Auch wenn das Ziel der Netto-Null-Emissionen, wie es auf der COP26 propagiert wird, zweifellos lobenswert ist, fragen sich Skeptiker, ob es überhaupt erreichbar ist. Schätzungen zufolge werden die Kosten für den Übergang zur Kohlenstofffreiheit auf 150 Billionen Dollar über einen Zeitraum von 30 Jahren geschätzt (d. h. das Doppelte des derzeitigen globalen BIP1).

Die Kosten sind eine Sache, aber um eine erfolgreiche grüne Transformation zu gewährleisten, müssen die Mittel auch in die richtigen Bereiche investiert werden. Die Technologie wird zweifellos eine wichtige Rolle beim Übergang spielen, aber einige Umweltprojekte befinden sich noch in der Embryonalphase oder sind im globalen Maßstab noch weitgehend unerprobt.

Sehen wir uns die vielversprechendsten Optionen zur Begrenzung der Kohlenstoffemissionen und zur Bewältigung des Klimawandels an, um bis 2050 ein „Netto-Null“ zu erreichen.

VORLÄUFER DES WANDELS

Uns läuft die Zeit davon, den Klimawandel zu bekämpfen. Erschreckenderweise sind wir auch mit unseren Ambitionen für das Jahr 2050 in Verzug. Die Gründe für unser schleppendes Agieren angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise sind vielfältig, wobei die langsame flächendeckende Nutzung erneuerbarer Energien definitiv ein entscheidender Faktor ist.

Die Durchführung von Projekten im Rahmen der erneuerbaren Energien dauert aufgrund der bürokratischen Komplexität viel zu lange. Unzählige Genehmigungen, Dokumente und Kontrollen können jedes dieser Projekte in einen schwerfälligen Alptraum verwandeln. So hat beispielsweise in Italien der für die ökologische Transformation zuständige Minister sein Ziel hervorgehoben, den Zeitraum für die Durchführung eines Projekts im Bereich der erneuerbaren Energien von durchschnittlich 1.200 auf 200 Tage zu reduzieren. Die Unentschlossenheit der französischen Regierung in der Frage, wer für die Erteilung von Baugenehmigungen zuständig sein soll, hat in der Vergangenheit alle Windenergieprojekte zum Stillstand gebracht. Es liegt auf der Hand, dass solche staatlichen Unzulänglichkeiten beseitigt werden müssen, bevor wir uns auf eine nachhaltige Revolution gänzlich einstellen können.

Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass der Konsum in den letzten Jahrzehnten absolut stets zugenommen hat und wahrscheinlich weiter ansteigen wird, wenn nichts unternommen wird. Unternehmen müssen sich lösen von Mengenbetrachtungen und stärker übergehen zu wertorientierten Strategien, während die Verbraucher unnötigen Konsum vermeiden müssen. Dies erfordert einen vollständigen Paradigmenwechsel. Ein solches neu formuliertes Konzept von „Wachstum“ wird erhebliche Auswirkungen auf unsere derzeitigen ressourcenintensiven Märkte haben. Konkret muss der Fußabdruck der Ressourcen in den Bereichen Energie, Verkehr, Fertigung, Bauwesen, Landwirtschaft und Lebensmittel in Angriff genommen werden.

Eine reduzierte Bürokratie und ein drastischer Rückgang des Verbrauchs werden sich zweifellos positiv, wenn auch indirekt, auf die Kohlenstoffemissionen auswirken. Wir müssen jedoch auch über Möglichkeiten nachdenken, das Kohlenstoffproblem direkt anzugehen und es an der Quelle zu bekämpfen.

DEM KOHLENSTOFF ENTGEGENTRETEN: WAS SIND DIE DREI ANSÄTZE?

Es gibt drei direkte Ansätze, um Kohlenstoffneutralität zu erreichen: Reduzierung des (fossilen) Energieverbrauchs, Begrenzung der Emissionen durch die Wahl umweltfreundlicherer Verkehrsmittel und verstärkte Programme zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Um das „Netto-Null-Ziel“ zu erreichen, sollte der Klimawandel als zielgerichtete Investition neu definiert werden, und die Märkte sollten sich auf ein grünes, investitionsgestütztes Wachstum umstellen.

