Für junge Betroffene ist die Krebsdiagnose ein fundamentaler Einschnitt in ihre gesamte Lebens- und Zukunftsplanung. In der Öffentlichkeit, aber auch bei den Ärzt:innen und in der Politik ist jedoch häufig zu wenig im Blick, dass es sich um sehr viele unterschiedliche Erkrankungen handelt, die entsprechend auch sehr unterschiedliche Therapien benötigen. Glücklicherweise können über 80 Prozent der jungen Betroffenen von ihrer Erkrankung geheilt werden.
Doch viele Fragen bleiben: Wie sieht das Leben danach aus? Was kann getan werden, um mögliche Langzeitfolgen früh zu erkennen oder ihr Eintreten zu verhindern? Können die Betroffenen eine Familie gründen? Ihre Ausbildung abschließen? In den Traumjob durchstarten oder zurückkehren?
Leider gibt es in Deutschland, für einen modernen Forschungs- und Wissenschaftsstandort, zu all diesen Fragen noch viel zu wenig Antworten. Befragungen von Betroffenen weisen allerdings darauf hin, dass die Erkrankung und ihre Behandlung zu längerfristigen Beeinträchtigungen von Lebensqualität und Lebenszufriedenheit führen können. Hierbei stehen nach den Ergebnissen der Befragungen, aber auch nach den Erfahrungen der Stiftung vielfach soziale oder finanzielle Probleme, Fragen der Berufstätigkeit und der Wiederaufnahme des Berufes sowie Fragen rund um den Bereich von Familie und Familienplanung im Vordergrund.
Das bestätigt auch Alena. Die junge Lehrkraft für Pflegeberufe erkrankte mit 30 Jahren an Darmkrebs und sah sich plötzlich mit großen Herausforderungen konfrontiert: „Als ich die Diagnose bekam, war ich beruflich in einer schwierigen Situation. Ich wollte wissen, wie es anderen in meinem Alter in so einer Situation geht. Und da ich einfach keine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Rückkehr in den Beruf nach einer Krebserkrankung in jungem Alter gefunden habe, war für mich klar, dass sich da etwas ändern muss. Also habe ich für meine Abschlussarbeit im Bereich Gesundheitspsychologie & Pflege selbst geforscht und Statistiken erhoben. Ich glaube es ist nur logisch, dass man mehr im Bereich ‚Jung & Krebs‘ forschen sollte, ganz unabhängig vom Thema. Wissenslücken gibt es zur Genüge.“
Nach wie vor mangelt es genau in diesen Bereichen an systematischen Untersuchungen. So sind dazu in den letzten fünf Jahren nur rund ein halbes Dutzend Publikationen aus Deutschland erschienen. Studien über Langzeitfolgen von Krebstherapien wie das Fatigue-Syndrom oder über physische und psychische Einschränkungen junger Betroffener sind nach wie vor Mangelware. Hinzu kommt, dass der Einfluss der verschiedenen Diagnosen und Behandlungsmodalitäten für die Krebserkrankungen auf die später auftretenden Probleme ebenfalls nur unzureichend bekannt ist. Auch ist nicht klar, wie lange und zu welchem Zeitpunkt die jungen Patient:innen von den Langzeitfolgen betroffen sind.
„Viele der auftretenden Probleme sind auch nicht im Detail bekannt. Wir kennen beispielsweise das Ausmaß und die Ursachen finanzieller Sorgen der jungen Patient:innen nicht ausreichend. Gleiches gilt für die Probleme bei der Wiederaufnahme der Arbeit. Kurzum: Es fehlt in diesen Bereichen an Datenmaterial, das als Grundlage für eine gezielte Hilfe und Intervention dienen könnte“, erklärt Prof. Dr. med. Mathias Freund, Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung, und fährt fort: „Erfreulich ist, dass in der Wissenschaft das Interesse an Untersuchungen in diesem Bereich nach unseren Beobachtungen zunimmt. So erhält die Stiftung in der letzten Zeit zahlreiche Bitten um Unterstützung für psychosoziale Studien. Es fällt uns allerdings auf, dass diese häufig mit methodischen Defiziten zu kämpfen haben. So sind aus praktischen Gründen die Umfragen meist anonymisiert, was Doppelerfassungen nicht ausschließen lässt und Fehlerkorrekturen praktisch unmöglich macht.“
Ein weiterer auffälliger Punkt ist die meist mangelhafte Erfassung von Diagnosen und Behandlungen. Dabei muss beachtet werden, dass die Patient:innen selbst oft nur unzureichend Auskunft geben können. Durch die gleichzeitige Anonymisierung wiederum ist ein Rückgriff auf eventuell vorhandene Studiendaten nicht möglich.
