Nachdem es jahrelang höchstens in kleinen Schritten voranging, haben große Unternehmen der Privatwirtschaft in Deutschland zuletzt deutlich mehr Frauen in ihre Vorstände berufen. Dem neuesten Managerinnen-Barometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zufolge gab es im vierten Quartal des Jahres 2021 in den 200 umsatzstärksten Unternehmen 139 Vorständinnen, 38 mehr als ein Jahr zuvor. Der Frauenanteil in den Vorständen der Top-200-Unternehmen stieg damit um gut drei Prozentpunkte auf fast 15 Prozent. So stark ging es seit Beginn des DIW Managerinnen-Barometers im Jahr 2006 noch nie nach oben. „Vorständinnen sind in vielen großen Unternehmen zwar noch immer deutlich unterrepräsentiert, aber die jüngste Entwicklung ist sehr bemerkenswert“, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin. In den Aufsichtsräten gab es 2021 anders als in den Vorjahren deutlich geringere Zuwächse, allerdings auf höherem Niveau von fast einem Drittel Frauen.
Ausschlaggebend für die positive Entwicklung in den Vorständen ist offenbar die neue gesetzliche Mindestbeteiligung. Gebunden daran sind börsennotierte und paritätisch mitbestimmte Unternehmen ab einer Vorstandsgröße von vier Personen. Sie müssen ab August dieses Jahres im Zuge der Neubesetzung von Vorstandsposten mindestens eine Frau – oder im umgekehrten, nicht vorhandenen Fall mindestens einen Mann – in das Gremium berufen.
Auch wenn dies derzeit nur auf 66 Unternehmen zutrifft, scheint die neue gesetzliche Vorgabe bemerkenswerte Antizipationseffekte auszulösen: Zwölf Unternehmen, die im Herbst 2020 noch ohne Frau im Vorstand waren, hatten ein Jahr später eine Vorständin in ihren Reihen. In nur noch 19 der 66 Unternehmen waren die Vorstände im Spätherbst 2021 reine Männerdomänen. Während die Unternehmen, die an die Mindestbeteiligung im Vorstand gebunden sein werden, ihren Frauenanteil in diesem Gremium von gut 14 auf gut 19 Prozent erhöhten, betrug der Anstieg in den anderen Unternehmen lediglich knapp drei Prozentpunkte auf rund 14 Prozent. „Ähnlich wie die gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte scheint auch die Mindestbeteiligung für Vorstände ein effektives Instrument zu sein, um den Frauenanteil in Spitzengremien zu erhöhen“, sagt Virginia Sondergeld, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin.
Geschlechterquoten sind wirksam, aber kein Allheilmittel
Dass Geschlechterquoten wie gewünscht wirken, zeigen auch Berechnungen auf Basis europäischer Daten für die Jahre 2003 bis 2021. Demnach sind Frauen in der Gruppe der EU-Länder, die eine Geschlechterquote eingeführt haben, in Spitzengremien mittlerweile deutlich besser repräsentiert als in der Gruppe der übrigen EU-Länder. Das bestätigt sich auch, wenn in den Berechnungen berücksichtigt wird, dass sich die Länder etwa in den kulturellen Normen bezüglich der Geschlechterrollen oder der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik unterscheiden.
Mit Blick auf Deutschland lässt der starke Anstieg von Frauen in Vorständen hoffen, dass gleichstellungspolitischer Schwung entstehe, so die Studienautorinnen. „Vorständinnen haben direkten Einfluss auf die Unternehmenskultur, Gehaltsschemata, die Personalpolitik und vieles mehr. Im Vergleich zu Aufsichtsrätinnen sind sie zudem für andere Beschäftigte eines Unternehmens deutlich sichtbarer und wirken somit noch besser als Rollenvorbilder“, betont Anja Kirsch, Professorin für Gender, Governance und internationales Management an der Freien Universität Berlin. Deshalb spreche vieles dafür, solche Vorgaben gegebenenfalls noch auszuweiten, zumal die Reichweite des Beteiligungsgebots für Vorstände in Deutschland mit 66 Unternehmen im europäischen Vergleich äußerst gering sei. „Die Politik sollte daher erwägen die Mindestbeteiligung in Vorständen auszuweiten, beispielsweise auf sämtliche börsennotierte Unternehmen“, so Wrohlich.
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