Die Passagiernachfrage blieb im ersten Quartal dieses Jahres noch deutlich hinter den Prognosen zurück. Grund war das Aufkommen der Omikron-Variante. Steigende Inzidenzen verbunden mit Reisewarnungen und -restriktionen führten in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 zu einem deutlichen Einbruch der Nachfrage. Erst nach einer Rücknahme des größten Teils der Reisewarnungen zog Ostern 2022 die Nachfrage an – dann allerdings sprunghaft: Lag der Anteil des Flugangebots im 1. Quartal noch bei 51 Prozent des Angebots von 2019, stieg er mit dem Sommerflugplan um 24 Prozentpunkte an auf 75 Prozent von 2019.

„Eine so deutliche Abweichung der realen Nachfrage gegenüber den Planungen und Vorhersagen ist beispiellos. Das volatile Infektionsgeschehen und das damit verbundene Hin und Her bei Reisebeschränkungen und Reisewarnungen hat eine verlässliche Kalkulation des Reiseverhaltens unmöglich gemacht“, sagt Jost Lammers, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL).

Die Folge: Die nach Ostern sprunghaft ansteigende Nachfrage stieß auf Engpässe beim Personal und im Luftraum. Durch die kriegsbedingten Luftraumsperrungen in Russland und der Ukraine und aufgrund technisch reduzierter Kapazitäten der französischen Flugsicherung müssen im deutschen Luftraum derzeit deutlich mehr Überflüge abgewickelt werden. Zudem fehlt an vielen Stellen Personal. Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter ist durch eine weitgehende Vollbeschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt erheblich erschwert. „Hinzu kommt, dass viele Beschäftigte während der Corona-Pandemie aufgrund unsicherer Zukunftsperspektiven die Unternehmen verlassen haben und in andere Branchen gewechselt sind“, so Lammers. 

Um die Situation langfristig zu verbessern, braucht es strukturelle Reformen. Lösungen sieht Lammers in einem erleichterten Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen aus Drittstaaten, einer beschleunigten Verwaltungspraxis der Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie einer organisatorischen und technischen Weiterentwicklung der derzeit staatlich durchgeführten Sicherheitskontrollen. Darüber hinaus will die Branche die Abläufe beim Check-in, beim Boarding und perspektivisch auch bei den Grenzkontrollen mittels Digitalisierung und Biometrie beschleunigen.

Die Verkehrsentwicklung während der Corona-Pandemie hat zudem Änderungen der Reiseströme hinterlassen. Dies gilt insbesondere für den innerdeutschen Luftverkehr. ​Laut Verkehrsstromanalyse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) blieb beim Wiederanziehen der Verkehrsnachfrage der innerdeutsche Luftverkehr mit Start und Endziel in Deutschland mit nur noch 24 Prozent der Passagiere von 2019 überproportional zurück. Dies ist insbesondere auf eine Verlagerung auf die Schiene zurückzuführen, die durch den intermodalen Ausbau der Netze maßgeblich vorangetrieben wird.

Die Ergebnisse im Einzelnen: 

  • Passagierverkehr: Trotz der gestiegenen Nachfrage im ersten Halbjahr, blieb der Passagierluftverkehr unter dem Vorkrisenniveau von 2019 zurück. Das Passagieraufkommen an deutschen Flughäfen erreichte durchschnittlich 59 Prozent im Vergleich zum 1. Halbjahr 2019, das Niveau des Flugangebotes von/nach/in Deutschland lag bei 65 Prozent. Der deutsche Luftverkehr entwickelte sich damit im Vergleich zu anderen europäischen Staaten langsamer (Griechenland 97 Prozent, Türkei 88 Prozent, Spanien 86 Prozent). Eine wesentliche Ursache waren die insbesondere in Deutschland im ersten Quartal noch anhaltenden Reisewarnungen („Omikron-Variante“).

Auch der Interkontinental-Verkehr war noch geprägt von strengen Reisebeschränkungen und Lockdowns in Asien. 

