Riesendefizite in den Krankenkassen und die Pandemie scheint noch immer eine größere Rolle zu spielen als nötige Reformen. Dabei muss Deutschland u.a. in Sachen Digitalisierung dringend nacharbeiten, um den Weg in eine „gesunde“ Zukunft zu ebnen.

Die Kritik, Herr Lauterbach sei mehr Corona-Minister als Gesundheitsminister, steht schon seit Längerem im Raum. Nötige Reformen bleiben aus, die Löcher in der Kranken- und Pflegeversicherung sind kaum zu stopfen. Die Aufgabe, diese Defizite in den Griff zu bekommen und das deutsche Gesundheitssystem insgesamt an die heutige Zeit anzupassen, ist eine Mammutaufgabe. Aber in einem System, das derart hohe Gesundheitsausgaben pro Kopf hat, muss diese Aufgabe doch zu bewältigen sein, so Sigal Atzmon, CEO von Medix Global und internationale Expertin im Bereich Gesundheitsmanagement. Dennoch drohen immense Beitragserhöhungen aufgrund von COVID 19, bei deren Berechnungen noch nicht einmal der Ukraine-Konflikt und die zu erwartende Herbst-Flaute im Arbeitsmarkt berücksichtigt sind. Laut GKV-Spitzenverband fehlen bis Ende 2024 rund 7,3 Milliarden Euro in den Kassen.

Das deutsche Gesundheitssystem ist seit Jahren mehr oder weniger reformfrei – viele Stimmen sehen das kritisch. Ohne Investitionen kein Umschwung, das gilt auch für die Digitalisierung. Hat der Patient beispielsweise die Möglichkeit all seine vergangenen Behandlungs- und Untersuchungsergebnisse digital an einem Ort zu speichern – wie eigentlich bei der elektronischen Patientenakte (ePA) angedacht – können diese Daten mit Hilfe künstlicher Intelligenz zur Vorsorge und Früherkennung von Krankheiten, insbesondere für Risikogruppen, genutzt werden. Die Empfehlungen könnten dann entweder digital mit den Ärzten und Ärztinnen eines Gesundheitsdienstleisters oder im persönlichen Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin besprochen werden. So bliebe auch die persönliche Kommunikation zwischen Patienten und (Haus-)Arzt nicht auf der Strecke.  Zudem könnten durch das einfache Teilen vergangener Behandlungs- und Untersuchungsergebnisse mit dem behandelnden Arzt Diagnosen sogar früher oder genauer gestellt werden, passende Behandlungsmöglichkeiten gefunden und Leidenszeiten verkürzt werden. Dennoch befürchten immer noch 46 Prozent der ambulanten Ärzte und Ärztinnen den Verlust des persönlichen Kontakts zum Patienten.

Doch statt die Digitalisierung und Modernisierung des Gesundheitswesen voranzutreiben, hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) die Anzahl der erlaubten digitalen Sprechstunden erst kürzlich wieder begrenzt. Dabei könnte genau diese Art der (Erst-)Behandlung gleichzeitig ein Teil der Lösung für die Arztflaute in ländlichen Räumen sein. Häufig steht auch der Datenschutz digitalen Neuerungen im Weg, wie beispielsweise bei der Einführung der elektronischen Patientenakte, der „ePA“. Dabei zeigen Erfahrungen aus anderen Ländern wie bspw. Israel durchaus, dass eine Umsetzung möglich ist und dabei sowohl Patient*innen als auch Ärzt*innen erhebliche Vorteile und Erleichterungen bringen kann. Auch das Gesundheitssystem an sich kann durch präzisere Diagnosen und passendere Behandlungen entlastet werden – weniger (unnötige) Behandlungen führen zwangsläufig auch zu sinkenden Ausgaben bei gleichwertigen Behandlungsergebnissen.

Selbstverständlich handelt es sich bei den persönlichen Gesundheitsdaten um hochsensible persönliche Daten, woraus höchste Ansprüche an den Datenschutz folgen, doch: „Datenschutzrechtliche Probleme sind da, um gelöst zu werden. Sonst bleibt Deutschland im internationalen Vergleich auf der Strecke“, so Atzmon. Die angedachten 100 Milliarden Euro Investment in das deutsche Gesundheitssystem über die nächsten drei Jahre sollten dringend umgesetzt werden, so die Expertin, und zwar nicht nur um die Löcher der Kassen zu stopfen, sondern auch um einen funktionierenden Plan der Digitalisierung im ambulanten und stationären Bereich aufzustellen. Nur so könne ein ganzheitlicher und qualitätsorientierter Ansatz entstehen, der nachhaltige Vorsorge- und Pflegedienstleistungen garantiert. „Digitale Lösungen wie eine persönliche App sind hierbei nicht der Feind, sondern der Inkubator für eine gesunde Arzt-Patient-Beziehung. Denn wenn ich meine Risiken oder den Verlauf meiner Krankheit genau kenne, kann ich viel intensiver ins Gespräch mit meinem Hausarzt gehen. Und diese Art der vollen Transparenz ist nur durch eine gut geplante Digitalisierung erreichbar.“

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