Marktungleichgewichte und Risiken
Die Nachfrage nach Schiffsraum übertrifft bei weitem das Angebot. Dieses Ungleichgewicht ist in der Containerschifffahrt besonders ausgeprägt. Das Netz der Containerlinienfahrt steht seit mehr als zwei Jahren unter hoher Spannung. Die Fahrpläne der Reedereien sind aus den Fugen geraten. Über 60 Prozent der Schiffe erreichen ihren Zielhafen nur mit erheblichen Verzögerungen. Die Häfen sind den massenhaft außerplanmäßig anlaufenden Schiffen und den in kurzer Zeit umzuschlagenden Mengen an Boxen nicht mehr gewachsen. Erhebliche Abfertigungsprobleme an der US-Westküste, der Ostküste, aber auch zunehmend in den Häfen in Nordeuropa sorgen für einen erheblichen Rückstau von Schiffen, die vor den Häfen auf Reede liegen und auf ihre Abfertigung warten. Das strenge Corona-Regime in China mit strikten Lockdowns und Hafenschließungen für mehrere Wochen verschärfen die Situation erheblich.
Schätzungen gehen davon aus, dass in den letzten zwölf Monaten durchgehend elf bis 14 Prozent der weltweiten Kapazität in der Containerschifffahrt durch wartende Schiffe gebunden waren und sind.
In einer Marktwirtschaft werden Ungleichgewichte zwischen Nachfrage und Angebot über den Preis ausgeglichen. Tatsächlich haben die Frachtraten für Containerverschiffungen in den vergangenen zwei Jahren ungeahnte Höhen erreicht. Auf vielen Fahrtgebieten haben sich die Raten vervielfacht. Entsprechend groß sind die Gewinne der Containerlinienreedereien.
Bremer Reeder, die den Containerlinienreedereien ihre Schiffe auf dem Chartermarkt zur Verfügung stellen, profitieren von dieser Hausse. Auch die Charterraten für diese Schiffe haben ein nie gekanntes Niveau erreicht. Schiffe, deren Chartervertragslaufzeiten derzeit enden, haben alle Möglichkeiten, hochattraktive Anschlusschartern zu schließen.
Die Containerschifffahrt zieht die Märkte der Bulkschifffahrt sowie der Multipurpose- und Schwergutschifffahrt ebenfalls nach oben. Etliche Kapazitäten auch in der Massengutfahr sind aufgrund der Abfertigungsprobleme in den chinesischen Häfen gebunden. Die Multipurpose- und Schwergutschifffahrt profitiert derzeit besonders von den hohen Energiepreisen, die für viele Investitionsaktivitäten in der Erdöl- und Gasgewinnung sorgen.
Die Tankschifffahrt, gerade auch die Produktentanker, von denen etliche in Bremen betrieben werden, bewegten sich über zwei Jahre in einem äußerst schwierigen Marktumfeld. Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine und den damit einhergehenden Verwerfungen auf den Energiemärkten ist die Nachfrage sprunghaft angestiegen. Solche Tanker, die Erdölprodukte, leichte Chemikalien und pflanzliche Öle transportieren, können jetzt auskömmliche Raten erzielen. Das neue Marktgleichgewicht wird voraussichtlich auch nach einem hoffentlich baldigen Ende des Krieges anhalten, so dass die Reeder die Möglichkeit bekommen, die Verluste der vergangenen beiden Jahre langsam aufzuholen.
Es stellt sich die Frage, ob derartige Marktungleichgewichte gerade in der Containerschifffahrt dauerhaft gesund sein können oder ob sie nicht vielmehr langfristige Folgen haben könnten, die ungewollten Einfluss auf die internationale Arbeitsteilung nehmen, in dem sie die Nachfrage nach Transporten reduzieren und damit dauerhaft die Seeschifffahrt schwächen.
Es ist aber vielmehr davon auszugehen, dass sich Angebot und Nachfrage aus gleich mehreren Gründen spätestens in einem Jahr wieder einander annähern werden.
