flakhelfer eingezogen und desertierte kurz vor Kriegsende. Das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte er in Kriegsgefangenschaft. Er war ein Zeuge dieser dunklen Zeit. Er wurde aber auch zum Zeugen der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und später der Wiedervereinigung. „Seine Wahl zum Papst nahm er 2005 nicht zuletzt als einen Auftrag an, den Frieden zu fördern, Schuld nicht zu verleugnen und die Verständigung zwischen Nationen und Religionen zu ermöglichen.“

Früh entschied sich der spätere Papst für eine wissenschaftliche Laufbahn. Er wurde Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an mehreren deutschen Universitäten. Nach kurzer Zeit schon galt er als Innovator, der Vorlesungen über Sinn und Zukunft des Christentums hielt, sich in den Denkgebäuden der Philosophie behände bewegte und zu den enthusiastischen Vordenkern des Zweiten Vatikanischen Konzils zählte. Prof. Thomas Söding, Vizepräsident des ZdK, sagt: „Joseph Ratzinger ist als katholischer Reformer gestartet – weil er nicht die neuscholastische Metaphysik, sondern die Orientierung an der Heiligen Schrift ins Zentrum gerückt hat. Er hat das Zweite Vatikanische Konzil stark beeinflusst, vor allem das Dokument über das Wort Gottes. Er ist zu einem scharfen Kritiker von Theologien geworden, die er als zeitgeistig eingeschätzt hat. Aber er hat nicht auf Denkverbote gesetzt, sondern auf einen Dialog, der – so seine tiefe Überzeugung – dazu führen kann, das Geheimnis des Glaubens tiefer zu ergründen.“

In den späten 1960er Jahren und danach veränderte sich Joseph Ratzinger. Spätestens zum Zeitpunkt des Beginns der Würzburger Synode war klar, dass der Konzilstheologe zu einem Kritiker der Veränderungen geworden war, der dem Geist der Reform misstraute und den der Habitus vieler Reformfreudiger verschreckte.

1977 wurde Joseph Ratzinger Erzbischof von München; 1981 berief ihn Papst Johannes Paul II. als Kurienkardinal zum Präfekten der vatikanischen Glaubenskongregation. Als er 2005 Papst wurde, hatte er bereits das Wort von der „Diktatur des Relativismus“ geprägt, die nichts als endgültig anerkennen wolle. Mit seiner Regensburger Rede über Glaube, Vernunft und Gewalt von 2006 löste er eine temporäre Verstörung in den Beziehungen zur islamisch geprägten Welt aus. 2011 riet er der Kirche eine „Entweltlichung“ an. „Für viele war das irritierend“, so Stetter-Karp.

Ebenso irritierend brachte sich der emeritierte Papst noch einmal in Erinnerung, als er Dezember 2021 Erinnerungslücken dafür verantwortlich machte, zu Missbrauchsfällen aus seiner Zeit als Erzbischof und dann Kardinal in München nichts sagen zu können. Klar wurde durch ein im Januar 2022 veröffentlichtes Gutachten, dass er teils Täter im Amt belassen und lediglich versetzt hatte.

Doch Benedikt XVI. irritierte nicht nur – er faszinierte auch. „Dass ein Papst ein Jesusbuch schreibt, hätte Martin Luther sich nicht träumen lassen“, sagt Thomas Söding zu einer Überraschung des Jahres 2006. „Das Buch ist ein Statement: Es ist möglich, Kirchlichkeit und Wissenschaftlichkeit zu vereinen, wenn die Gottesfrage gestellt wird. Viele meinen, das Buch sei zu konservativ. Aber es trifft den Nerv, weil es voll Herzblut ist“, wertet der Exeget Söding: „Es ist Ausdruck der Freundschaft mit Jesus, der nicht nur eine historische Figur ist, sondern der Auferstandene, der für die Menschen eintritt.“

Söding ist überzeugt: „Joseph Ratzinger war ein konservativer Intellektueller, der für die zeitgenössische Philosophie gerade wegen seiner katholisch-theologischen Prägung zu einem wichtigen Gesprächspartner geworden ist. Ihm war der katholische Glaube ans Herz gewachsen. Diesen tiefen Glauben, den er aus seiner bayerischen Heimat mitnahm in sein Leben, hat er durchdacht und erschlossen – so intensiv, dass es ihm schwerfiel, die Kritik an volkskirchlicher Gewissheit nachzuvollziehen, zumal dann, wenn sie nicht seine eigene intellektuelle Flughöhe hatte.“

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