Kapital- trifft Anlagenotstand
Der Anlagenotstand der Bürgerinnen und Bürger ist groß. Von den brutto über sieben Billionen Euro Geldvermögen, über das die Deutschen nach Angaben der Bundesbank verfügen, stecken gut 40 Prozent in niedrig oder gar nicht rentierlichen Anleihen oder liegen auf Bankkonten. Nur gut ein Fünftel ist in Aktien oder Investmentfonds angelegt, wobei von den gut zehn Prozent in Fonds investierten Geldern wiederum nur etwa ein Drittel Aktienfonds sind. Vermögensaufbau ist bei dieser Anlagestruktur nicht zu erwarten, obwohl er für die Altersvorsorge oder den Erwerb von Wohneigentum eigentlich dringend benötigt würde.
Der Anlagenotstand der Bürger trifft auf den Kapitalnotstand des Staates, der seit der Coronakrise vor noch größeren finanziellen Herausforderungen steht als davor. Denn es bedarf öffentlicher Investitionen und staatlicher Ausgaben weit über die Bewältigung der Corona-Folgen hinaus: für die Transformation zu einer nachhaltigen, CO2-neutralen Volkswirtschaft, die Förderung des technologischen Wandels in der Industrie 4.0 und den Ausbau der digitalen wie der Verkehrsinfrastruktur.
Privates Kapital aktivieren
Was liegt in dieser Situation näher als den Kapitalnotstand des Staates mit dem Anlagenotstand der Bürger zu lösen? Warum nicht den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, dass sie ihr im Geldvermögen schlummerndes Kapital aktivieren? Zum Beispiel, indem sich private Investoren direkt an Infrastrukturinvestitionen privater und öffentlicher Projektoren beteiligen können. In der Erwartung einer Rendite, die über jener von Staatsanleihen liegt. Und bei einer Volatilität, die niedriger ist als bei Aktien.
Wenn beispielsweise Datenautobahnen im Standortwettbewerb dringend gebraucht werden, warum sollten sie nicht auch denen gehören, für die sie die Daten transportieren? Die Beteiligung an (öffentlichen) Investitionen kann zu einer tragenden Säule der Vermögensbildung werden.
Wohneigentum fördern
Eine weitere Säule der Vermögensbildung sollte in der stärkeren Förderung von Wohneigentum bestehen. Diesem kommt eine wichtige Rolle für die soziale Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu und ist gerade in einer Zeit steigender Immobilienpreise und Mieten eine wichtige soziale Aufgabe. Doch Fakt ist: Mit einer Wohneigentumsquote unter 50 Prozent nimmt Deutschland im Vergleich mit anderen Industriestaaten einen der hinteren Plätze ein. In Berlin besitzen gar nur 16 Prozent der Einwohner die vier Wände, in denen sie leben.
In Anbetracht dieser Zahlen muss darüber nachgedacht werden, wie Menschen zu mehr Wohneigentum verholfen werden kann. In einem ersten Schritt geht es um die Reduktion von Kosten und Auflagen beim Wohnungsbau. Das beginnt bei den Nebenkosten wie der Grunderwerbssteuer und den Notarkosten und geht über die Senkung von Baunebenkosten, eine höhere, und damit preissenkende Ausweisung von Bauland bis hin zu Förderungen für klimaneutrales Bauen.
Um auch einkommensschwachen Familien den Weg in die eigene Wohnung zu ebenen, bedarf es jedoch auch darüber hinausgehender Ideen. So hat beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung DIW ein Modell des staatlich geförderten Mietkaufs in die Diskussion gebracht. Alte Wege der Wohneigentumsförderung (Wohnungsbauprämie, Baukindergeld) lassen sich mit solchen neuen Konzepten kombinieren. Damit kann – bei geringerem Investitionsbedarf – mehr erreicht werden.
Lasst Daten pendeln, nicht Menschen!
