DIW Berlin veröffentlicht drei Studien anlässlich des Welttags der sozialen Gerechtigkeit – Große Mehrheit erwerbstätiger Europäerinnen und Europäer empfindet Einkommens- und Vermögensverteilung als ungerecht – Nur acht Prozent aller Befragten in Europa fühlen sich einer benachteiligten Gruppe zugehörig ­– Anteil ist aber gestiegen, da Frauen sensibler für Diskriminierungen wurden – Knapp ein Drittel zweifelt an Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt­

Zum Welttag der sozialen Gerechtigkeit beleuchtet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in drei Studien, wie Europäerinnen und Europäer die Chancengerechtigkeit in ihrem Land wahrnehmen. Die Kernergebnisse: Rund 80 Prozent der Erwerbstätigen sorgen sich um die soziale Gerechtigkeit; sie bewerten die Einkommens- und Vermögensungleichheiten in ihrem Land als ungerecht. Die Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt betrachtet knapp ein Drittel der Europäerinnen und Europäer als nicht erfüllt. Allerdings sehen sich lediglich acht Prozent der Befragten als Teil einer Gruppe, die beispielsweise aufgrund ihrer Herkunft, Sprache, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung benachteiligt wird. ­Datenbasis für die drei Studien ist der European Social Survey, eine Querschnittsbefragung für vergleichende Analysen in Europa. Die jüngste Befragung wurde 2018/2019 durchgeführt.

Frauen sind sensibler für Diskriminierung geworden

Nicht einmal jeder und jede zehnte Befragte in Europa fühlt sich einer diskriminierten Gruppe zugehörig.  Allerdings ist ihr Anteil in 17 untersuchten Ländern von 2008 bis 2018 um ein Viertel gestiegen. Herkunft, Sprache, Ethnie oder Religion werden dabei als häufigste Ursache für Diskriminierung genannt. Gleichzeitig fühlten sich Frauen immer häufiger von Benachteiligungen bedroht. Dabei werden Frauen sehr wahrscheinlich heute nicht häufiger benachteiligt als noch 2008, sondern haben eine höhere Sensibilität für Diskriminierung entwickelt. „Auf gewisse Weise haben unsere Studienergebnisse auch etwas Ermutigendes“, sagt Sandra Bohmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) im DIW Berlin. „Politik und Gesellschaft können Diskriminierung nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn Menschen die Benachteiligung von Gruppen oder Personen auch wahrnehmen.“ Es sei daher auch wichtig, dass nicht nur potenziell Betroffene für Diskriminierung sensibilisiert sind, sondern das Bewusstsein in allen Teilen der Bevölkerung geschärft wird. Die letzten Befragungen des Eurobarometers zeichnen hier jedoch eine rückläufige Entwicklung. „Gesellschaft und Politik müssen daher immer wieder auf alle Formen der Diskriminierung hinweisen“, ergänzt Co-Autor und SOEP-Doktorand Matteo Targa.

Fast jede und jeder Dritte zweifelt an gerechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt

Dass alle Menschen einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, sehen etwa ein Drittel der Befragten in 29 europäischen Ländern skeptisch. Ihre eigenen Chancen bei der Jobsuche schätzt aber immerhin die Hälfte der Europäerinnen und Europäer als gerecht ein, so das Ergebnis der zweiten Studie. „Dass die eigenen Chancen besser bewertet werden als die der anderen ist allerdings ein bekanntes psychologisches Phänomen“, erklärt Stefan Liebig, Studienautor und Direktor des SOEP im DIW Berlin.

Benachteiligte Gruppen wie Frauen, Ältere und von Krankheit Betroffene sowie Menschen mit Migrationshintergrund nehmen auch auf dem Arbeitsmarkt ihre eigenen Aussichten weniger positiv wahr. „Die politischen Bemühungen, das Vertrauen aller Bürgerinnen und Bürger in eine gerechte Chancenverteilung zu gewinnen, sind offensichtlich nicht ausreichend“, resümiert Co-Autorin Bohmann. Insgesamt zeigt sich, dass die Chancengerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt dort höher eingeschätzt wird, wo die Bürgerinnen und Bürger auch zufriedener mit der Demokratie in ihrem Land sind. „Wer also das Vertrauen in die Demokratie stärken möchte, tut sicher gut daran, sich für gerechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzusetzen“, so Liebig.

Unterschiede in Einkommen und Vermögen sieht nur jede und jeder Sechste als gerecht an

Eine dritte Studie untersucht, wie Erwerbstätige in 29 europäischen Ländern die Einkommens- und Vermögensungleichheit in ihrem Land bewerten. SOEP-Wissenschaftlerin Jule Adriaans und Cristóbal Moya von der Universität Bielefeld ordnen die Befragten vier Profilen zu: Die Hälfte sind Kritikerinnen und Kritiker, die sowohl ihr eigenes Einkommen ungerecht finden als auch die Einkommens- und Vermögensverteilung in der Gesellschaft allgemein. Diese Gruppe dominiert besonders in Osteuropa. Ein weiteres Drittel der Befragten kann den Altruistinnen und Altruisten zugeordnet werden und kommt besonders häufig in Nord- und Westeuropa vor. Sie sind zwar mit der eigenen Situation zufrieden, bewerten jedoch die gesellschaftlichen Einkommens- und Vermögensunterschiede – und dort insbesondere die untersten Einkommen – als ungerecht. Hingegen sehen Befürworterinnen und Befürworter des Status quo (neun Prozent) nur begrenzt gesellschaftliche Ungerechtigkeit; Benachteiligte (sieben Prozent) empfinden ihre eigene Situation als ungerecht, sehen die Einkommen anderer jedoch als gerecht an.

„Die Sozialpolitik in ganz Europa ist gefragt, die ungerecht empfundenen Unterschiede in Einkommen und Vermögen anzugehen“, so Studienautorin Adriaans. Politikerinnen und Politiker sollten dabei berücksichtigen, welche Profile in ihrem Land dominieren. Wenn die Kritikerinnen und Kritiker überwiegen, könnten breit angelegte Umverteilungsmaßnahmen wie ein bedingungsloses Grundeinkommen ihre Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten gut adressieren. In einem Land mit vielen Benachteiligten ließe sich dafür wohl schwerer eine Mehrheit in der Bevölkerung finden, die eine so umfangreiche Umverteilung unterstützt. Hier wären zielgerichtetere Maßnahmen wie ein verbesserter Arbeitsschutz im Niedriglohnbereich oder ein höherer Mindestlohn sinnvoller.

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