Um unsere auf fossilen Brennstoffen basierende Energiewirtschaft wirksam zu reformieren, bieten sich erneuerbare Energien als Alternative an. Die Stromerzeugung ist für 25 % der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich; Kohle, Öl und Gas machen mehr als zwei Drittel der Stromerzeugung aus. Auch wenn der Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten Stromerzeugungskapazität von 25 % im Jahr 2000 auf 37 % im Jahr 2019 gestiegen ist, sind diese Zahlen noch weit vom Ziel entfernt, bis 2050 einen Wert von 80 % zu erreichen. Offensichtlich sind noch weitere Anstrengungen erforderlich. Wasser- und Windenergie werden bereits in großem Maße eingesetzt. Die Solarenergie könnte die nächste erneuerbare Energiequelle sein, die in den Mittelpunkt gerückt wird. Diese Energiequelle hat in den letzten zehn Jahren von erheblichen Kostensenkungen profitiert, so dass sie möglicherweise die günstigste Energiequelle ist. Eine weitere erneuerbare Alternative ist Wasserstoff. Der Veredelungsprozess für Wasserstoff hat in letzter Zeit erhebliche Verbesserungen erfahren. Wir sind von grauem Wasserstoff (aus fossilen Brennstoffen hergestellt) zu grünem Wasserstoff (Nutzung erneuerbarer Energien für den Prozess der Wasserelektrolyse) oder blauem Wasserstoff (Abtrennung des Wasserstoffs von Methan mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) übergegangen. Mehrere multinationale Unternehmen aus dem Industrie-, Mobil- und Heizungssektor sind vom Potenzial des Wasserstoffs besonders überzeugt. TotalEnergies, Air Liquide und Vinci haben vor kurzem einen Wasserstoffinfrastrukturfonds in Höhe von 1,5 Mrd. USD aufgelegt. Sie hoffen, das Wachstum des Ökosystems des sauberen Wasserstoffs zu beschleunigen, indem sie in große strategische Projekte investieren und von einer Allianz aus Industrie- und Finanzakteuren profitieren. Es gibt auch einige vielversprechende Anwendungen für die Luftfahrtindustrie. Abgesehen von Flugzeugen hat Wasserstoff ein breites Spektrum von Anwendungsmöglichkeiten: Er eignet sich gut als saisonale Speicherlösung in Stromsystemen, da er ideal für die langfristige Speicherung großer Energiemengen ist. Darüber hinaus kann er zur Dekarbonisierung von Gebäuden beitragen (z. B. Wärmepumpenanlagen, Elektrifizierung der Heizung). Er kann auch als sauberer Kraftstoff für den Verkehr dienen (Druckwasserstofftanks in Fahrzeugen mit einer Brennstoffzelle, die die im Wasserstoff gespeicherte Energie in elektrische Energie umwandelt). Und schließlich können schwer zu dekarbonisierende Industrien wie die Stahl-, Zement- und Düngemittelindustrie Wasserstoff als Rohstoff verwenden. Ungeachtet seines Potenzials leidet die großtechnische Entwicklung von Wasserstoff leider an mangelndem Interesse und an den vergleichsweise niedrigen Kosten anderer erneuerbarer Energien. Positiv zu vermerken ist, dass die Produktion von grünem Wasserstoff in den USA bis 2030 mit Kosten von 1,07 bis 1,28 Dollar/kg2 den gleichen Preis wie blauer und grauer Wasserstoff erreichen dürfte.

