"Wir warnen hier vor Schnellschüssen. Die Situation auf den Wohnungsmärkten hat sich seit der Gründung des Hamburger Bündnisses deutlich verändert, die Anforderungen zur Bewältigung der Klimakrise überlagern das komplette Baugeschehen, beim Neubau wie bei der Verbesserung der bestehenden Gebäude. Fachkräftemangel, Materialknappheit, Baupreisexplosion und davongaloppierende Grundstücks‐und Immobilienpreise sind zentrale Hindernisse. Der einseitig neubaufixierte Blick auf die Hamburger Wohnungspolitik hilft uns hier in Berlin schon wegen der schwierigeren sozialen Situation nicht weiter", erklärte der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, anlässlich der Vorstellung einer Kurzstudie zum Wohnungsmarktvergleich zwischen Berlin und Hamburg. "Der angeblich politisch verursachte Rückstand der Berliner Wohnungssituation gegenüber Hamburg trifft nur in sehr begrenztem Maße zu und ist in Teilen schon durch frühere Landesregierungen verursacht".
Die differenzierte Analyse des Wohnungsmarktvergleichs hat Schwächen und Stärken hier wie dort aufgezeigt. "Wir konnten nicht feststellen, dass es für eine der beiden Städte ein klares Plus in allen Bereichen gibt", so Wild. Allerdings zeugt die Analyse auch von den massiven Schwierigkeiten in beiden Städten, mittels städtischer oder landesrechtlicher Instrumente in einem überwiegend privat organisierten Grundstücks‐, Bau und Immobilienmarkt auf extrem schnelles Bevölkerungswachstum zu reagieren. "Die zentrale Erkenntnis ist, dass die rechnerische Versorgungssituation auch trotz vielfältiger Neubauaktivitäten in Berlin und Hamburg weiterhin schlecht ist, in Hamburg trotz stärkerer Neubauaktivitäten sogar noch schlechter als in Berlin", so Wild. Das verwundert, hat aber mit der historisch bedingt schlechteren Ausgangslage in Hamburg zu tun. Es steht also in Frage, ob in angemessener Zeit der durch das zuwanderungsbedingte Bevölkerungswachstum entstehende Bedarf an zusätzlichem Wohnraum überhaupt mittels Neubauten befriedigt werden kann. "Es ist daher nur folgerichtig, sich nach mehreren Jahren mit steigenden Fertigstellungen neuer Wohngebäude nun neben der Stärkung des Mieterschutzes auch aus ökologischen Gründen auf die bedarfsgerechte Errichtung von Wohnungen für breite Schichten der Bevölkerung zu fokussieren", forderte Wild. Leider wird die Bewältigung der Zukunftsaufgaben durch die Bundespolitik – trotz anderslautender Behauptungen – nicht gestärkt. "Der Ampelkoalitionsvertrag zeugt von massiver Ideenlosigkeit und altbackenen Strategien, die schon in der Vergangenheit nicht fruchteten und die ungleichen Lebensverhältnisse durch eine weitere Umverteilung stärkten. Nicht mal der angekündigte Neubau von 100.000 Sozialwohnungen bundesweit, der den Verlust an Bindungen nicht kompensieren würde, ist mittels Bundesförderung hinterlegt", erklärte Wild. Von einer dringend notwendigen Änderung des Bodenrechts zur Eindämmung der Spekulation ist im Koalitionsvertrag keine Rede, von der Verbesserung des Mieterschutzes kaum. "Auch ein Berliner Dialog zu den Wohnungsmarktproblemen oder gar ein neues Bündnis können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Erfolg aller Anstrengungen zur Verbesserung der Wohnungssituation ganz erheblich von der Unterstützung des Bundes abhängig ist", so Wild.
