Nicht nur, dass vor allem die "Grünen" in Schleswig-Holstein jetzt einen Ausbau auf drei Prozent fordern und dadurch den erreichten ‚Windfrieden‘ gefährden. Überdeutliche Hinweise, wie rücksichtslos in Zukunft mit Natur und Landschaft umgegangen wird, kommen auch aus Berlin. Unter dem harmlos und kompromissbereit klingenden Titel "Beschleunigung des naturverträglichen Ausbaus der Windenergie an Land" haben sich das Bundeswirtschafts- und das Umweltministerium auf ein Maßnahmenbündel geeinigt, das alles andere als "naturverträglich" ist: es greift massiv in die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes ein. So soll dem Eckpunktepapier zufolge der Schutz selbst von stark durch Kollisionen mit Windenergieanlagen gefährdeten Großvogelarten gravierend aufgeweicht werden.
Bisher gelten für die Planung von Windenergieanlagen im Umfeld der Brutplätze von besonders schutzbedürftigen, erheblich kollisionsgefährdeten Seeadlern, Rotmilanen sowie Weiß- und Schwarzstörchen noch Mindestabstände, um tödliche Unfälle an den Rotoren weitgehend zu vermeiden. Diese Abstandswerte beruhen auf von den staatlichen Vogelschutzwarten entwickelten artenschutzfachlichen Bewertungen, die wissenschaftliche Publikationen und Forschungen als Grundlage haben. Zu Seeadler-Horsten sind 3.000 m und zu Rotmilan-Horsten 1,500 m Abstand zu wahren, weil etwa beim Rotmilan zur Brutzeit rund 60 % der Flüge in diesem Radius stattfinden. Diese fachlich abgesicherten Vorgaben berücksichtigt weitgehend auch die Regionalplanung Schleswig-Holsteins – und hat dennoch das ‚Zwei-Prozent-Ziel‘ erreicht.
Die Bundesregierung will darin trotzdem ein Hemmnis für den Windenergieausbau entdeckt haben und diese Abstände auf 500 m zusammenstreichen, ohne Belege für die artenschutzfachliche Unbedenklichkeit anführen zu können. Zwar soll im weiteren Umkreis (beim Seeadler 2.000 m) nun gutachterlich die Gefährdungswahrscheinlichkeit untersucht werden. Aber diese Gutachten werden als ‚Habitatpotenzialanalyse‘ weitgehend am Schreibtisch erstellt, ohne dass vor Ort die Gutachter*innen beobachten müssen, wo die Vögel tatsächlich fliegen. Hinzu kommt, dass die Gutachter*innen, wie schon heute, ihre Aufträge von den Windkraftbetreibern erhalten, deren Interessen das Ergebnis dann vorprägen: ‚Wessen Brot ich ess‘, dessen Lied ich sing‘."
Schleswig-Holstein hat bisher für die Genehmigung von Windenergieanlagen in unter Artenschutzaspekten kritischen Gebieten ein Bündel von Maßnahmen zur Kollisionsvermeidung sowie Kompensationen vorgesehen, so die zeitweise Abschaltungen in Gebieten mit erhöhtem Fledermausvorkommen oder die größerflächige Entwicklung neuer Nahrungsflächen für den Rotmilan. Damit möchte das Land dem sowohl im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), wie in der EU-Vogelschutzrichtlinie verankertem Grundsatz entsprechen, die Verluste an Tieren der besonders geschützten Arten so gering wie möglich zu halten. Doch nach dem Eckpunktepapier werden solche Naturschutzauflagen mit einer "Zumutbarkeitsschwelle" zeitlich und materiell sehr stark beschnitten, um den Gewinn der Windkraftbetreiber nicht zu schmälern. Außerdem soll das BNatSchG dahingehend geändert werden, dass bei der fachbehördlichen Abwägung zur Standorteignung die Windenergie von vornherein mehr Gewicht als der Naturschutz erhalten muss. Überdies sollen nach dem Willen der Bundesministerien ausdrücklich auch Landschaftsschutzgebiete mit Windkraftanlagen bestückt werden. Auch dies steht im krassen Widerspruch zur aktuellen Windkraftplanung des Landes. Damit steht zu befürchten, dass die von fast allen baulichen Anlagen freizuhaltenden, für Schleswig-Holstein typischen Erholungslandschaften zukünftig von inzwischen rund 200 Meter hohen WKA-Anlagen dominiert werden.
Sollte der Windenergieausbau nach den Kriterien des Eckpunktepapiers erfolgen, wäre der Aufschwung unserer Seeadlerpopulation wohl bald ins Gegenteil verkehrt. Die Bestände von Rotmilan, Mäusebussard (für den überhaupt keine Schutzmaßnahmen vorgesehen sind) und anderen Arten könnten sogar weiträumig wegbrechen, wenn der Windkraftbranche ungleich mehr Standorte in problematischen Bereichen als bisher eingeräumt werden müsste.
Das Etikett "naturverträglicher Ausbau" muss vor diesem Hintergrund wie eine Verhöhnung des Naturschutzes wirken. Die Behauptung des Papiers, "den beschleunigten Ausbau der Windenergie mit dem Artenschutz besser in Einklang zu bringen", ist eine Farce. Sollte der Bund, wie vorgesehen, seine Eckpunkte in Gesetzesform gießen und dabei den Ländern die Möglichkeit landesspezifischer Regelungen verweigern, wird Schleswig-Holstein seine verhältnismäßig besonnene Windkraftplanung neu aufrollen müssen, womit gravierende Konflikte mit dem Naturschutz vorprogrammiert sind.
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