Wirkliche Idole in der heutigen, diffusen, überwiegend von weltlichem Ehrgeiz geprägten Gesellschaft zu finden, dürfte schwer fallen. Kein Wunder, dass Annette Streyl (1968 geboren in Münster, lebt in Hamburg) in ihrer „Idols“ betitelten, ersten Einzelausstellung in der Galerie „Schacher – Raum für Kunst“ auf Vorbilder von Hans Holbein dem Jüngeren (1497-1543) und Tilman Riemenschneider (1460-1531) zurückgreift. Die mit einem Soft-Opening am 28.1. zwischen 19 und 23 Uhr eröffnende Schau vereint vom Galeristenpaar Katrin und Marko Schacher ausgesuchte, auf die Räume abgestimmte Holzreliefs und Steinskulpturen – ergänzt um eine neue Figurengruppe von Birgit Feil (1965 geboren in Stuttgart, lebt in Warmbronn) im Projektraum.

Eventuell spielt die Betitelung der Holzreliefs als „Museum für Arme“ auf die preiswerten Anschaffungskosten des Materials an. Die sogenannten „Siebdruckplatten“ (auch „Schichtholzplatten“ genannt) sind in jedem Baumarkt zu kaufen. Die religiöse Sinnlichkeit, die Annette Streyl ihnen entlockt, ist dagegen einzigartig! Die gelernte Steinmetzin und studierte Bildhauerin bearbeitet die zumeist schwarz beschichteten Platten mit klassischen Bildhauer-Werkzeugen und macht sich buchstäblich auf eine Spurensuche, bei der sich nach und nach wie selbstverständlich scherenschnitt-artige Silhouetten von adelig wirkenden Personen herausschälen. Kenner der Kunstgeschichte werden schnell die Protagonisten von Hans Holbein d.J. wiedererkennen. Indem Annette Streyl die Hauben, Kappen und Umhängemantel der Figuren betont, abstrahiert sie die konkreten Portraits zu Archetypen. Die sichtbar werdenden rosa-farbenen Klebstoff-Schichten und braunen Leimspuren bezeugen mit den nicht steuerbaren Absplitterungen und Maserungen der Holzschichten die Poesie des Zufalls.

Auch Streyls dreidimensionale Figuren aus Kalksandstein haben ihre Vorbilder bei Hans Holbein d.J. und seinen Zeitgenossen. Die gemeißelten menschlichen Köpfe sind aber mit geometrischen Körpern verschmolzen und scheinen als geisterhafte Wesen vor den Wänden zu schweben und uns aufzufordern, Stellung zu beziehen: körperlich im Raum und emotional, auf der seelischen Ebene. Eventuell sind es ja Schutzengel, die ihre Unterstützung anbieten? Die ebenso an überdimensionale Larven, einbalsamierte Mumien und in Tücher gewickelte Kleinkinder erinnernden Figuren haben ihre Augen geschlossen und verströmen – wie auch die Holzreliefs – eine geradezu religiöse Aura. Die teils eingearbeiteten Kleberollen addieren einen spielerischen Humor.

Kleinformatige, aus Ton gefertigte Büsten, die nach Vorlagen von Tilman Riemenschneider gefertigt wurden, zeigen Heilige und Gekrönte. Durch ihre lange Verweildauer im Brennofen erinnern die dunklen Büsten an Steinfiguren und Bronzegüsse. Auf treppenartigen Sockeln aus Holzplatten präsentiert, werden sie zu Denkmalen der Moderne. In Ton geformte, räumlich verzerrte Köpfe und sogenannte „Gargoyles“ (von gotischen Wasserspeiern inspirierte Fantasie-Geschöpfe) ergänzen das Figuren-Panorama.

Annette Streyl schafft das Wunder, Alte Meister in einer aufregend neuen, eigenständigen Handschrift zu präsentieren. Niederknien muss in der „Idols“-Schau niemand. Aber ruhiger und gelassener werden sicher viele Besucher werden – in diesen hektischen Zeiten ein erstrebenswerter Nebeneffekt des Galerie-Besuchs. Im Projektraum der Galerie sind ergänzend neue Skulpturen aus dem Kunststoff Acrystal von Birgit Feil (kürzlich ausgezeichnet mit dem „Böblinger Kunstpreis“) zu sehen, die sich vor Ort zur Installation addieren.

Annette Streyl – Idols
Im Projektraum: neue Figurengruppe von Birgit Feil
Schacher – Raum für Kunst, Galerienhaus 3.0, Breitscheidstr. 48, Stuttgart

Eröffnung: Fr 28.01.2022, 19-23 Uhr; Worte: Katrin Schacher
29.01. – 12.03.2022, Di-Fr 14-19, Sa 11-16 Uhr
tagesaktuelle Infos und Bilder: www.galerie-schacher.de und www.galerienhaus-stuttgart.de

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Schacher – Raum für Kunst
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