Hier folgen die wesentlichen Ergebnisse des Vergleichs der Wohnungsmarktsituation zwischen Berlin und Hamburg:
1. Rechnerische Versorgungsituation (Anzahl der Wohnungen zu Anzahl der Haushalte)
Trotz aller Neubauaktivitäten und ungeachtet der Zahl von Wohnungsabgängen überrascht das Ergebnis bei der allgemeinen Versorgungsituation. Berlin hat von 2011 bis 2020 rein rechnerisch eine deutliche bessere (rechnerische) Versorgungssituation als Hamburg (Kurzstudie S.10). Die Versorgungssituation hat sich seit 2011 in beiden Städten bis 2017 verschlechtert. Allerdings konnte Hamburg bis 2020 immerhin die gegenüber Berlin schlechtere Versorgungssituation nahezu wieder erreichen, während in Berlin die vergleichsweise gute Versorgungsituation von 2011 nicht erzielt wurde. Bei der Betrachtung der rechnerischen Versorgungsquote wird der Wohnungsbestand in Bezug zu einer rechnerischen Haushaltszahl auf Basis der Bevölkerungszahl gebildet. In Berlin und Hamburg beträgt die Anzahl der Personen pro Haushalt jeweils 1,8. Dies Verfahren wird gewählt, da die tatsächliche Zahl der Haushalte schwer zu bestimmen ist. Wichtig: Die rechnerische Versorgungsquote kann die tatsächliche Situation nur eingeschränkt abbilden, weil sie die konkreten Bedarfe nicht erfasst.
2. Entwicklung der Bevölkerungs‐ und Haushaltszahlen
Von 2011 bis 2019 hatte Berlin mit 10,33% einen deutlich stärkeren Bevölkerungszuwachs als Hamburg mit 7,51% zu verzeichnen. Im Corona‐Jahr 2020 hingegen verstetigte sich das Wachstum in Hamburg, während in Berlin erstmals seit vielen Jahren die Bevölkerung gegenüber dem Vorjahr wieder leicht abnahm. Die für die Versorgung mit Wohnraum maßgebliche Anzahl der Haushalte stieg in Berlin von 2011 bis 2019 um fast 45% stärker an als in Hamburg (8,30% zu 5,73%). Aus der Bevölkerungs‐ und Haushaltsentwicklung ergab sich damit für Berlin eine deutlich schwierigere Wohnungsmarktsituation sowie ein höherer Handlungsbedarf als in Hamburg, an dem die Wohnungspolitik zu messen war.
3. Neubaugeschehen (Baugenehmigungen und Fertigstellungen)
Von 2011 bis 2020 nahm der Wohnungsbestand in Berlin um 5,9%, in Hamburg um 7,6% zu (Kurzstudie S.6 ff.). Die Zahl der Fertigstellungen überstieg in Hamburg den Zuwachs an Haushalten, sodass sich zumindest die rechnerische Versorgungsquote verbessern konnte. In Berlin hat sich hingegen die Versorgungsituation in den Jahren 2014 – 2019 trotz einer Bestandserweiterung um 85.100 Wohnungen rein rechnerisch nicht verbessert, sondern sogar etwas verschlechtert. Allerdings konnten die Jahre 2020 und 2021 wegen fehlender Daten noch nicht ausgewertet werden. Hier hat Berlin gegenüber Hamburg ein deutlich höheres Plus bei der Versorgung zu verzeichnen, weil bei weiterhin hoher Fertigstellungsrate kein Bevölkerungszuwachs mehr eintrat.
Dass schlechtere Ergebnis Berlins bei der Betrachtung der zur Verfügung stehenden Wohnungen könnte zunächst den Schluss zulassen, dass die Entwicklung des Wohnungsbestands aufgrund von Hemmnissen aus Politik und Verwaltung in Berlin nicht mit dem Bevölkerungsanstieg mithalten kann wie in Hamburg. Bei näherer Betrachtung und Berücksichtigung der Baugenehmigungen kann diese Bewertung aber nicht aufrechterhalten werden. Denn auf 1.000 Bewohner bezogen wurden in Berlin wiederum seit 2014 deutlich mehr Baugenehmigungen erteilt als in Hamburg. Die zentrale Frage lautet für Berlin daher, wieso aus sehr vielen Baugenehmigungen deutlich weniger Fertigstellungen folgen als in Hamburg bzw. warum es zu einem massiven Bauüberhang kommt. Der Ball liegt, was die Verbesserung des Verhältnisses von Bevölkerung zu Wohnungen betrifft, daher eindeutig im Bereich der Bau‐ und Immobilienwirtschaft und eher nicht an politischen Beschränkungen oder langen bzw. zermürbenden Baugenehmigungsverfahren.
