Den Aufruf finden Sie als PDF ( https://digitalcourage.de/sites/default/files/2022-10/Chatkontrolle_stoppen_Aufruf.pdf ), als Volltext unter dieser E-Mail sowie auf der Website der Kampagne „Chatkontrolle stoppen“: https://chat-kontrolle.eu/
Die Pläne würden massiv in die Grundrechte der gesamten europäischen Bevölkerung eingreifen und eine dystopische Überwachungsinfrastruktur etablieren. Statt tatsächlich den Schutz von Kindern, also Prävention und Opferschutz in den Mittelpunkt ihrer Maßnahmen zu stellen, setzt die Kommission auf eine vermeintliche „technische” Lösung, die Überwachung in demokratiegefährdendem Umfang ermöglicht.
Die Kampagne „Chatkontrolle stoppen” wendet sich entschieden dagegen und fordert von den politisch Verantwortlichen von diesen Plänen Abstand zu nehmen.
Tom Jennissen, von der Digitalen Gesellschaft e.V.:
„Wir fordern die gesamte Bundesregierung und insbesondere das verhandlungsführende Bundesinnenministerium auf, entschieden gegen die dystopischen Pläne zur Chatkontrolle einzutreten. Sie muss endlich ihren Einfluss im Europäischen Rat geltend machen um die Verordnung zu verhindern."
Konstantin Macher, Digitalcourage e.V.:
„Die Chatkontrolle ist ein radikales und fehlgeleitetes Überwachungsinstrument und die EU-Kommission muss einsehen, dass ihre Pläne mit einer demokratischen Gesellschaft im digitalen Zeitalter unvereinbar sind. Es kann kein freies Internet geben wenn private Kommunikation gescannt und der öffentliche Diskurs gefiltert wird. Und für den Kinderschutz wäre es sogar kontraproduktiv wenn Strafverfolgungsbehörden statt gezielter Ermittlungsarbeit stapelweise Akten legaler Kommunikation sichten müssen, die durch Falschverdächtigung der KI-Überwachung entstehen.“
Hintergrund:
Im Mai hat die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch vorgelegt. Der Vorschlag sieht unter anderem vor, Kommunikations- und Hostingdiensteanbietern dazu zu verpflichten, sämtliche Inhalte aller Nutzenden nach verdächtigem Material zu durchleuchten und Verdachtsfälle an eine zentrale Stelle weiterzuleiten. Das würde bedeuten, dass beispielsweise Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal private Chats aller Nutzer.innen durchsuchen müssten. Auch Maßnahmen wie verpflichtenden Alterskontrollen oder Netzsperren werden vorgeschlagen.
Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation ist im Verordnungsvorschlag ausdrücklich nicht ausgenommen. Das Durchleuchten verschlüsselter Kommunikation ist aber technisch nur möglich, wenn die Verschlüsselung insgesamt gebrochen oder untergraben wird – etwa indem das eigene Gerät mittels Technologien wie Client-Side-Scanning zur Überwachung genutzt wird.
Da sämtliche elektronische Kommunikation – von Messengerdiensten über E-Mail bis zur Sprachtelefonie (betreffend „Grooming“) – sowie Hosting betroffen sein kann, würde dies zu einem faktischen Ende des elektronischen Brief- und Fernmeldegeheimnisses führen. Umsetzbar wäre dies nur durch den Aufbau einer umfassenden technischen Infrastruktur, die nicht nur fehler- und missbrauchsanfällig ist, sondern auch jederzeit um weitere Deliktsfelder erweitert werden kann.
Digitale Gesellschaft
Die Digitale Gesellschaft e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit seiner Gründung im Jahr 2010 für Grundrechte und Verbraucherschutz im digitalen Raum einsetzt. Zum Erhalt und zur Fortentwicklung einer offenen digitalen Gesellschaft engagiert sich der Verein gegen den Rückbau von Freiheitsrechten im Netz, gegen alle Formen von Überwachung und für die Realisierung digitaler Potentiale bei Wissenszugang, Transparenz, Partizipation und kreativer Entfaltung.