Die Containerlinienreedereien haben in den letzten eineinhalb Jahren sehr viele, in der Regel sehr große Containerschiffe bei den Werften geordert. Die Neubestellungen entsprechen circa 30 Prozent der bestehenden Flotte nach Stellplatzkapazität. Ab Anfang 2023 werden diese Schiffe sukzessive auf den Markt gelangen und das Angebot vergrößern. Zudem besteht die Hoffnung, dass sich die Probleme in den Häfen in den nächsten Monaten abmildern, so dass zumindest ein Teil der derzeit durch Wartezeiten gebundenen Kapazitäten wieder dem Markt zur Verfügung stehen werden.
Ein weiterer Grund für die Annäherung von Angebot und Nachfrage ist der Überfall Russlands auf die Ukraine mit noch unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft. Ein kompletter Boykott der Gaslieferungen aus Russland könnte die Wirtschaft in Deutschland und Europa empfindlich treffen. Ein heftiger Wirtschaftseinbruch, gefolgt von Arbeitslosigkeit und stark zurückgehendem Konsum wären zu befürchten. Schon jetzt bremsen die Energiepreise und hohe Inflationsraten, gepaart mit starken Unsicherheiten für die privaten Haushalte, spürbar das Konsumverhalten in Europa.
Die geopolitische Lage ist von einer Verhärtung der Machtblöcke der westlichen Welt, Russland und China geprägt. Etliche weitere regionale Konfliktherde verstärken die geopolitischen Risiken. Es wäre zu hoffen, dass sich die Weltgemeinschaft besinnt und zu einem friedlichen Miteinander findet. Bleibt es bei den sich gegenwärtig verschärfenden Konfrontationen, hätte dies Auswirkungen auf die arbeitsteilige Weltwirtschaft und den internationalen Warenaustausch; die Nachfrage nach Schiffsraum würde deutlich zurückgehen.
Diese Risiken sind real und müssen betrachtet werden. Die Hoffnung ist natürlich, dass sie nicht Wirklichkeit werden. Kaufleute neigen zum Optimismus – bei pessimistischen Prognosen würden sie keine Geschäfte wagen. Insofern überwiegt bei den Bremer Reedern die Freude über die derzeitigen Möglichkeiten, sich für die Zukunft zu rüsten.
Umweltschutz – Dekarbonisierung
Die größten Herausforderungen, vor denen die Reeder in Bremen, in Deutschland und weltweit stehen, ist die beabsichtigte Dekarbonisierung der Seeschifffahrt.
Trotz ihrer enormen Transportleistung trägt die Schifffahrt insgesamt lediglich zwei Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Dennoch muss und wird sie ihren Beitrag zu einer Reduzierung der weltweiten CO2-Emissionen leisten. Die International Maritime Organization (IMO), eine Suborganisation der UNO, möchte die CO2-Emissionen im Seeverkehr bis 2050 im Vergleich zum Jahr 2008 um 50 Prozent reduzieren. Die Reeder wollen nach Möglichkeit bis zum Jahr 2050 gar kein CO2 mehr emittieren.
Der Schlüssel für eine CO2-freie Seeschifffahrt liegt beim Treibstoff. Es bedarf noch viel Forschung und Entwicklung sowie hohe Investitionen, um mittel- bis langfristig die enormen Mengen an CO2-freien Treibstoffen für die internationale Seeschifffahrt mit ca. 60.000 Schiffen bereitstellen zu können.
Noch ist nicht klar, welche Arten von Treibstoffen zukünftig die Seeschiffe antreiben werden. Gerade dies stellt die Reeder derzeit vor enorme Herausforderungen: Schiffe haben eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren. Wenn ein Reeder sich heute für einen Neubau entscheidet, sollte der Schiffsmotor bereits in der Lage sein, die CO2-freien Treibstoffe der Zukunft zu verbrennen. Die Hersteller großer Schiffsmotoren sind so weit: Sie können bereits heute Verbrennungsmotoren für fast alle möglichen Treibstoffe liefern.
Als Lösung für Neubauten zeichnen sich zurzeit Dual-Fuel-Motoren ab. Sie können neben Schweröl auch LNG (Liquefied Natural Gas) verbrennen. LNG emittiert bei der Verbrennung deutlich weniger CO2als die herkömmlichen fossilen Treibstoffe. Trotzdem kann LNG nur eine Übergangslösung auf dem Weg zu einer kompletten Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050 sein. Die Dual-Fuel-Motoren können später auf „grünes Gas“ oder wasserstoffbasierte Kraftstoffe umgestellt werden.