Bei genauer Betrachtung der Fertigstellungszahlen ist festzustellen, dass der Neubau von Ein‐ und Zwei‐Familienhäusern in Hamburg insgesamt ein deutlich größeres Gewicht hat, bezogen auf die Zahl der Haushalte. Während der Neubau von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern z.B. in 2019 gemessen an der Zahl der Haushalte in Berlin (Quote: 0,76) und Hamburg (Quote: 0,80) etwa gleich ist, werden in Hamburg (Quote: 0,15) im Verhältnis deutlich mehr Ein‐ und Zwei‐Familienhäuser errichtet als in Berlin (Quote: 0,07). Ein – wenn auch nicht sehr großer Teil – der in Hamburg höheren Fertigstellungszahlen geht damit auf das Baugeschehen von Ein und Zwei‐Familienhäusern zurück.
4. Sozialwohnungen
Der Sozialwohnungsbestand ist aufgrund der besonderen Fördersystematik in Deutschland mit den befristeten Preis‐ und Belegungsbindungen bei gleichzeitig niedriger Neubauquote in Berlin und Hamburg in den letzten beiden Jahrzehnten massiv gesunken. So sank die Zahl der Sozialwohnungen in Berlin von 2010 bis 2020 um 37%, in Hamburg von 2007 bis 2020 um 35%. Allerdings ist der Anteil der Sozialwohnungen am Gesamtwohnungsbestand in Hamburg (2020: 75.605 Whg.) mit 7,7% deutlich höher als in Berlin (2020: 95.959 Whg.) mit lediglich 4,84%. Dieser Unterschied hat sich in den letzten Jahren auch nicht nivelliert, sondern eher verschärft, da auf 1.000 Bewohner bezogen die bewilligte Förderung in Hamburg nicht nur bis 2014 sondern auch danach weiterhin höher ist als in Berlin. Von 2017 bis 2020 hat Berlin wenigstens ansatzweise zu Hamburg aufschließen können. In 2002 stellte Berlin aufgrund eines rechnerischen Überhangs (100.000) an Wohnungen die soziale Wohnraumförderung für Neubau bis 2014 ganz ein. Der Verlust an Bindungen sollte nicht kompensiert werden, was einen schweren politischen Fehler darstellt.
Die Gründe für die niedrigeren Bewilligungszahlen im öffentlich geförderten Wohnungsbau Berlins mögen vielschichtig sein (fehlende Grundstücke, hohe Grundstückspreise, fehlende Unterstützung mancher Bezirke). An fehlenden öffentlichen Fördermitteln lag es nicht, da die Programme nicht ausgeschöpft wurden. Offenkundig ist allerdings, dass der 1. Förderweg bei privaten Immobilieneignern bzw. – unternehmen sowie Genossenschaften in Berlin auf deutlich weniger Interesse stößt als in Hamburg. So betrug der Anteil der kommunalen Wohnungsunternahmen am sozialen Wohnungsneubau in Berlin rund 80‐85%, während er in Hamburg nur zwischen 20 und 45% (Differenz wegen unterschiedlicher Daten) liegt.
Es stellt sich daher die Frage, warum nicht‐kommunale Anbieter in Berlin am Sozialen Wohnungsneubau wenig Interesse finden. Bei Genossenschaften könnte es neben mangelndem Interesse vor allem an fehlenden Grundstücken und Konflikten mit den Vertretern/Vertreterinnen liegen. Auch die unzureichende Förderung wird genannt. Gegenüber Hamburg ist hier lediglich ein Fördernachteil bei den Grundstücken mit sehr hohem Bodenwert festzustellen, andererseits gewährt Berlin einen 25%igen Tilgungszuschuss. Ein genauer Vergleich der Förderrichtlinien kann jedoch im Rahmen dieser Expertise nicht erfolgen.
Langfristig erweist sich die höhere "Sozialbauquote" der kommunalen Wohnungsunternehmen in Berlin (0,74 pro 1.000 Bewohner), die etwa (je nach Datenlage, s.o.) etwa doppelt so hoch wie in Hamburg ist (0,34 pro 1.000 Bewohner), als Vorteil. Nach Ablauf der Bindungszeit (aktuell 30 Jahre) steht damit Berlin ein höherer Anteil des geförderten Wohnraums für mittlere und untere Einkommensschichten zur Verfügung, weil damit gerechnet werden muss, dass nach Ablauf der Bindungszeit (Miete und Belegung) in Hamburg ein großer Teil der geförderten Wohnungen mittelfristig nicht mehr für die soziale Wohnraumversorgung zur Verfügung steht. Der Vorteil der höheren Bewilligungsquote in Hamburg relativiert sich daher langfristig.