Zudem muss es darum gehen, Ballungszentren künftig zu entlasten und die Regionen als günstige Wohnorte wiederzuentdecken. Wenn die Regionen auf- und die Ballungszentren in ihrer Bedeutung relativ abgewertet werden, dann lassen sich die Unterschiede bei den Bodenpreisen vorteilhaft für die Förderung von Wohneigentum nutzen. Und umgekehrt wird eine Politik zur Förderung des Wohneigentums auch zu einem wichtigen Instrument der Regional- und Strukturpolitik.
Gerade die Corona-Pandemie hat durch das vermehrte Arbeiten von zu Hause und den Lockdown die relative Vorteilhaftigkeit des Lebens in der Stadt in Richtung der Region verschoben. Homeoffice ist inzwischen massentauglich geworden, und einer Studie des Digitalverbandes Bitkom folgend, würde jeder fünfte Berufstätige auch umziehen, wenn er größtenteils im Homeoffice arbeiten könnte. Lasst Daten pendeln statt Menschen, heißt demnach das Motto. Das ist gut für die Umwelt, regt den Ausbau der Infrastruktur an und kommt dem durch die Pandemie veränderten Wohn- und Arbeitsverhalten entgegen.
Altersvorsorge effizienter gestalten
Kapital muss auch für die Altersvorsorge aktiviert werden, zum Beispiel indem es vermehrt in Sachkapital, auch Aktien, investiert wird. Um den Vermögensaufbau ebenso jenen zu ermöglichen, die nur wenig zurücklegen können, sollte es erlaubt sein, Abzüge für die gesetzliche Rentenversicherung auf freiwilliger Basis zu verringern, damit Teile der Rentenbeiträge in eine kapitalgedeckte Altersvorsorge investiert werden können.
Ein wichtiger Schritt wäre die Wahlfreiheit bei der Kapitalanlage zu erhöhen und gesetzliche Auflagen zu verringern. Die vorgeschriebene Beitragsgarantie kostet bei Altersvorsorgelösungen Rendite. Die Bürgerinnen und Bürger sollten selbst entscheiden können, ob sie eine Garantie ihrer Beiträge wollen oder nicht, bzw. ob die volle Höhe der Beiträge garantiert werden muss oder sie nur eine verringerte Risikoabsicherung – zum Beispiel nur für die selbst eingezahlten Beiträge – wünschen.
Wichtig wäre auch die Auflagen bei der Anlageberatung generell zu verringern und Beratungsprotokolle zu vereinfachen. Der Anlageprozess darf nicht dazu führen, dass Anleger aus Furcht vor Beratungshaftung aus ertrags- aber auch risikoreicheren Sachanlagen herausberaten werden.
Kapitalbeteiligungen erleichtern
Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist ein guter, erster Schritt in die Kapitalbeteiligung insgesamt. Sie kann eine Brücke zwischen Kapital und Arbeit bauen. Der Freibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungsprogramme sollte daher von derzeit 1.440 € auf 5.000 € – und damit auf das Niveau anderer europäischer Staaten – angehoben werden. Der erhöhte Betrag könnte auch zu einem allgemeinen Freibetrag auf Kapitaleinkommen werden, damit jeder Anleger, ob angestellt, selbstständig, verbeamtet oder nicht berufstätig gleichermaßen davon profitieren kann.
Fazit
Die Förderung der Vermögensbildung ist eine Querschnittsaufgabe der Politik. Privates Kapital kann für Infrastrukturmaßnahmen aktiviert werden, deren zu erwartend höhere Rendite beim Vermögensaufbau und der Altersvorsorge hilft, während gleichzeitig die Regionen gestärkt und mehr privates Wohneigentum ermöglicht wird. Die sozialpolitischen Aspekte stärken damit Deutschland gleichzeitig auch für den internationalen Standortwettbewerb.
Dr. Hans-Jörg Naumer ist Herausgeber des Buches „Vermögensbildungspolitik“.
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