Ein heute veröffentlichter Bericht von CARE und UN Women zeigt auf, dass Frauen und Minderheiten in der Ukraine durch den Krieg mit großen Herausforderungen kämpfen und dabei zu wenig Mitsprache haben. Seit Beginn des Krieges sind viele Frauen allein für ihre Familien verantwortlich und übernehmen Führungsaufgaben bei der Hilfe in den Gemeinden. Dennoch bleiben sie von formalen Entscheidungsprozessen auf Verwaltungsebene, in der humanitären Hilfe und im Friedensprozess weitgehend ausgeschlossen. 

„Frauen leisten die meiste humanitäre Arbeit. Sie versorgen Krankenhäuser und Privatpersonen mit Medikamenten und Lebensmitteln, sie kümmern sich um ihre Angehörigen und Kinder mit Behinderungen“, berichtet eine Zivilistin in der von CARE und UN Women durchgeführten Umfrage. Eine Mitarbeiterin einer lokalen Hilfsorganisation ergänzt: „Die Entscheidungsprozesse haben sich verändert. Es sind viele Männer in Entscheidungspositionen und es wird viel über Direktiven beschlossen, ohne Konsultation.“

„Unsere Analyse beweist, dass die humanitäre Hilfe den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen, einschließlich derjenigen aus gefährdeten Gruppen, gerecht werden muss“, sagt Sima Bahous, Exekutivdirektorin von UN Women. „Wir sehen, dass Frauen bei der humanitären Hilfe in ihren Gemeinden eine wichtige Rolle spielen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sie sinnvoll in die formellen Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden.“

Die Auswirkungen des Krieges sind aber auch für marginalisierte Gruppen verheerend. Viele Befragte aus Roma-Gemeinschaften, deren Zahl in der Ukraine vor dem Krieg auf rund 400.000 Menschen geschätzt wurde, gaben etwa an, von schwerer Diskriminierung betroffen zu sein. Sie werden bei Unterkünften abgelehnt, sind schlecht über Hilfsleistungen informiert und ihnen fehlen die notwendigen Papiere, um über die Grenze zu fliehen.

„Wir hören von den Menschen in der Ukraine, dass bestimmte Gruppen, wie Menschen mit Behinderungen, Roma und andere ethnische Minderheiten, alleinerziehende Mütter und unbegleitete Kinder, unterschiedliche Formen von Schutz und Hilfe benötigen“, erklärt Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland. „Das muss in jedem Hilfsprogramm dringend berücksichtigt werden.“

Laut der Analyse zeigt sich bereits ein Rückschritt in der Gleichstellung der Geschlechter: Durch den Krieg ist die Arbeitslosigkeit in der gesamten Bevölkerung gestiegen. Während die Armut zunimmt, besteht vor allem für Frauen die Gefahr, in den ungeschützten, informellen Sektor der Wirtschaft gedrängt zu werden. Frauen übernehmen aktuell mehr unbezahlte Betreuungsarbeit als zuvor, da die Nachfrage nach Freiwilligenarbeit steigt, Schulen geschlossen sind und die Männer zu den Streitkräften einberufen werden.

Frauen und Mädchen weisen auch auf eine schlechte Gesundheitsversorgung hin, insbesondere für Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt, Schwangere und Mütter. Die Angst vor geschlechtsspezifischer Gewalt und vor fehlenden Lebensmitteln steigt, vor allem bei den Menschen, die sich in schwer umkämpften Konfliktgebieten befinden.

Die wichtigsten Empfehlungen der Gender-Analyse von CARE und UN Women:

  • Die humanitäre Hilfe muss den unterschiedlichen Bedürfnissen von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen sowie verschiedener Minderheiten – insbesondere der Roma-Gemeinschaft, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen – gerecht werden.
  • Der Zugang zu Notunterkünften sollte integrativ und diskriminierungsfrei sein. Es sollten Unterkünfte angeboten werden, die nach Geschlechtern und/oder Familien getrennt sind.
  • Lücken bei sozialen Diensten zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt müssen dringend geschlossen werden.
  • Sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie die Gesundheitsversorgung von Müttern, Neugeborenen und Kindern müssen Priorität werden. Dazu gehört auch die klinische Versorgung von Überlebenden sexueller Gewalt und die Gewährleistung des Zugangs zu Verhütungsmitteln.
  • Frauen und junge Menschen müssen die humanitäre Hilfe gleichberechtigt leiten und an Entscheidungsprozessen beteiligt sein.
  • Frauen und Frauenrechtsorganisationen, die humanitäre Hilfe leisten, müssen mit finanziellen Mitteln und der Stärkung ihrer Stimmen auf nationalen und internationalen Plattformen unterstützt werden.
  • Unter der Berücksichtigung von sich verändernden Geschlechterrollen sollten vertriebene Frauen und Männer Optionen für eine Berufsausbildung und den Verdienst des eigenen Lebensunterhalts erhalten.

Hintergrund zur Analyse:

Die Analyse basiert auf Umfragen und Interviews mit Menschen in 19 Regionen der Ukraine, die zwischen dem 2. und 6. April 2022 durchgeführt wurden. Im Fokus der Studie steht die geschlechtsspezifische Dynamik der Krise sowie Empfehlungen zur gezielten Unterstützung von Frauen und Mädchen sowie Minderheiten. Diese sollen Regierungen und anderen Akteuren in der humanitären Hilfe dabei helfen, ihre Maßnahmen geschlechtersensibel umzusetzen.

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