5. Mietenentwicklung, Haushaltseinkommen und Mietbelastung
Die Angebotsmieten der Internetportale sind in beiden Städten von 2012 bis 2021 deutlich gestiegen, in Berlin um 45,29%, in Hamburg um 26,67%. Der höhere Anstieg in Berlin ist auf das – gegenüber Hamburg – deutlich niedrigere Ausgangsmietniveau zurückzuführen. Lag die durchschnittliche Angebotsmiete 2012 in Hamburg um 36,9% über der von Berlin, so betrug der Abstand in 2021 allerdings nur noch 13,47%.
Die Mietspiegel der beiden Städte geben gemäß der gesetzlichen Grundlagen die ortsübliche Vergleichsmiete wieder. Sie werden nach den gleichen wissenschaftlichen Methoden erhoben und sind vergleichbar (Darstellung als Tabellenmiete). Die darin abgebildete durchschnittliche ortsübliche Vergleichsmiete ist zwischen 2009 und 2021 in ähnlichem Umfang angestiegen, in Berlin etwas stärker als in Hamburg, allerdings über den gesamten Betrachtungszeitraum auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Im Jahr 2009 lag die Mietspiegeldurchschnittsmiete in Hamburg um 39,96% über der Berliner Miete, in 2021 28,86% darüber. Der Abstand verringerte sich daher.
Trotz höherer Einkommen ist nach diesen Berechnungen auf Basis der Mikrozensuserhebungen die Mietbelastung in Hamburg im Durchschnitt aktuell und in der Vergangenheit mit Ausnahme des Jahres 2014 höher als in Berlin. Gerade im Hinblick auf die hohen Belastungsquoten zeigt sich, dass in Hamburg jeweils ein höherer Anteil der Haushalte in allen Vergleichsjahren eine Bruttowarmmietenbelastung von 30% und mehr bzw. 40% und mehr auszuhalten hat. Hier zeigt das deutlich höhere Mietniveau Wirkung.
6. Fazit
Auch eine engagierte Neubautätigkeit hat – zumindest in dem in Berlin und Hamburg ausgeübten Maße ‐ kaum dämpfenden Einfluss auf die Angebotsmieten und schon gar nicht auf die Miethöhen in den Bestandsmietverhältnissen und damit auch nicht auf die Mietbelastung. Denn der Wohnungsneubau hat trotz zahlreicher Anstrengungen nicht für einen Ausgleich zwischen Nachfrage und Angebot gesorgt. Aufgrund verschiedenster Faktoren wie fehlender preisgünstiger Grundstücke, fehlender Baukapazität, fehlendem Personal in Bauwirtschaft und Verwaltung und fehlendem Interesse seitens der Investoren kann es vermutlich hier auch nicht zu einer Entlastung kommen. Die Anzahl der Bewerber auf eine freie Wohnung ist daher in Hamburg und Berlin weiter groß. In der Folge gibt es keine nachlassenden Mietforderungen von Anbietern und damit auch am Ende weitere Preisauftriebe im Mietspiegel, wie der jüngste Hamburger Mietspiegel sehr deutlich zeigt. Die breite Masse der Haushalte von unteren und mittleren Einkommen kann daher von der bislang umgesetzten Neubautätigkeit nicht profitieren. Daran ändern auch die 3.000 jährlich in Hamburg fertiggestellten Sozialwohnungen nichts, denn gleichzeitig geht ein Vielfaches dieser 3.000 günstigen Angebote durch eine nicht funktionierende und unzureichende Mietpreisbremse bei Wiedervermietung verloren. Die Fokussierung auf den Wohnungsneubau allein löst das Problem der Überforderung durch hohe Mieten also nicht. Gemäß den Zielsetzungen des Bundes wird der Schwerpunkt des Neubaus deutlich im freifinanzierten Bereich liegen. Auch wenn in Berlin und Hamburg der Anteil des sozialen oder gemeinwohlorientierten Neubaus nach den Vorstellungen der Landesregierungen bzw. gemäß politischer Bündnisse höher ausfällt (Hamburg) oder ausfallen soll (Berlin), so bleibt der Effekt auf die Versorgungsituation vor allem der bedürftigen Haushalte und auf das Mietniveau marginal.
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