Wie eine scharfe Messerspitze durchsticht bei manchen Menschen ein knöcherner Dorn die Haut im Rückenmark. Dadurch dringt Gehirnflüssigkeit, sogenannter Liquor, ins umliegende Gewebe aus. Der entstehende Unterdruck im Gehirn führt zu schwersten Kopfschmerzen im Stehen, die im Liegen schnell verschwinden. In einer jetzt veröffentlichten Übersichtsarbeit zum sogenannten spontanen Liquorverlustsyndrom, kurz SIH, stellt ein internationales Team um Prof. Dr. Jürgen Beck, Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, wichtige Diagnose- und Therapiemöglichkeiten vor. Die Studie erschien am 25. Februar 2022 im renommierten Fachmagazin Lancet Neurology.

Gehirn auf dem Trockenen

„Solche Lage-Kopfschmerzen, auch als orthostatische Schmerzen bezeichnet, sind extrem belastend und können die Betroffenen im alltäglichen Leben sehr stark einschränken. Umso erfreulicher ist, dass wir die Betroffenen oft mit einer Operation heilen können“, so Beck. „Am Universitätsklinikum Freiburg behandeln wir weltweit die meisten Betroffenen minimal-invasiv und operieren mehr Patient*innen als alle anderen Zentren in Europa.“

Beim Liquorverlustsyndrom fließt Liquorflüssigkeit, die eigentlich das Gehirn und das Rückenmark entlang der Wirbelsäule umspült, aus dem geschlossenen System aus. „Dadurch entsteht ein Unterdruck und das Gehirn liegt buchstäblich auf dem Trockenen“, erklärt der Neurochirurg. Auch Ohrgeräusche, Lichtscheu, Übelkeit sowie Wahrnehmungsstörungen können auftreten. Dazu kommen unspezifische Beschwerden wie eine erhöhte Herzfrequenz, Konzentrationsstörungen und Schwindel, die im Liegen nachlassen.

Um die Beschwerden zu heilen, muss zunächst der millimetergroße Dornfortsatz der Wirbelsäule gefunden und entfernt werden. Im Anschluss wird das Leck in der Haut des Rückenmarks geschlossen, das oft nicht größer als ein Stecknadelkopf ist. Das kann mit einer Naht geschehen oder indem eine winzige Menge Eigenblut an die Stelle eingespritzt wird. Das Blut verklumpt und schließt das Loch. „Heute können wir die Operation ausschließlich minimalinvasiv und zum Teil sogar per Katheter über die Blutgefäße durchführen. Die Patient*innen haben dadurch geringe Nebenwirkungen und einen schnellen Heilungsprozess“, erläutert Beck.

Ärzt*innen für das Krankheitsbild sensibilisieren

Noch vor wenigen Jahren kannten nur Expert*innen das Krankheitsbild der spontanen Liquorverlustsyndrom. Darum wurde am Universitätsklinikum Freiburg die bundesweit erste regelmäßig stattfindende Konferenz für die Behandlung von SIH-Patient*innen eingerichtet. Hier können unklare Befunde schnell und kompetent abklärt werden. Die jetzt erschienene Studie wurde gemeinsam mit Wissenschaftler*innen aus der Schweiz, USA und Kanada erstellt. „Wir wollen damit Ärzt*innen für das Krankheitsbild sensibilisieren und die Grundlagen für eine medizinische Leitlinie legen. Beides soll den Betroffenen helfen, schneller geheilt zu werden,“ sagt Beck.

Original-Titel der Publikation: Spontaneous intracranial hypotension: searching for the CSF leak
DOI: 10.1016/S1474-4422(21)00423-3
Link zur Studie: www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422(21)00423-3/

Weitere Informationen:

Infoseite zum Liquorverlustsyndrom: www.uniklinik-freiburg.de/neurochirurgie/schwerpunkte/intrakranielle-hypotension

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