„Der Zug fährt vor die Wand“ – dieses Gefühl überkommt viele im Hinblick auf Klimakrise und Verlust der Biodiversität. Andere Menschen wiederum hegen grundsätzliche Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen. Beiden Gruppen ist oft nicht klar, wie Wissen überhaupt entsteht und was sie selbst beitragen könnten, um die Situation zu verbessern. Genau an diesem Punkt setzt das von der Klaus Tschira Stiftung ermöglichte Projekt „TRAIN 4 Science – Stell die Weichen für die Zukunft“ der Humboldt-Universität zu Berlin an. Als Motiv für das Computerspiel zum Klimaschutz, das Anna Beniermann und Annette Upmeier zu Belzen aus der Abteilung Fachdidaktik und Lehr-/Lernforschung Biologie mit ihren Kooperationspartnerinnen und -partnern entwickelt haben, dient ein virtueller Zug. Aufgabe ist es, den aufs richtige Gleis zu setzen. In Schulen, bei Veranstaltungen, auf der Straße oder an öffentlichen Orten können Interessierte ab sofort im Spiel ihre individuellen Weichen stellen. Wie das funktioniert, haben wir im Interview mit der Biologiedidaktikerin Anna Beniermann gefragt.

Worum geht es bei „TRAIN 4 Science“?

Anna Beniermann: Wir wollten Kommunikation zu kontroversen Themen der Wissenschaft so gestalten, dass lebhafte Diskurse entstehen. Dazu haben wir uns mit Game-Designern vernetzt. Gemeinsam kamen wir darauf, dass Zielgruppen, die nicht an die Universität kommen oder sich Science Slams anschauen, möglicherweise über Spiele zu erreichen sind. Außerdem waren wir, aus der Biologiedidaktik kommend, natürlich auch daran interessiert, niedrigschwellige Lernspiele und Diskussionsanlässe für die Anwendung in der Schule zu schaffen. Ob uns das gelungen ist, wird sich jetzt in der Praxis zeigen.

Wo findet der Praxistest statt?

In Berliner Schulen, in Fußgängerzonen und auf öffentlichen Plätzen, aber auch im Museum für Naturkunde, bei der Immatrikulationsfeier unserer Universität und als Begleitprogramm in der Neuköllner Oper.

Für welche Themen ist „TRAIN 4 Science“ gedacht?

Potentiell ist das Spiel so konzipiert, dass es als „Hülle“ auch für andere wissenschaftliche Inhalte dienen kann, bei denen Wissen, Einstellungen und Verhalten in der Gesellschaft eine Rolle spielen. In unserer ersten Spielversion dreht sich alles um Klimawandel und Klimaschutz, in Zukunft wollen wir andere gesellschaftlich kontrovers diskutierte Themen, wie Impfungen oder Gentechnik, adressieren.

Wie funktioniert das Spiel?

Jeder und jede Teilnehmende wählt einen virtuellen Zug im Spiel und setzt ihn auf die Schienen. Dann beantworten die Spielenden Fragen, indem sie neue Gleise legen und Hindernisse umfahren. Zunächst gibt es ein paar Wissensfragen, dann geht es weiter zu persönlichen Einstellungen und Handlungsentscheidungen. Beispielsweise gilt es einzuschätzen, inwieweit der Klimawandel die Spielenden selbst überhaupt betrifft und für wie dringlich Maßnahmen zum Klimaschutz gehalten werden. Bei den Handlungsentscheidungen regen knifflige Dilemmata zu Elektro-Autos, veganer Ernährung oder Energiesparen zum Nachdenken an. Für jede Antwort gibt es im Spiel einen Waggon, und am Ende steht ein Ergebnis und die Möglichkeit, weiter am Thema dran zu bleiben. Im Idealfall soll das Spiel dazu anregen, in Gruppen über das Thema zu diskutieren.

Was zeigt die Praxis?

Unsere ersten praktischen Erfahrungen – beispielsweise bei der Langen Nacht der Wissenschaft und im Museum für Naturkunde Berlin sowie in Schulen – zeigen, dass es tatsächlich funktioniert. Uns geht es vor allem darum, dass sich die Mitspielenden bewusst werden, wie sie persönlich zum Thema Klimawandel stehen und welche klimarelevanten Entscheidungen sie in ihrem Alltag treffen. Richtig gefreut hat uns das ausführliche Feedback vor allem der jungen Spielerinnen und Spieler, als sie mitbekommen haben, dass sie so zur Verbesserung eines Forschungsspiels beitragen können. Auch das ist schon ein wichtiger Schritt, um vom Wissen ins Handeln zu kommen.

Was hat Sie überrascht?

Die Vielfalt der Reaktionen und die Begeisterung. Viele Eltern und Großeltern sind mit den Kindern ins Gespräch gekommen und waren überrascht, wie viel diese schon über Klimawandel und -schutz wissen. Und überall gab es intensive und auch kontroverse Diskussionen, insbesondere über die Handlungsfragen. Und das ist letztlich genau das Ziel: Dialoge und Diskussionen in der Gesellschaft anzustoßen.

Wie kamen Sie darauf, die Klaus Tschira Stiftung wegen einer Förderung anzufragen?

Die Klaus Tschira Stiftung ist mir im Laufe meiner wissenschaftlichen Karriere immer wieder als wichtiger Akteur in der Wissenschaftskommunikation begegnet. Ich wusste, dass die Stiftung auch mutig Projekte und Ideen fördert, die innovativ sind, aber sich erst noch entwickeln müssen.

Wie kamen Sie auf das Motiv der Bahn?

Zugfahren ist in die Zukunft gerichtet, dynamisch und zudem noch klimafreundlich. Das selbstständige Weichenstellen ist eine schöne Metapher fürs eigene Handeln. Außerdem gibt es da noch im Englischen das Wortspiel mit „train“ als Zug, aber auch als „trainieren“, das schien uns sehr stimmig, weil wir ja Wissen kommunizieren und Menschen fit für Entscheidungen in wissenschaftlichen Kontexten machen wollen.

Wie geht es weiter?

Ende des Jahres wird „TRAIN 4 Science“ auch als App frei zur Verfügung stehen und dann hoffentlich noch größere Verbreitung erfahren.

Über Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de

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