Eine gewisse prozentuale Patientenidentität kann darauf hindeuten, dass die tatsächlich gelebte Praxisform nicht der offiziellen entspricht. Die Folge: Stichproben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) können im Einzelfall zu Honorarrückzahlungen führen. Doch die Patientenidentität war im vorliegenden Fall letztlich nicht ausschlaggebend. Die Prüfung der KV ergab, dass die vermeintliche Praxisgemeinschaft tatsächlich eine Berufsausübungsgemeinschaft war.

Hintergrund

Abrechnungen von Ärzten können unplausibel sein, wenn sie bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschreiten (§ 10 Abrechnungsprüfungs-Richtlinien ARL). Eine Abrechnungsauffälligkeit liegt vor, wenn zumindest eine der beteiligten Praxen die folgenden Grenzwerte überschreitet:

  1. 20 Prozent Patientenidentität bei fachgruppengleichen Praxen
  2. 30 Prozent Patientenidentität bei fachgruppenübergreifenden Praxen

Sachverhalt: Praxisgemeinschaft mit über 20-prozentiger Patientenidentität

Eine Fachärztin für Anästhesiologie nahm in Einzelpraxis an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Sie betrieb eine Praxisgemeinschaft mit einem anderen Facharzt für Anästhesiologie. Gemeinsam nutzten sie Operationsräume. Bei der Ärztin wurde bei einer Plausibilitätsprüfung festgestellt, dass über 20 Prozent ihrer Patienten mit denen des anderen Facharztes für Anästhesiologie identisch waren; genauer gesagt zwischen 25 und 31,25 Prozent.

Aufgrund dieser vertragsarztwidrigen gemeinsamen Behandlungstätigkeit kürzte die Kassenärztliche Vereinigung das Honorar der Ärztin nachträglich. Denn: Aufgrund der Patientenidentität in dieser Höhe und der konkreten Praxisgestaltung handelte es sich nicht um eine Praxisgemeinschaft, sondern eher um eine Gemeinschaftspraxis. Diese ist jedoch genehmigungsbedürftig (§ 33 Abs. 2 Ärzte-ZV). Trotz fehlender Genehmigung hätten die beiden Ärzte ihre Fallzahlen künstlich erhöht und damit auch ihre Honorare gesteigert.

Urteil: Ärztin muss geschätztes Honorar zurückzahlen

Auch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg war davon überzeugt, dass ein Missbrauch der Kooperationsform „Praxisgemeinschaft“ gegeben war (Urteil vom 09.06.2021, L 7 KA 13/19). Die Richter hatten keinen Zweifel daran, dass die Ärztin mit ihrem systematischen Abrechnungsgebaren grob fahrlässig gehandelt und die von ihr zu erwartende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe. Das hatte sie jahrelang unter dem Mantel der Praxisgemeinschaft an den Tag gelegt. Der Rückforderungsbetrag im Wege der Schätzung war rechtens. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Gericht ließ keine Revision zu.

Tatsächliche Praxisform entscheidet, nicht der prozentuale Anteil identischer Patienten

Das Gericht verdeutlichte, dass sich eine gemeinsame Behandlung von Patienten mit dem Praxisgemeinschaftspartner auch dann beanstanden lässt, wenn das Aufgreifkriterium, also das Kriterium für Beanstandungen, von 20 Prozent Patientenidentität noch nicht erreicht ist. Auf das Erreichen eines bestimmten prozentualen Anteils identischer Patienten kommt es nicht an, wenn im Einzelfall, wie hier,  wie in einer Berufsausübungsgemeinschaft gearbeitet wurde, die nur pro forma wie eine Praxisgemeinschaft geführt  wurde.

Auch das Argument einer rechtmäßigen Vertretung konnte nicht greifen. Tatsächlich praktizierten die beiden Ärzte eine Art kollegiale Vertretung auf Zuruf und nach den täglichen Notwendigkeiten, wie sie nur in einer Berufsausübungsgemeinschaft üblich und unproblematisch wäre.

Es war auch nicht ersichtlich, warum für die Ärztin als Anästhesistin Sonderregeln greifen sollten. „Letztlich müssen sich Ärzte eben eine Kooperationsform suchen, die zu ihrer Praxisausrichtung passt“, sagt Daniela Groove, Rechtsanwältin bei Ecovis in München, „eine Berufsausübungsgemeinschaft ermöglicht die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit und bietet den Ärzten genau die Flexibilität, die sie gebraucht hätten.“

Daniela Groove, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht bei Ecovis in München

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