Vor einer allogenen Stammzelltransplantation zur Behandlung einer Akuten Myeloischen Leukämie (AML) gilt eine Komplettremission bislang als Goldstandard. Eine bundesweite klinische Studie zeigt nun erstmals, dass dieses Vorgehen keinen Vorteil für das krankheitsfreie Überleben und das Gesamtüberleben bringt. Ein alternativer Ansatz aus vorbereitender Therapie und anschließender sofortiger Übertragung der Stammzellen kann Nebenwirkungen verringern und Krankenhausaufenthalte verkürzen. Zu diesem wichtigen Ergebnis kam die von Forschenden des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden und am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) geleitete Studie. Die Studie wurde von der DKMS als arzneimittelrechtlicher Sponsor ermöglicht und organisiert und von der Studienallianz Leukämie (SAL) und der Kooperativen Deutschen Transplantationsstudiengruppe getragen. Prof. Johannes Schetelig, Leiter des Bereichs Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Dresden und Leiter der klinischen Forschungseinheit der DKMS, stellte die Erkenntnisse aus der Studie am 11. Dezember beim weltgrößten Hämatologiekongress – der Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) – in New Orleans (Louisiana) vor.

Bei Patientinnen und Patienten mit einer Akuten Myeloischen Leukämie wird bislang vor einer Transplantation nicht-patienteneigener (allogener) Blutstammzellen versucht, mit einer Hochdosis-Chemotherapie die Erkrankung soweit zurückzudrängen, dass keine Leukämiezellen mehr nachweisbar sind (Komplettremission). In einer groß angelegten bundesweiten Studie, die maßgeblich von der gemeinnützigen Organisation DKMS finanziert worden ist, konnte ein Forscherteam nun erstmals zeigen, dass die bisher angestrebte Komplettremission keinen signifikanten Vorteil für das Gesamtüberleben und das krankheitsfreie Überleben bringt. Vielmehr deutet die Studie darauf hin, dass bei Vorhandensein eines HLA-kompatiblen Spenders (übereinstimmende Gewebemerkmale – human leukocyte antigens – auf der Oberfläche der weißen Blutzellen), eine 12-tägige vorbereitende Chemotherapie mit anschließender sofortiger Transplantation vergleichbare Behandlungsergebnisse bei geringeren Nebenwirkungen und kürzeren Klinikaufenthalten bringt.

„Die Ergebnisse unserer Studie bringen einen internationalen Standard der Leukämietherapie ins Wanken und waren auch für uns überraschend“, betont Studienleiter Prof. Johannes Schetelig. „Sie legen nahe, dass bei Verfügbarkeit eines HLA-kompatiblen Stammzellspenders die Transplantation so schnell wie möglich erfolgen sollte, auch wenn im Körper der Patientin oder des Patienten weiterhin Leukämiezellen nachweisbar sind. Eine sofortige Transplantation ohne zuvor angestrebte vollständige Zurückdrängung der Erkrankung kann Nebenwirkungen insgesamt verringern und Krankenhausaufenthalte verkürzen.“

„Die allogene Stammzelltransplantation ist die effektivste Behandlungsmöglichkeit bei Patienten mit therapieresistenter oder wiederkehrender AML. Die bislang angestrebte vorherige Komplettremission ist selbst mit intensiven Chemotherapien nur bei etwa 50 Prozent der Betroffenen überhaupt erreichbar. Ist die entsprechende Behandlung nicht erfolgreich, erhalten Patienten in Deutschland oft weitere Therapien mit ähnlich unbefriedigenden Erfolgschancen. Alternativ kann auf das Ziel einer Komplettremission verzichtet werden und nach entsprechender Vorbehandlung direkt eine Stammzelltransplantation angeboten werden“, sagt Erstautor Prof. Matthias Stelljes, Leiter des Bereichs Knochenmarktransplantation am Universitätsklinikum Münster. „In anderen Ländern mit weniger umfassender Gesundheitsversorgung erfolgt nach gescheiterter Komplettremission auch aus Kostengründen häufig keine Stammzelltransplantation mehr. Der Verzicht auf diesen kostenintensiven Zwischenschritt könnte somit weltweit mehr AML-Patienten die Möglichkeit einer Stammzelltransplantation eröffnen, die vielfach die einzige Chance auf Heilung bedeutet.“