Für die bestehende Flotte, deren Motoren auf die Verbrennung von Schweröl ausgelegt sind, greifen bereits ab dem 01.01.2023 neue Regelungen, die zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes beitragen und sukzessive verschärft werden. Mit den Bestimmungen des Energy Efficiency Existing Ship Index (EEXI) und des Carbon Intensity Indicator (CII) werden die Reeder gezwungen, ihre Energieeffizienz kontinuierlich zu verbessern. Wenn sich eine Verbesserung technisch nicht mehr oder nur mit unangemessenen Kosten erzielen lässt, wird als einzige Möglichkeit bleiben, die Maschinenleistung technisch herabzusetzen, also ein Langsamfahren zu erzwingen. Das wird Schiffe im internationalen Wettbewerb weniger konkurrenzfähig machen. Mittelfristig wird manches ältere Schiff verschrottet werden müssen, wenn es die gestiegenen Anforderungen an die Energieeffizienz nicht mehr erfüllen kann.
Deutsche Schleppschifffahrt
Die Schleppschifffahrt in den deutschen Häfen, so auch in Bremen und Bremerhaven steht vor besonderen Herausforderungen. Neue Anbieter, Tochtergesellschaften großer Containerlinienreedereien, drängen auf die lokalen Märkte. Unter fremder Flagge und mit anderen Kostenstrukturen greifen sie die lukrativen Aufträge ihrer Konzernmütter ab, die bislang das Brot- und Buttergeschäft für die langansässigen Unternehmen waren. Ohne diese Aufträge wird es schwierig für die Unternehmen werden, die verbleibenden Aufgaben kostendeckend zu erfüllen. Zu berücksichtigen ist, dass die Schleppschifffahrt in der historisch gewachsenen Arbeitsteilung und dem Zusammenspiel aller Akteure in den Häfen unverzichtbare Aufgaben für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erfüllen. Ohne die Schlepper würden die Häfen nicht funktionieren. Hier sind die örtlichen Hafenverwaltungen aufgerufen, für faire Wettbewerbsbedingungen aller Akteure zu sorgen.
Ausbildung
Die Ausbildung sowohl des nautischen und technischen Personals an Bord, wie auch des kaufmännischen Personals in den Reedereikontoren ist für die deutsche Seeschifffahrt entscheidend, wenn sie dauerhaft eine anerkannte und bedeutende Schifffahrtsnation bleiben möchte.
Der Bremer Schifffahrtskongress findet seit über zehn Jahren regelmäßig einmal im Jahr statt und beschäftigt sich ausschließlich mit der Mitarbeitergewinnung und -bindung, der Ausbildung und der Personalentwicklung in der Seeschifffahrt. Der Bremer Rhederverein arbeitet im Programmkomitee mit. Kooperationspartner des Kongresses sind die deutschen nautischen Ausbildungsstätten sowie Verbände und Unternehmen, die der Seeschifffahrt nahestehen. Der Bremer Schifffahrtskongress hat sich als das Leitmedium für die Trends in der Personalentwicklung und dem Austausch der Akteure untereinander etabliert. Der letzte Kongress fand Ende September 2021 coronabedingt als Videokonferenz statt.
Der Bremer Rhederverein pflegt einen engen Kontakt zur Hochschule Bremen, die den Standort für ihr Nautik-Studium in diesem Frühjahr von dem traditionsbehafteten Sitz in der Werderstraße am Werdersee an den Flughafen in die ehemalige Fliegerschule der Lufthansa verlagert hat. Es ist immer eine Herausforderung, für alle Nautikstudenten eine Möglichkeit zu finden, an Bord eines Seeschiffes ihre vorgeschriebene Praxiszeit abzufahren. Der bereits über zehn Jahr alte „Internationale Studiengang Shipping and Chartering“ hat sich im Laufe der Jahre sehr gut etabliert. Der Studiengang ist mit rund 50 Studentinnen und Studenten jährlich voll belegt. Schon viele der Absolventen haben im Anschluss an ihr Studium erfolgreich ihre Karriere bei Bremer Reedereien aufgenommen.
