John Zorn einen Tausendsassa der Musik zu nennen wäre eine Untertreibung. Manche Künstler bringen nur alle paar Jahre ein Album raus, John Zorn veröffentlicht jeden Monat ein neues. Keines gleicht dem anderen. Seit Jahrzehnten ist sein Output an neuer Musik immens.
Das Spektrum von John Zorns stilistischen Vorlieben ist ungemein breit und wird beim Festival entsprechend reflektiert. Es reicht von krachend lautem, schnellen Metal-Hardcore bis zu engelhaften A-cappella-Gesängen im Gedenken an die Mittelalter-Visionärin Hildegard von Bingen, von exakt auskomponierten Partituren für Streichquartett bis zu bezaubernd versponnener Musik für Gitarre, Harfe und Vibrafon, von Americana-Songs für Petra Haden bis zu selbst für die weltberühmte Sopran-Virtuosin Barbara Hannigan nahezu Unsingbarem, das jene letztlich natürlich doch grandios hinbekommt.
1953 in New York City geboren und in Queens aufgewachsen, komponierte John Zorn mit acht Jahren erste Stücke. Seine ästhetischen Maßstäbe entwickelte er früh im Spannungsfeld zweier Extreme: der verknappten, aufs Wesentliche komprimierten Musik Anton Weberns und den über alle Ufer tretenden Klangströmen, die er bei Konzerten des Free-Jazz-Pianisten Cecil Taylor erlebte. Zorns unstillbarer Heißhunger auf Musik aller Art und jeder Gattung machte ihm die Beschränkung auf nur ein Genre von vornherein unmöglich. In der Vielfalt der Stile und musikalischen Idiome und dem Vermögen, sie jederzeit zu wechseln, auch mal im Sekundentakt, fühlt er sich eher als Filmkomponist, der in allen Sätteln zuhause ist und jeweils passgenau liefert, wonach die Szene seines endlosen imaginären inneren Films gerade verlangt.
John Zorns Werk erscheint seit 30 Jahren auf dem eigenen Label Tzadik, zudem ist er seit 2005 künstlerischer Leiter eines kleinen Non-Profit-Aufführungsorts für experimentelle Musik, The Stone im East Village von Manhattan, in dem seither ungefähr 5000 Veranstaltungen stattgefunden haben.
Beim »Elbphilharmonie Reflektor« in eigener Sache tritt John Zorn als Instrumentalist am Altsaxofon zwar nur drei Mal in Erscheinung – in drei unterschiedlichen Besetzungen seines Langzeit-Projekts Masada. Doch stammt alle Musik, die in den vier Tagen gespielt wird, ob improvisiert oder aus Noten vorgetragen, ausnahmslos von ihm.
Tag eins – Donnerstag, 17. März
So gräbt sich das Trio Simulacrum mit John Medeski (Orgel), Matt Hollenberg (Gitarre) und Kenny Grohowski (Schlagzeug), das das allererste Konzert bestreitet (18 Uhr, Kleiner Saal), mit Wucht und Autorität durch Zorns Schaffen für hochintelligenten Hochgeschwindigkeits-Metal. Die rockgeschichtlichen Bezüge, sind faszinierend vielschichtig; die schiere Power und Spielfreude der Interpreten aber überwältigen und ziehen die Zuhörer vollkommen in die Gegenwart des erlebten Augenblicks.
Abends dann präsentiert sich Zorn als Improvisator mit zwei Formationen, dem Masada Quartet und dem New Masada Quartet. Zuerst in der Ur-Besetzung von Masada mit Dave Douglas (Trompete), Joey Baron (Schlagzeug) und Greg Cohen (Bass), nach der Pause mit Julian Lage (Gitarre), Jorge Roeder (Bass) und Kenny Wollesen (Schlagzeug). Beiden Masada-Formationen liegt ähnliches Improvisations-Quellenmaterial zugrunde – jüdische Skalen und von Zorn daraus komponierte Songs (20 Uhr, Großer Saal).