In der Studie wurden 276 erwachsene AML-Patientinnen und -Patienten behandelt, die aufgrund eines schlechten Ansprechens auf die initiale Chemotherapie oder eines Rückfalls eine allogene Stammzelltransplantation erhalten sollten. Bei allen Erkrankten war bereits ein Spender gefunden oder die Spendersuche weit fortgeschritten. Nach dem Zufallsprinzip wurden die Studienteilnehmenden in zwei etwa gleich große Gruppen eingeteilt. Bei Gruppe 1 wurde in Vorbereitung auf die Transplantation versucht, eine Komplettremission zu erzielen. Bei Patientinnen und Patienten der Gruppe 2 erfolgte bei Vorliegen eines Spenders eine 12-tägige vorbereitende Therapie und anschließende sofortige Transplantation. In der ersten Gruppe konnte bei 46 Prozent der Erkrankten eine Komplettremission erzielt werden. Bei 5 Prozent der Betroffenen wurde ein zweiter Versuch unternommen, mittels hochdosierter Chemotherapie eine Komplettremission zu erreichen, die übrigen Patientinnen und Patienten erhielten ohne diesen weiteren Versuch eine vorbereitende Therapie und Stammzelltransplantation. In Gruppe 1 lag der mittlere Zeitraum bis Transplantationsbeginn bei acht Wochen. In der zweiten Gruppe erfolgte die Transplantation im Mittel nach vier Wochen.

Das leukämiefreie Überleben ein Jahr nach der Transplantation zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen (69 % vs. 71,5 %), ebenso wie das Gesamtüberleben ein Jahr und drei Jahre nach Studieneinschluss (71,9 % vs. 69,1 % und 54,2 % vs. 51 %).

„Die für die AML-Therapie aufgezeigte Perspektive, Nebenwirkungen und Krankenhausaufenthalte bei gleich guten Behandlungsergebnissen zu reduzieren, ist richtungsweisend“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus. „Die aktuelle Studie ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass von der Dresdner Krebsforschung mittlerweile Impulse ausgehen, von denen Patienten weltweit profitieren. Noch vor 25 Jahren hätte das kaum jemand für möglich gehalten!“

Veröffentlichung:

M. Stelljes et al.: In Patients with Relapsed/Refractory AML Sequential Conditioning and Immediate Allogeneic Stem Cell Transplantation (allo-HCT) Results in Similar Overall and Leukemia-Free Survival Compared to Intensive Remission Induction Chemotherapy Followed By Allo-HCT: Results from the Randomized Phase III ASAP Trial. Blood (2022) 140 (Supplement 1): 9–11. https://doi.org/10.1182/blood-2022-159962

Über die DKMS:
Die DKMS ist eine internationale gemeinnützige Organisation, deren Ziel es ist, weltweit so vielen Blutkrebspatient:innen wie möglich eine zweite Lebenschance zu geben. Sie wurde 1991 in Deutschland von Dr. Peter Harf gegründet und sorgt seither dafür, dass immer mehr Patientinnen und Patienten eine lebensrettende Stammzellspende erhalten. In der DKMS sind mehr als 11,5 Millionen potenzielle Spenderinnen und Spender registriert, bis heute hat die Organisation mehr als 100.000 Stammzellspenden vermittelt. Die DKMS ist außer in Deutschland in den USA, Polen, UK, Chile, Indien und Südafrika aktiv.

Durch internationale Projekte und Hilfsprogramme verschafft die DKMS noch mehr Menschen weltweit Zugang zu einer lebensrettenden Therapie. Darüber hinaus engagiert sich die DKMS in den Bereichen Medizin, Wissenschaft und Forschung, um die Heilungschancen von Patient:innen zu verbessern. In ihrem Hochleistungslabor, dem DKMS Life Science Lab, setzt die Organisation weltweit Maßstäbe für die Typisierung potenzieller Stammzellspender:innen, um so das perfekte Match für eine Transplantation zu finden.

Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)

Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. 

Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.

Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 20 Kliniken und Polikliniken, vier Institute und zehn interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.

Mit 1.295 Betten und 160 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 860 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 1.860 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.

Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz zwei im deutschlandweiten Ranking.

Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden

Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:

  • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
  • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
  • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?

Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.

Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.

Über Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg

Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).

Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das Dresdner Zentrum von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet.

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