Insgesamt eine Million Menschen in Deutschland haben bis heute für fuß- und fahrradfreundliche Städte unterschrieben. Die Radentscheidbewegung, die 2015 mit Changing Cities und dem Volksentscheid Fahrrad in Berlin begann, begeisterte zuerst Großstädter*innen. Heute sind es zunehmend mittlere und kleinere Städte, die auch die Blechlawinen aufhalten wollen. Nur in einem einzigen Fall, in Kaarst/NRW, wurde zwischen Politik und Zivilgesellschaft kein Kompromiss gefunden; dort entscheiden die Bürger*innen am 6. März an der Wahlurne.

In der sieben Jahre alten Radentscheidbewegung haben durchschnittlich 391 Menschen pro Tag für lebenswerte Städte unterschrieben. Heute gibt es bundesweit 51 Radentscheide und das Wachstum ist beeindruckend.

„Wenn eine Million Menschen für lebenswerte Städte unterschreiben, spiegelt dies einen tiefen Wunsch der Zivilgesellschaft nach einer gerechteren Verteilung des öffentlichen Raumes wider. 70 Jahre lang wurde das Auto dort immer bevorzugt behandelt und die Radentscheidbewegung sagt einfach: Jetzt sind wir, die Menschen, dran. Wir wollen eine echte Wahl haben, wie wir uns fortbewegen”, sagt Ragnhild Sørensen von Changing Cities.

Die Verkehrswende von unten entsteht, weil es in der Zivilgesellschaft vor Ort mächtig brodelt: Warum müssen wir als Radfahrende und zu Fuß Gehende immer zurückstecken, ausweichen und vor allem geduldig warten? Warum sind die Straßen so gefährlich für uns? Und warum ändert sich seit Jahrzehnten nichts daran? Bürger*innen wollen mit einem Radentscheid kundtun, dass es eine echte Mobilitätswahl erst gibt, wenn ein sicheres und komfortables Netz an Wegen für den Fuß- und Radverkehr und ein gutes ÖPNV-Angebot zur Verfügung stehen. Die Klimakrise hat dieser Forderung noch mehr Dringlichkeit verschafft, weil die CO2-Emissionen aus aktiver Mobilität per Fuß und Rad zu vernachlässigen sind.  
Die kommunale Politik ist in den meisten Fällen von einem Radentscheid überrascht: Verkehrspolitik ist institutionalisiert und wird meistens im stillen Kämmerlein ausgehandelt. Es hat sich aber gezeigt, dass das Engagement von Bürger*innen eine Chance für die Kommunen darstellt, einerseits erforderliche Veränderungen umzusetzen und andererseits Zivilgesellschaft und Verwaltung in Einklang zu bringen. Als „ein Liebesbrief an die demokratische Stadt“ wurde ein Radentscheid mal beschrieben.

„Auf der einen Seite stehen die Radentscheide: Ihnen dient das Fahrrad als politisches Vehikel, um andere, zukunftsfähige Gestaltungsmöglichkeiten für Stadt und öffentlichen Raum aufzuzeigen. Auf der anderen stehen die Kommunen: Für sie ist der bürgerorientierte Wandel nachhaltiger als ein Wandel, der rein administrativ geplant und durchgeführt wird. Diese Win-Win-Situation für Zivilgesellschaft und Kommunen ist der Hintergrund des Erfolges der Radentscheidbewegung“, so Sørensen.

Allerdings wird in vielen Städten die Trägheit der Umsetzung bemängelt. Ein gerechterer Zugang zum öffentlichen Raum wird vielerorts nur in Trippelschritten von schwerfälligen Verwaltungen realisiert. Vollends schwierig wird es, wenn innerstädtische Straßen in der Zuständigkeit des Landes oder des Bundes liegen. Deswegen gründeten die Initiativen 2019 BundesRad, den Zusammenschluss der Radentscheide, der vor allem bundespolitische Stolpersteine einer Verkehrswendepolitik problematisiert.

Fakt ist: Im Verkehrssektor muss Deutschland bis 2030 die CO2-Emissionen in etwa halbieren. Es stehen also enorme Veränderungen an. Da diese Umstellungen erwartungsgemäß sehr langsam vor sich gehen, ist zu erwarten, dass die Radentscheidbewegung wächst. Oder anders gesagt: Wenn in ein bis zwei Jahren die zweite Million geknackt wird, wissen die Kommunen, dass sie den Bürger*innen zu wenig Transformation zugetraut haben.

Über den Changing Cities e.V.

Wir fördern zivilgesellschaftliches Engagement für lebenswertere Städte. Das bislang größte Projekt von Changing Cities e.V. ist der Volksentscheid Fahrrad in Berlin, mit dem es 2016 gelang, die Berliner Verkehrspolitik zu drehen und das bundesweit erste Mobilitätsgesetz anzustoßen. Changing Cities e.V. unterstützt landes- und bundesweit Bürger*inneninitiativen, die sich im Bereich nachhaltige Verkehrswende und lebenswerte Städte einsetzen, mit Kampagnenwissen oder stößt solche Initiativen an. Changing Cities ist als gemeinnützig anerkannt.

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