Auch im Patient:innenbeirat der Stiftung wurden diese bestehenden Probleme in den letzten Sitzungen intensiv diskutiert. Die Meinung der engagierten Betroffenen ist eindeutig: Wissenslücken, vor allem auch im Bereich der Nachsorge, müssen dringend geschlossen werden. Dabei sollte eine ganzheitliche Auseinandersetzung von Ärzt:innen mit ihren Krebspatient:innen berücksichtigt werden.
„Mittel- und langfristig ist eine Leitlinie zur Langzeitnachsorge unabdingbar. Diese muss mit umfassendem Studienmaterial untermauert werden und die Patient:innen neben der medizinischen vor allem auch aus sozialer und gesellschaftlicher Perspektive betrachten. Um das zu erreichen, können und müssen Betroffene bereits an den ersten Stadien der Studiengestaltung durch Patient:innenbeiräte mitwirken", fordert Maximilian, Koordinator des Patient:innenbeirats der Stiftung und Mitglied in den TREFFPUNKTEN Oberfranken und Stuttgart. Der junge Mann erhielt mit 20 Jahren die Diagnose Hodgkin Lymphom und nahm im Rahmen seiner Therapie an der HD21 Studie der GHSG (German Hodgkin Study Group) teil.
Dem Datendefizit entgegenwirken
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene Krebs hat sich daher entschlossen, ihr JUNGES KREBSPORTAL zu nutzen und zur Verbesserung der Situation um ein STUDIENPORTAL zu erweitern. Junge Betroffene haben dadurch die Möglichkeit, an der Beseitigung der Erkenntnisdefizite aktiv mitzuwirken. Eine gute Voraussetzung dafür ist die große Offenheit junger Krebspatient:innen für eine Unterstützung der Forschung zur Verbesserung von Nachsorge und zur Optimierung der Behandlungsverfahren. Diesen Umstand betont auch Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Vorstand der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs: „Seit Gründung der Stiftung entwickeln wir Hand in Hand mit jungen Betroffenen Projekte und Hilfsangebote für die Zielgruppe der 18- bis 39-jährigen Krebspatient:innen. Die Unterstützung aus den Reihen der Betroffenen ist seit jeher überwältigend. Ihre Motivation, etwas zum Besseren bewegen zu wollen und ihre Erfahrungen einzubringen, inspirieren uns jeden Tag. Diese vertrauensvolle und einzigartige Zusammenarbeit ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal der Stiftung. Sie erlaubt es uns, die für die Betroffenen wirklich relevanten Themen zu identifizieren und in den Fokus der Gesellschaft zu rücken. Dabei nehmen wir Ängste, zeigen Perspektiven und geben den Betroffenen eine Stimme in der Öffentlichkeit.“
Das STUDIENPORTAL fördert genau diese Motivation der Betroffenen. Darin können sich die registrierten Nutzer:innen über Studien, wissenschaftliche Projekte und Befragungen informieren und dann sehr niederschwellig und unkompliziert daran teilnehmen. Die Verknüpfung mit den einzelnen Projekten erfolgt über einen Patienten-Identifikator (UPI), wodurch eine Pseudonymisierung erreicht wird und die persönlichen Daten der Teilnehmer:innen entsprechend geschützt sind. Ein großer Vorteil dieses Verfahrens ist, dass eine Verbindung mit vorhandenen Datenbeständen, insbesondere auch den umfangreichen Datenbeständen der Studiengruppen möglich sein wird. Auf diese Art und Weise hofft die Stiftung, dass zuverlässige Daten über Diagnose und Behandlung der befragten und teilnehmenden Patient:innen erschlossen und mit den Projekten verflochten werden können. Dies würde den Informationsgehalt und die Qualität der Projekte bedeutend verbessern. „Wir erwarten uns daher langfristig von diesem Projekt eine erhebliche Verbesserung der Datenlage und Forschungsmöglichkeiten im Bereich der jungen Erwachsenen mit Krebs“, schließt Freund.
Wie wichtig solche Studien für die Wissenschaft sind, betont auch Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Vorsitzender der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. und Direktor der Abteilung Hämatologie und Internistische Onkologie des Universitätsklinikums Jena: „Klinische Studien sind die Grundpfeiler der modernen evidenzbasierten Medizin. In der Hämatologie und Onkologie haben sie in den letzten Jahrzehnten den immensen Fortschritten in der Behandlung vieler Blut- und Krebserkrankungen den Weg geebnet – beispielsweise der zielgerichteten Therapie oder den verschiedenen Formen der Immuntherapie einschließlich den CAR-T-Zellen. Doch die Bedingungen für die Durchführung klinischer Studien werden immer komplexer. Umso wichtiger ist es Rahmenbedingungen zu schaffen, um beispielsweise die Durchführung von akademisch initiierten und damit unabhängigen klinischen Studien zu fördern. Im Sinne unserer Patient:innen müssen wir den Forschungsstandort Deutschland stärken. Hierzu gehört auch die Förderung des wissenschaftlichen und ärztlichen Nachwuchses.“
Zwei verfügbare Studien zum Start des STUDIENPORTALs
Die Auswahl der eingestellten Studien im STUDIENPORTAL erfolgt in Zukunft nach sorgfältiger Prüfung durch den Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung. Er kontrolliert den Nutzen der jeweiligen Studie für die Zielgruppe der jungen Erwachsenen anhand festgelegter Qualitätskriterien und gibt diese dann zur Veröffentlichung im STUDIENPORTAL frei.