Die langanhaltenden Corona-Schutzmaßnahmen in Deutschland sowie die Zunahme an Privat- und Urlaubsreisen führten dazu, dass große Netz-Fluggesellschaften wie IAG oder Turkish Airlines im ersten Halbjahr ihr Angebot schneller ausweiten konnten als deutsche Airlines. Darüber hinaus gab es auch Verschiebungen in der Kundenstruktur: Der in Deutschland traditionell hohe Anteil der Geschäftsreisenden kommt nur langsam zurück. Dagegen erlebten die Privat- und Urlaubsreisen nach zwei Jahren Pandemie einen Boom, was sich in der dynamischen Entwicklung des Luftverkehrs gerade in den südeuropäischen Staaten zeigt.
Im europäischen Verkehr lagen die Lowcost-Fluggesellschaften wie Ryanair und Wizz Air im ersten Halbjahr, verglichen mit ihren europäischen Wettbewerbern, bereits über dem Angebot 2019.  ​ 

  • Streckennetz: Im deutschen Luftverkehr wurden am Ende des ersten Halbjahres 92 Prozent der Strecken des Jahres 2019 wieder bedient, gleichzeitig lag das Sitzplatzangebot bei 75 Prozent. Insbesondere im innerdeutschen Verkehr gab es erhebliche Veränderungen: Der Rückgang von Geschäftsreisen in Deutschland machte sich im dezentralen Flugverkehr zwischen den deutschen Städten bemerkbar (ohne Frankfurt / München): Im Juni 2022 wurden nur 29 Prozent der Sitze von Juni 2019 angeboten und auch das Netz ist nicht so dicht wie 2019. Dagegen ist das Netz zu den Drehkreuzen Frankfurt und München wieder hergestellt, allerdings ebenfalls mit einem geringeren Angebot an Sitzen.
  • Frachtverkehr: Bei den Frachtfluggesellschaften hat sich die Nachfrage nach einem sehr starken Jahr 2021 etwas abgeschwächt, liegt aber dennoch 8 Prozent über dem Niveau von 2019. Zu dieser leicht gedämpften Entwicklung beigetragen haben sowohl die Verunsicherung durch den Ukraine-Krieg, aber auch Einreisebeschränkungen und Lockdowns in China sowie Personalengpässe in Deutschland. Die deutschen Frachtflughäfen können sich aber insgesamt im europäischen Markt gut behaupten.   
  • Flugbewegungen: Die Flugbewegungen lagen im ersten Halbjahr 130 Prozent über dem Vergleichszeitraum 2021 und hatten Engpässe im deutschen Luftraum zur Folge. Dabei ist der Anteil der Überflüge deutlich von 36 auf 42 Prozent angestiegen. Dies ist zum einen auf die kriegsbedingten Sperrungen des Luftraums über Russland, Belarus und der Ukraine zurückzuführen. Zum anderen mussten Überflüge aus dem französischen Luftraum in den deutschen Luftraum verlagert werden, da aufgrund technischer Neuinstallationen Teile des französischen Luftraums für einen längeren Zeitraum vorübergehend nicht nutzbar waren.
  • Treibstoffpreise: Die Kerosinpreise haben sich seit dem Angriff auf die Ukraine verdoppelt und in den letzten zwei Jahren mehr als verdreifacht. Der Treibstoffpreis entkoppelte sich ab Februar 2022 sogar von den Rohölpreisen und stieg noch stärker an. Treibstoffkosten betragen im Normalfall ca. 25 bis 35 Prozent der Kosten einer Fluggesellschaft und sind damit ein entscheidender Kostenfaktor. Die Entwicklung des Treibstoffpreises wirkt sich folglich auf die Flugpreise aus.​ 

Anmerkung: Abweichend zu früheren Halbjahresberichten werden in diesem Jahr nicht die Vorjahreswerte als Referenz herangezogen, sondern die Werte des Jahres 2019. Ein Vergleich der Jahre 2020 und 2021 würde keine verwertbaren Ergebnisse liefern.

Hintergrund: Zweimal im Jahr legt der BDL Kennzahlen zur Lage der deutschen Luftverkehrswirtschaft vor und ordnet diese anhand von internationalen Vergleichszahlen ein. Für den Halbjahresbericht zieht der BDL unterschiedliche aktuelle Quellen heran: die konsolidierten Zahlen der BDL-Mitgliedsunternehmen sowie Daten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Über den Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e.V.

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) wurde 2010 als gemeinsame Interessenvertretung der deutschen Luftverkehrswirtschaft gegründet. Mitglieder des Verbandes sind Fluggesellschaften, Flughäfen, die DFS Deutsche Flugsicherung, Retail-Betriebe und weitere Leistungsanbieter im deutschen Luftverkehr.

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