Tag zwei – Freitag, 18. März
Eine ganz andere Facette des Zornschen Schaffens zeigt sich bei »The Turner Études«, einem technisch überaus anspruchsvollen Zyklus für Soloklavier, für den späte Skizzen des britischen Malers William Turner die Inspiration lieferten. In Stephen Gosling, Spezialist für neue Musik auf dem Klavier, hat Zorn dafür einen idealen Interpreten gefunden (18 Uhr, Kleiner Saal). Den nächsten stilistischen Schnitt bietet das Abendprogramm »Sacred Music« im Großen Saal. Im ersten Teil singen fünf Vokalistinnen a cappella Zorns »The Holy Visions«, ein Mysterienspiel in elf Strophen über die mittelalterliche Mystikerin und Klosterfrau Hildegard von Bingen. Anschließend erklingt seine Hommage an Teresa de Ávila, gleichfalls katholische Mystikerin und Heilige aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts, komponiert für drei Konzertgitarren (20 Uhr). Wo, bitte, hat man sonst jemals Gelegenheit, die Großmeister Bill Frisell und Julian Lage auf einer Bühne zusammen zu erleben, zu denen sich mit Gyan Riley noch ein dritter feiner Konzertgitarrist hinzugesellt, im übrigen Sohn des Minimal-Music-Pioniers Terry Riley?
Im Nachtprogramm locken die »Songs for Petra« erneut in den Kleinen Saal. Dabei handelt es sich um eine Kollektion Americana-orientierter Lieder, die Zorn für eine der Drillingstöchter des unvergessenen Jazz-Bassisten Charlie Haden geschrieben hat. Als Begleiter stehen die drei Instrumentalisten des New Masada Quartets auf der Bühne, außerdem der Sänger und Gitarrist Jesse Harris, von dem auch die Texte der »Songs for Petra« stammen (22 Uhr).
Tag drei – Sonnabend, 19. März
Immer wieder hat John Zorn bei seinen zahllosen Projekten mit speziellen Versuchsanordnungen experimentiert, die in die Improvisation eine Struktur und ins allzu Strukturierte das Element des Unplanbaren hineinbringen. So ist bei der Musik für das Quartett Heaven and Earth Magick jede Note von Klavier (Stephen Gosling) und Vibrafon (Sae Hashimoto) minutiös ausgeschrieben, während Jorge Roeder (Bass) und Ches Smith (Schlagzeug) innerhalb eines zuvor von John Zorn festgelegten Rahmens im Hinblick auf Stilistik, Artikulation und weitere Parameter frei über den Notentext improvisieren (12 Uhr, Kleiner Saal).
Im Kaistudio kommt es dann zur Welturaufführung von »John Zorn Volume 3«, dem dritten Film von Mathieu Amalric mit und über John Zorn. »Außer ihm lasse ich schon lange niemanden mehr mit der Kamera hinter die Bühne«, sagt Zorn über Amalric. Der französische Schauspieler (sehr nachdrücklich etwa als Bond-Bösewicht in »Ein Quantum Trost« zu erleben) begleitet Zorn als Filmemacher schon seit über zehn Jahren. Vor der Vorführung unterhalten sich die beiden in einem Podiumsgespräch über diesen Film, der nach »Zorn« und »John Zorn II« der letzte Teil dieser einzigartigen Langzeit-Dokumentation sein soll (14 Uhr).
Das für seine exzellenten Interpretationen zeitgenössischer Kammermusik weltweit gefeierte JACK Quartet aus New York widmet sich am Nachmittag in einem ersten Konzert dem komplexen Schaffen John Zorns für Streichquartett und beweist, wie aufregend, phantasievoll und unverwechselbar der New Yorker Komponist auch für die Königsdisziplin der E-Musik zu schreiben vermag (16 Uhr, Kleiner Saal).