Zum Start des STUDIENPORTALs werden den registrierten Betroffenen bereits zwei Studien zur Teilnahme zur Verfügung stehen:
Die erste Studie untersucht im Rahmen einer Masterarbeit an der Universität Hamburg in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, welche Rolle die Themen Fertilität und Kinderwunsch bei jungen Erwachsenen mit Krebserkrankungen einnehmen. In einem ca. 15-minütigen Online-Fragebogen wird u.a. abgefragt, welche Ängste vor dem Verlust der Fertilität besonders stark vertreten sind, wie die Aufklärung über fertilitätserhaltende Maßnahmen aussah und wie die Kommunikation zwischen behandelnden Ärzt:innen und den Patient:innen generell ablief. Diese Studie steht allen jungen Betroffenen im Alter zwischen 18 und 39 Jahren offen, unabhängig von ihrer Diagnose.
Die zweite verfügbare Studie mit dem Titel „Leben mit Lymphom“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Langzeitfolgen von Therapien bei aggressivem Lymphdrüsenkrebs (bspw. Diffus großzelligem B-Zell-Lymphom, Primär mediastinalem B-Zell-Lymphom, T-Zell-Lymphom) zu identifizieren. Dazu wurde vom Studienteam um Prof. Dr. med. Björn Chapuy, dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Aggressive Lymphome der German Lymphoma Alliance und leitenden Oberarzt der Sektion Lymphome an der Charité, Universitätsmedizin Berlin, ein Online-Fragebogen entwickelt. Das Ausfüllen dauert etwa 30 Minuten.
„Viele langfristigen Auswirkungen von Lymphdrüsenkrebs auf das Leben unserer Patient:innen sind noch nicht genügend erforscht. Unser Ziel ist es, Unterstützungsbedarf zu erkennen und passgenaue Hilfsangebote zu entwickeln, die unsere Patient:innen langfristig begleiten können“, erklärt Dr. med. Rebecca Wurm-Kuczera von der Klinik für Hämatologie und Medizinische Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen, die selbst Mitglied und Ansprechpartnerin im Studienteam ist.
Mit Errichtung des STUDIENPORTALs kann die Stiftung darüber hinaus auch in Zukunft eigene wissenschaftliche Projekte initiieren und realisieren.
Ein besonderer Dank gilt unseren Projekt-Förderern, der Albert und Barbara von Metzler-Stiftung aus Frankfurt am Main, der Barbara und Wilfried Mohr-Stiftung mit Sitz in Wedel sowie der Sparda-Bank Berlin eG, ohne die die Umsetzung des STUDIENPORTALs nicht möglich gewesen wäre.
Über die DGHO
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. besteht seit über 80 Jahren und hat heute mehr als 3.800 Mitglieder, die in der Erforschung und Behandlung hämatologischer und onkologischer Erkrankungen tätig sind. Mit ihrem Engagement in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, mit der Erstellung der Onkopedia-Leitlinien, mit der Wissensdatenbank, mit der Durchführung von Fachtagungen und Fortbildungsseminaren sowie mit ihrem gesundheitspolitischen Engagement fördert die Fachgesellschaft die hochwertige Versorgung von Patientinnen und Patienten im Fachgebiet.
Die DGHO e. V. hat die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs im Jahr 2014 gegründet.
Jedes Jahr erkranken in Deutschland nahezu 16.500 junge Frauen und Männer im Alter von18 bis 39 Jahren an Krebs. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist Ansprechpartnerin für Patient:innen, Angehörige, Wissenschaftler:innen, Unterstützer:innen und die Öffentlichkeit. Die Stiftungsprojekte werden in enger Zusammenarbeit mit den jungen Betroffenen, Fachärzt:innen sowie anderen Expert:innen entwickelt und bieten direkte und kompetente Unterstützung für die jungen Patient:innen. Die Stiftung ist im Juli 2014 von der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. gegründet worden. Alle Stiftungsprojekte werden ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist als gemeinnützig anerkannt.
Spendenkonto der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs:
Bank für Sozialwirtschaft
IBAN: DE33 1002 0500 0001 8090 01, BIC: BFSW DE33
Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Alexanderplatz 1
10178 Berlin
Telefon: +49 (30) 28093056-0
Telefax: +49 (30) 28093056-9
http://www.junge-erwachsene-mit-krebs.de
Presse und Onlinekommunikation
Telefon: +49 (30) 28093056-2
Fax: +49 (30) 28093056-9
E-Mail: f.pawlowski@junge-erwachsene-mit-krebs.de