Große Sorge hingegen bereitet die klassische, in allen Belangen sehr bewährte duale Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann / zur Schifffahrtskauffrau. Wie in vielen anderen kaufmännischen und handwerklichen Ausbildungsberufen ist es äußerst mühselig und schwierig, überhaupt geeignete Bewerbungen zu erhalten. Viele angebotene Ausbildungsstellen mussten im letzten Jahr und werden auch in diesem Jahr unbesetzt bleiben müssen. Vor diesem Hintergrund ist die von der Bremer Landesregierung diskutierte Ausbildungsabgabe völlig unverständlich und konterkariert die Bemühungen der vielen ausbildungswilligen Unternehmen in Bremen.
Bremen
Am 18. Mai 2022 fand zum ersten Mal der von der IMO ausgerufene „International Day of Women in Maritime“ statt. Die Senatorin für Wissenschaft und Häfen, Senatorin Dr. Claudia Schilling, hatte dazu unter Mitwirkung des Bremer Rhedervereins einen Empfang im Haus Schütting organisiert. Rund hundert Teilnehmerinnen und wenige Herren nahmen an der Veranstaltung teil. Die neue Präsidentin des Verbands Deutscher Reeder(VDR), Dr. Gaby Bornheim, erstmals eine Frau in der mehr als hundertjährigen Geschichte des Verbands, skizzierte die großen Linien der Schifffahrtspolitik und betonte dabei die zunehmenden Aufgaben und die Bedeutung, die Frauen in der Schifffahrt, sowohl an Bord als auch an Land, zukünftig übernehmen und haben werden.
Vor dem Empfang trafen die Präsidentin sowie der neue VDR-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Kröger mit dem Vorstand des Bremer Rhedervereins zusammen. Der Bremer Rhederverein und der VDR pflegen seit jeher eine enge Zusammenarbeit, die in Zukunft sogar noch intensiviert werden könnte.
Der Bremer Rhederverein engagiert sich im Arbeitgeberdachverband „Die Unternehmensverbände im Lande Bremen“, in der Handelskammer Bremen und über die Kammer auch in der Bremischen Hafen- und Logistikvertretung.
Die Handelsflotte Bremens umfasst rund 240 Schiffe mit 4,2 Millionen BRZ. Die Mulipurpose- und Schwergutschiffe wie auch die Tankschiffe haben jeweils einen Anteil von über 25 Prozent. Die Containerschiffe machen knapp 15 Prozent aus. Die Bulker sind mit knapp zehn Prozent vertreten. Mitgezählt sind etliche Assistenzschlepper und einige Forschungsschiffe, die das Profil des Tonnagemix abrunden.
Wahlen zum Vorstand
Auf der ordentlichen Mitgliederversammlung am 21. Juni 2022 haben die Mitglieder Herrn Dirk Rogge und Herrn Joachim Zeppenfeld erneut in den Vorstand gewählt. Zusätzlich ist Herr Björn Hollnagel in den Vorstand berufen worden. Die ordentliche Mitgliederversammlung hat Herrn Michael Vinnen als Vorsitzer bestätigt; Herr Rogge wurde zum neuen stellvertretenden Vorsitzer ernannt. Der Vorstand setzt sich nun wie folgt zusammen:
Michael Vinnen (Vorsitzer) F. A. Vinnen & Co. (GmbH & Co. KG)
Dirk O. Rogge (stv. Vorsitzer) D. Oltmann Reederei GmbH & Co. KG
Björn Hollnagel BOCS Bremen Overseas Chartering and Shipping GmbH
Ralf Reinhardt Reederei Horst Zeppenfeld GmbH & Co. KG
Joachim Zeppenfeld Bremer Bereederungsgesellschaft mbH & Co. KG
Bremer Rhederverein e.V.
Birkenstraße 15
28195 Bremen
Telefon: +49 (421) 3278-08
Telefax: +49 (421) 3278-38
http://www.rhederverein.de
Geschäftsführer
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