„Das Jahr hat für Medienschaffende in Mexiko mit einem Blutbad begonnen. Wir sind entsetzt, dass die mexikanischen Behörden trotzdem weder die Morde entschieden verurteilen noch die Schutzmaßnahmen für Journalistinnen und Journalisten verstärken“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wie viele müssen noch sterben, bevor die Behörden endlich handeln? Die Bundesbehörden wie auch die lokalen Behörden müssen alles daran setzen, die Verantwortlichen für diese feigen Morde zu ermitteln und zur Rechenschaft zu ziehen, und die nationalen wie regionalen Schutzmechanismen für Medienschaffende effektiv zu stärken.“
Kritisches Medium im Fadenkreuz
Der 55-jährige Roberto Toledo, der in den vergangenen vier Jahren für die Nachrichten-Website Monitor Michoacán gearbeitet hatte, wurde am Montag (31.01.) in Zitácuaro, einer Stadt im zentralen Bundesstaat Michoacán, ermordet. Monitor Michoacán ist eine meinungsstarke Nachrichtenseite, die regelmäßig die Korruption in der Regierung des Bundesstaats und das hohe Maß an Gewalt dort anprangert. Als am Montag drei Personen an die Tür des Medienunternehmens klopften, war es Toledo, der öffnete. Die Unbekannten eröffneten sofort das Feuer und zogen dann ab. Toledo erlag seinen Schussverletzungen noch im Krankenwagen.
Chefredakteur Armando Linares erklärte gegenüber RSF, dass nicht der einzelne Journalist, sondern das Medienunternehmen das Ziel war. „Jeder, der die Tür geöffnet hätte, wäre getötet worden“, sagte er. Diese Ansicht wird durch die Tatsache untermauert, dass Toledo in den vergangenen zwei Jahren hauptsächlich als Fotograf gearbeitet und nur selten Namensartikel geschrieben hatte. „Er sammelte Informationen, machte Fotos und Videos“, sagte Linares. „Um Probleme zu vermeiden, wollte er die Geschichten, die er schrieb, nicht mit seinem Namen versehen, also erschienen sie unter meinem Namen.“
Nachdem die Leitung der Website vor einigen Monaten anonyme Drohanrufe erhalten hatte, reichte ihr Anwalt einen Antrag auf Schutz beim Innenministerium ein, das für den nationalen Schutzmechanismus für Journalistinnen und Journalisten zuständig ist. Laut Linares gab es jedoch keine Anzeichen dafür, dass die Bundesbehörden den Antrag erhalten oder bearbeitet hätten.
Kurz nach dem Mord an Toledo wurden in der Nähe des Tatorts zwei Plakate mit Drohungen gegen die Anwälte von Monitor Michoacán gefunden. Sie waren vom Cartel Jalisco Nueva Generación unterzeichnet, dem einflussreichsten Drogenkartell der Region.
Nachdem er die Ermordung Toledos in einem Tweet verurteilt hatte, behauptete der Sprecher von Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador, Jesús Ramírez, in einem weiteren Tweet, Toledo habe als Assistent in einer Anwaltskanzlei und nicht als Journalist gearbeitet. Dies wurde von der Nachrichtenwebsite Aristegui Noticias widerlegt, die berichtete, dass seit Juli 2021 auf Monitor Michoacán zwei von Toledo verfasste Artikel veröffentlicht wurden, einer davon über Günstlingswirtschaft innerhalb der örtlichen Polizei.
Journalistin bat Staatspräsident um Schutz
Die freiberufliche Journalistin Lourdes Maldonado López wurde am 23. Januar in der Grenzstadt Tijuana im nordwestlichen Bundesstaat Baja California kaltblütig erschossen, als sie ihr Auto vor ihrem Haus parkte. Zwei Personen fuhren mit einem Taxi vor, eröffneten das Feuer auf sie und sammelten die verbrauchten Patronenhülsen ein, bevor sie wegfuhren.
Maldonado war eine erfahrene und sehr meinungsstarke Journalistin, die sich gegen Gewalt und Korruption einsetzte. Sie war die Gründerin und Moderatorin von Brebaje con Lourdes Maldonado, einem lokalen Nachrichtenprogramm auf Facebook. In der Vergangenheit hatte sie für Medien wie Canal de Noticias de Rosarito und den Fernsehsender Televisa gearbeitet.
Maldonado war vor mehr als einem Jahr in den Schutzmechanismus des Bundesstaates Baja California aufgenommen worden. Ab Oktober 2021 wurde ihr Haus von Polizeistreifen überwacht, und sie hatte einen Panikknopf erhalten, den sie zu Hause aufbewahrte, anstatt ihn auf ihrem Mobiltelefon zu installieren, da sie den örtlichen Behörden nicht vertraute. Sie hatte sich nicht an den nationalen Schutzmechanismus gewandt.