Unser zweites Instrument im Kampf gegen die Kohlenstoffemissionen ist die Wahl umweltfreundlicherer Transportmittel. Elektrofahrzeuge sind die am häufigsten genannte Lösung für dieses Problem. Der Verkauf von Elektrofahrzeugen in Europa dürfte in naher Zukunft einen hohen Verbreitungsgrad erreichen. Auch in China ist ein erhebliches Wachstum zu verzeichnen, das vor allem durch gesetzliche Regelungen unterstützt wird. Auch Indien hat einige Maßnahmen ergriffen, um die Verbreitung von Elektrofahrzeugen zu fördern. Trotz dieser vielversprechenden Aussichten gibt es noch einige Probleme, die gelöst werden müssen, damit sie einen vollwertigen Beitrag zu unseren Netto-Null-Zielen leisten können. Die größte Herausforderung ist nach wie vor der Herstellungsprozess der Batterien, die Herkunft des Stroms, mit dem diese Batterien betrieben werden, und die Größe der Fahrzeuge. Darüber hinaus besteht die reale Gefahr der Ressourcenknappheit. Nickel und Lithium, beides Schlüsselelemente in Elektroauto-Batterien, werden voraussichtlich schon 2024 zur Neige gehen. Recyclinglösungen und Lebenszyklusprodukte sind für eine erfolgreiche Elektrifizierung der Mobilität unerlässlich. Elektroautos sind jedoch nicht die einzige Lösung, um die Verkehrsindustrie zu revolutionieren. Biokraftstoff ist eine weitere Option, um Diesel und Benzin in Branchen wie der Luftfahrt zu ersetzen. Biokraftstoffe können in der Tat eine wichtige Rolle im zukünftigen Energiemix spielen. Sie können aus Nahrungsmittelpflanzen (1. Generation) hergestellt werden, was jedoch aufgrund der Auswirkungen auf die Land- und Wassernutzung weitgehend nicht nachhaltig ist. Biokraftstoffe können auch aus Non-Food-Rohstoffen wie Abfällen, Holz, tierischen Fetten usw. gewonnen werden (2. Generation). Schließlich können sie auch aus Algen hergestellt werden (3. Generation). Wie bei Wasserstoff ist die Verwendung von Biokraftstoff noch begrenzt. Es wird jedoch erwartet, dass er bis 2030 auf 4 % der weltweiten Verkehrskraftstoffe ansteigen wird3.

Der dritte und letzte Punkt ist die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung. Obwohl dieses Verfahren etwas umstritten ist, bleibt es die einzige Möglichkeit, die Emissionen der schwer zu dekarbonisierenden Industrien wie Stahl, Zement und Chemie zu reduzieren. Um den Temperaturanstieg auf weniger als 2 °C zu vermeiden, ist der Investitionsbedarf immens. Die Schätzungen variieren bis 2050 auf bis zu 2,5 Billionen Dollar. Derzeit gibt es nur wenige Programme zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, die nur langsam umgesetzt werden. Dies hat manche dazu veranlasst, stattdessen für eine Bepreisung von Kohlenstoff zu plädieren. Die Frage der grenzüberschreitenden Besteuerung und das Potenzial für einen globalen Kohlenstoffmarkt werden immer wichtiger werden.

Um den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaft ordnungsgemäß durchzuführen und zu bewältigen, müssen die Interessen dreier wichtiger Parteien in Einklang gebracht werden: Regierungen, Unternehmen und Endverbraucher. Langfristig sollte die Dekarbonisierung für die Verbraucher deflationär sein. Während des Übergangs können die Kosten jedoch steigen, ebenso wie die Volatilitätsspitzen (die jüngsten Strompreisspitzen sind ein gutes Beispiel dafür). Es ist unwahrscheinlich, dass die Verbraucher bereit oder in der Lage sind, einen erheblichen Aufpreis für „grüne Lösungen“ zu zahlen, so dass die Regierungen eingreifen müssen, um den Übergang zu erleichtern. Dies dürfte die zunehmenden „Schmerzen“ für Unternehmen bzw. Verbraucher lindern. Die Autoindustrie ist derzeit führend und hat dank staatlicher Anreize, die die „grüne Auswahloption“ für den Endkunden zumindest gleich teuer machen, einen klaren Weg für den Übergang zu Elektroautos. Dies hilft den Unternehmen, ihre für die Umstellung benötigten Investitionen zu erhöhen. Versorgungsunternehmen müssen einen Weg finden, um mittelfristig Strompreiserhöhungen zu vermeiden, bevor unsere Gesellschaften den Übergang zu einer vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft vollzogen haben. Schließlich müssen auch die Kohlenstoffpreise deutlich höher sein, um die Dekarbonisierung in energieintensiven Sektoren weiter zu fördern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es immer noch möglich ist, den nachhaltigen Weg in die Zukunft zu beschreiten. Allerdings müssen wir mit vielen verschiedenen Faktoren effizient und rechtzeitig jonglieren, um einen effektiven Übergang zu einer kohlenstoffneutralen Zukunft zu gewährleisten. Zugegeben, die Liste der zu erledigenden Aufgaben ist lang. Es wird sich herausstellen, ob die COP26 diese Punkte in die Praxis umsetzen kann.

1Quelle: BoFa

2Quelle: Morgan Stanley

3Quelle: ‚Decarbonisation: The race to net zero‘, Morgan Stanley Research (21. Oktober 2019)

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