Am 29. April 2022 startete die EU-Kommission eine zweite Konsultation zum künftigen Umgang mit den neuen Gentechnik-Verfahren wie CRISPR/Cas. Offensichtlich wurden die Eingaben der ersten Konsulta­tion nicht berücksichtigt, obwohl sich im Herbst 2021 die große Mehrheit der Teilnehme­r:innen deutlich für die Beibehaltung der strikten Gentechnik-Regulierung, auch für die neuen Ver­fahren, ausgesprochen hatte. Unklar bleibt, wie das für 2023 geplante Gesetzesvorhaben der EU-Kommission tat­sächlich aussehen wird. Es gibt aber zahlreiche Hinweise und suggestive Fragen, die klar in Richtung Deregulierung, Intransparenz und Freifahrtschein für die Gentechnik-Anwender:innen deuten.

Dazu Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL):

„Bewährte und für die Sicherung der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung wichtige Aspekte des Gentechnikrechts werden in der aktuellen Gentechnik-Konsultation nicht einmal benannt. Dazu gehören Transparenz und Standortregister, Koexistenz- und Haftungsregelun­gen, Nulltoleranz für nicht zugelassene Produkte. Dabei sind das – neben verpflichtender unabhängiger Risikoprüfung und Bewertung, Lieferung von Nachweisverfahren, Kennzeich­nungspflicht und Rückverfolgbarkeit – wichtige Säulen des Gentechnikrechts. Ohne sie ist die Umsetzung des in der EU geltenden Vorsorgeprinzips nicht machbar. Auch neue Gentechniken wie CRISPR/Cas sind Gentechnik. Sie bergen neue und unschätzbare Risiken, die geprüft werden müssen. Diese Risiken abzustreiten, wie die Kommission es tut, ist unwissenschaftlich. Ohne Regulierung neuer Gentechnik-Pflanzen nach EU-Gentechnik­recht würden die Äcker von uns Bäuerinnen und Bauern zu unkontrollierbaren Versuchs­flächen der Gentechnik-Industrie. Es gäbe keine verpflichtende unabhängige Risikoprüfung mehr, Gentechnik-Pflanzen könnten einfach so, ungeprüft und nicht mehr rückverfolg­bar angebaut werden. Für Folge­schäden müsste niemand die Verantwortung übernehmen. Bäuerinnen und Bauern würden auf ihren Schäden sitzen bleiben. Einen solchen Freifahrtschein darf es nicht geben. Es gilt, das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittel­erzeugung zu sichern. Wir Bäuerinnen und Bauern wollen auch weiter das erzeugen können, was ein Großteil der Verbraucher:innen will – keine Gentechnik auf ihrem Teller. Deshalb fordern wir die Bundesminister:innen Cem Özdemir und Steffi Lemke auf, sich auf EU-Ebene für die Beibehaltung der derzeitigen Gentechnik-Regulierung einzusetzen.“ 

Volling stellt noch weitere Aspekte der Deregulierungsabsichten der Kommission in Frage:  

„Die Kommission folgt den hypothetischen Versprechen der Gentechnik-Industrie, neue Gentechnik-Produkte würden schnell einen Beitrag zu einem nachhaltigen Agrarsystem liefern. Bisher sind solche Produkte Wunschdenken. In den Pipelines der Unternehmen finden sich Herbizidresistenzen oder insektengiftige Pflanzen. Das konnte die alte Gentechnik auch schon. In der Praxis haben solche Gentechnik-Pflanzen zu mehr Pestizideinsatz geführt und den Nord- und Südamerikanischen Berufskolleg:innen große landwirtschaftliche Probleme wegen schnellen Resistenzentwicklungen gebracht. Nachhaltig ist das nicht.

Die Kommission will in der Gentechnik-Regulierung eine Nachhaltigkeitsbewertung und Kennzeichnung einführen. Das kann sinnvoll sein. Dazu braucht es aber klare und wirksame Kriterien und einen unabhängigen und eigenständigen Prüfprozess. Eine mögliche Einstufung als nachhaltig darf nicht dazu führen, dass Produkte nicht mehr risikogeprüft werden. Pro­dukte, die Risiken bergen, können nicht nachhaltig sein. Eine Nachhaltigkeitskenn­zeichnung darf die bestehende Gentechnik-Kennzeichnungspflicht auf dem Produkt nicht ablösen, das wäre Verbraucher:innentäuschung.

Die Kommission suggeriert, dass neue Gentechnikpflanzen nicht nachweisbar seien. Das stimmt so nicht. Wenn die gentechnische Veränderung bekannt ist, ist es problemlos möglich, dass für eine Zulassung notwendige Nachweisverfahren zu liefern. Dies muss also wichtiger Bestandteil des Zulassungsverfahrens bleiben. Die eingesetzten Verfahren hinterlassen Spuren im Genom, entsprechend lässt sich herleiten, welche Verfahren eingesetzt wurden. Nachweis­probleme müssen angegangen werden, statt der Industrie einen Freifahrtschein zu geben.

Die Kommission behauptet, neue Gentechnik-Pflanzen wären genauso sicher wie konven­tio­nelle Züchtungen. Damit unterschlägt die Kommission die möglichen Risiken der neuen Gentechnik-Verfahren, die ganz anders als bisherige Verfahren in das Genom der Pflanzen eingreifen können. Unser Unwissen über die Auswirkungen von Veränderungen von Genen im Organismus selbst und für das gesamte Ökosystem darf nicht negiert werden. Klar ist, dass es auch bei den neuen Gentechniken unerwartete Effekte gibt, diese müssen geprüft werden. 

Nur durch eine strikte Regulierung auch der neuen Gentechnik-Verfahren kann die gentechnikfreie konventionelle und ökologische Landwirtschaft und Lebensmittelerzeu­gung gesichert werden. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil für europäische Bauerinnen und Bauern – und entspricht dem stabil großem Wunsch der Verbraucher:innen nach Gentechnikfreiheit auf dem Teller.“

Link zur zweiten öffentlichen Konsultation der EU-Kommission zu Rechtsvorschriften für Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden

Link zur ersten Konsultation der EU-Kommission im Herbst 2021.

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