Seit fast neun Jahren lag sie im Streit mit dem Geschäftsmann und Lokalpolitiker Jaime Bonilla, der von 2019 bis 2021 Gouverneur von Baja California war. Wenige Tage vor ihrem Tod hatte sie einen Prozess gegen Primer Sistema de Noticias (PSN) gewonnen, ein lokales Medienkonsortium im Besitz von Bonilla, von dem sie vor Jahren vertragswidrig entlassen worden war. Auf einer der morgendlichen Pressekonferenzen von Präsident López Obrador im Jahr 2019 sagte sie, sie fürchte im Zusammenhang mit diesem Fall um ihr Leben.
Tod von Fotojournalist löst landesweite Proteste aus
Der Fotojournalist Alfonso Margarito Martínez Esquivel, der sich auf Kriminalitäts-Berichterstattung spezialisiert hatte, wurde am 17. Januar ebenfalls in Tijuana erschossen. Vor seinem Haus im Viertel Camino Verde wurde er von zwei Schüssen getroffen, nachdem er in seinen Wagen gestiegen war, um über einen anderen Mord zu berichten.
Der 49-jährige Martínez arbeitete für die Zeitschrift Semanario Zeta und berichtete häufig auch für die Zeitung Zeta und die Tageszeitung La Jornada de Baja California. „Alfonso hatte wegen seiner Artikel immer wieder Probleme mit der Polizei“, sagte Zeta-Chefredakteurin Adela Navarro gegenüber RSF. „2019 hat die Polizei sogar versucht, seine Ausrüstung zu konfiszieren. Es gab mehrere Vorfälle dieser Art.“
Laut Kollegen fühlte sich Martínez unter anderem von lokalen kriminellen Gruppen bedroht und fürchtete um sein Leben. Nachdem er im vergangenen Dezember auf der Straße bedroht und eingeschüchtert worden war, bat er den Bundesstaat Baja California, ihm Schutz zu gewähren. Sein Antrag wurde wegen eines Regierungswechsels im Monat zuvor nicht bearbeitet. Daraufhin wandte er sich an den nationalen Mechanismus für den Schutz von Journalistinnen und Journalisten, der zwar die Drohungen gegen ihn zur Kenntnis nahm, ihn aber nicht offiziell in das System aufnahm und ihm keinen Schutz gewährte.
Größte Solidaritätsaktionen seit fast fünf Jahren
Der Tod von Martínez löste Proteste in mehr als 40 Städten in ganz Mexiko und zahlreiche Unterstützungsbekundungen in den sozialen Medien unter den Hashtags #NiSilencioNiOlvido, #PeriodismoEnRiesgo und #NoSeMataLaVerdad aus. Solidaritätsbekundungen in einem solchen Ausmaß hatte es seit der Ermordung von Javier Valdez im Jahr 2017 nicht mehr gegeben. Die neue Gouverneurin von Baja California, Marina del Pilar Ávila Olmedo, kündigte die Einsetzung eines Sonderstaatsanwalts an, der die Morde an Maldonado und Martínez untersuchen soll.
Bereits am 10. Januar war der freiberufliche Journalist José Luis Gamboa Arenas in Veracruz, der größten Stadt im südöstlichen Bundesstaat Veracruz, tot aufgefunden worden, etwa 15 Meter von seinem Haus im Stadtteil Floresta entfernt. Auf ihn war mehrfach eingestochen worden, seine Familie identifizierte die Leiche erst am 13. Januar.
Gamboa, der die Website Inforegio-Netword und die Wochenzeitung El Regional del Norte leitete, schrieb hauptsächlich Meinungsartikel und unabhängige investigative Berichte. In den sozialen Medien kritisierte er Korruption in der Lokalpolitik und deren Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Am Tag seiner Ermordung hatte er ein Video mit dem Titel „Der Krieg um die Narkopolitik“ und einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Zunahme von hinrichtungsartigen Morden im Hafenviertel der Stadt anprangerte.
Der Gouverneur von Veracruz, Cuitláhuac García, teilte am 17. Januar mit, dass die Ermittlungen der örtlichen Staatsanwaltschaft Fortschritte gemacht hätten und dass die Theorie eines Zusammenhangs mit der Arbeit von Gamboa ernsthaft in Betracht gezogen werde. Die Journalistenschutzorganisation CEAPP in Veracruz teilte unterdessen mit, dass Gamboa keinen besonderen Schutz genossen habe und nicht als Ziel eines „früheren Angriffs“ oder einer „Bedrohung“ registriert worden sei.
Nach Zählung von RSF wurden 2021 in Mexiko mindestens sieben Medienschaffende in Zusammenhang mit ihrer Arbeit ermordet, was das Land zum gefährlichsten der Welt für Journalistinnen und Journalisten macht. Seit López Obrador im Dezember 2018 Präsident wurde, sind mindestens 28 Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung getötet worden.
Um dieses Problem anzugehen, führt RSF eine umfassende Untersuchung der Mechanismen zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten in Mexiko und sowie in Brasilien, Kolumbien und Honduras durch. RSF hofft, die detaillierten Ergebnisse und Empfehlungen der Studie bis Ende Februar veröffentlichen zu können.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko auf Platz 143 von 180 Staaten. Mehr Informationen zur Lage der Pressefreiheit in Mexiko finden Sie hier: www.reporter-ohne-grenzen.de/mexiko.
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