Am frühen Abend gehört dann die Bühne dort für eine Stunde der brandneuen Band Chaos Magick, bei der sich das Simulacrum Trio vom Eröffnungskonzert mit dem Keyboarder Brian Marsella zum Quartett erweitert – eine Premiere (18.30 Uhr, Kleiner Saal).
Im Großen Saal kommt es dann zur besten Sendezeit zum Showdown zwischen vertrackter Vokalmusik John Zorns und der einzigartigen Sängerin Barbara Hannigan, die das Publikum in der Elbphilharmonie schon wiederholt in Entzücken versetzte. Sie singt zwei von Zorn für sie komponierte Werke, »Jumalattaret« und »Pandora’s Box«. »Jumalattaret« geht auf das finnische Nationalepos Kalevala zurück, das an Drastik und Brutalität seinesgleichen sucht. Den Part zu erarbeiten brachte selbst die furchtlose Barbara Hannigan an den Rand der Verzweiflung. Während dieses Stück (aberwitzig schwierige) Klavierbegleitung vorsieht (Stephen Gosling), hat Zorn »Pandora’s Box« für Hannigans Sopran und Streichquartett komponiert (JACK Quartet). Zwischen den beiden Gipfelbesteigungen mit der Extremsopranistin erklingt Zorns musikalische Version des Hohelieds der Liebe Salomos aus dem Alten Testament des, »Song of Songs«, dargeboten von den fünf Sängerinnen, die auch »The Holy Visions« singen – Kirsten Sollek, Eliza Bagg, Elizabeth Bates, Sarah Brailey (Grammy-Gewinnerin 2021) und Rachel Calloway. Als Erzähler wirkt neben Hannigan auch Mathieu Amalric bei diesem Konzert mit (20 Uhr).
Wer denken würde, Zorn habe an dem Tag genug geleistet, den belehrt der Meister eines Besseren. Wie könnte er die Gelegenheit verstreichen lassen, sich auch noch die 4765 Pfeifen der Klais-Orgel des Großen Saals gefügig zu machen? »The Hermetic Organ« mit John Zorn solo bannt die Hardcore-Fans um 22.30 Uhr.
Tag vier – Sonntag, 20. März
Im Universum des John Zorn hat natürlich auch das gute, alte Trio mit Klavier, Bass und Schlagzeug seinen Platz, eine der ehrwürdigsten Besetzungen des Genres. Brian Marsella, Trevor Dunn und Kenny Wollesen führen vor, wie auch dieses Format in Zorns schöpferischer Phantasie ein unverwechselbares Eigenleben annimmt (12 Uhr, Kleiner Saal).
Was die formidablen Musiker des JACK Quartet vom Zornschen Gesamtwerk für Streichquartett in ihrem ersten Konzert am Sonnabend nicht unterbringen können, spielen sie am letzten Festivaltag im Kleinen Saal (16 Uhr).
Am frühen Abend tritt dort das Gnostic Trio auf, das mit Bill Frisell (Gitarre), Carol Emanuel (Harfe) und Kenny Wollesen (Vibrafon) die nach Zorns eigener Einschätzung liebenswürdigste, schönste und friedfertigste Musik spielt, die er je komponiert hat (18.30 Uhr).
Zum großen Finale wagt Zorn eine Weltpremiere: Das erste Konzert von New Electric Masada, einem Tentett, bei dem er am Altsaxofon zwei Gitarristen (Frisell, Lage), zwei Keyboarder (Medeski, Marsella), zwei Schlagzeuger (Baron, Wollesen) sowie Ikue Mori (Electronics), Trevor Dunn (Bass) und die Percussion-Legende Cyro Baptista um sich schart (20 Uhr). Dieses Debüt verspricht zum gloriosen Abschluss eines Festivals zu werden, das selbst die Elbphilharmonie in einen kreativen Ausnahmezustand versetzt, von dem man noch lange sprechen wird.
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