Aufruftext
Chatkontrolle STOPPEN!
Kinderschutz statt Massenüberwachung
Die EU-Kommission möchte Messenger und viele andere Internetdienste dazu zwingen, unsere Nachrichten und Onlineinhalte zu überwachen – und damit unsere freie und private Kommunikation untergraben. Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden Kinder nicht besser schützen. Stattdessen verengen sie den Blick auf technokratische Überwachungsinstrumente, die unverhältnismäßig unsere Grundrechte einschränken. Mit der Chatkontrolle wird ein Überwachungspaket geschaffen, das sich gegen die gesamte Bevölkerung der EU richtet.
Der Verordnungsvorschlag der EU ist ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte und nimmt uns die Möglichkeit, selbstbestimmt über unser Leben mit Technik zu entscheiden. In Zukunft sollen Behörden unsere Familienchats kontrollieren und entscheiden, welche Apps wir installieren können. Uploadfilter sollen maßregeln, was wir auf sozialen Medien schreiben und im Internet teilen dürfen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wird untergraben. Das bedroht insbesondere unser Recht auf vertrauliche private und freie öffentliche Kommunikation. Davon sind im digitalen Zeitalter auch andere Grundrechte wie Presse- und Versammlungsfreiheit abhängig und gefährdet.
Eine technische Umsetzung des Gesetzes ist nur durch den Aufbau einer beispiellosen und undurchsichtigen Überwachungsinfrastruktur möglich, die nicht demokratisch kontrollierbar ist. Die Verantwortung dafür wälzt die EU-Kommission auf private Unternehmen ab und zwingt sie, die Sicherheit und Privatsphäre ihrer Dienste drastisch einzuschränken. Private Nachrichten sollen durch eine fehler- und missbrauchsanfällige „künstliche Intelligenz“ überwacht werden. Das wird unzählige Falschmeldungen von legitimer und legaler Kommunikation erzeugen. Dabei werden Unschuldige in den Fokus der Sicherheitsbehörden gerückt. Das bindet auch Kapazitäten, die für gezielte und effektive Ermittlungen gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder genutzt werden müssten.
Die Chatkontrolle gefährdet insbesondere Personen und Organisationen, die vorrangig auf vertrauliche Kommunikation angewiesen sind: Geschäftsgeheimnisse, ärztliche Schweigepflicht, Anwält*innengeheimnis, journalistischer Quellenschutz, Seelsorge, gewerkschaftliche Aktivitäten, Start-Ups, politischer Protest. Die Sicherheit und Vertraulichkeit der Kommunikation von uns allen werden untergraben und damit zentrale Stützen der Zivilgesellschaft ausgehöhlt. Jugendliche können nicht mehr sicher kommunizieren und Opfern sexualisierter Gewalt wird eine wichtige Möglichkeit genommen, sich vertraulich Hilfe zu suchen.
Wir fordern von allen politisch Verantwortlichen, dass sie den Schutz der freien Meinungsäußerung, der Privatsphäre und der Sicherheit im Internet für alle Menschen sicherstellen, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche. Das blinde Vertrauen in vermeintliche technische „Lösungen“ wird Kinder nicht schützen. Stattdessen muss die EU-Kommission zielgerichtete Alternativen vorlegen und die nötigen Mittel für Prävention und Opferschutz zur Verfügung stellen. Das Überwachungspaket mit der Chatkontrolle wird eine Überwachungsinfrastruktur dystopischen Ausmaßes schaffen und muss verhindert werden.
Digitalcourage engagiert sich seit 1987 für Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter. Wir sind technikaffin; doch wir wehren uns dagegen, dass unsere Demokratie „verdatet und verkauft“ wird. Wir klären auf und mischen uns in Politik ein. Digitalcourage ist gemeinnützig, finanziert sich durch private Spenden und lebt durch die Arbeit vieler Freiwilliger.
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