Allein der europäische Vergleich zeigt auf, dass Volkswirtschaften wie Frankreich, Polen, Spanien oder Österreich im Vergleich zu Deutschland, verwöhnt durch viele Jahre soliden Wachstums, wesentlich dynamischer prosperieren und somit entsprechend für mögliche Investoren interessanter sind. Mit Schrecken beobachten wir momentan eine hohe Inflation, Energiepreise auf katastrophalen Rekordniveau und eine Industrieproduktion, die im Sommer dieses Jahres deutlich niedriger lag als prognostiziert: Deutschland fällt, trotz der vier Prozent diagnostizierten Wachstums durch Forschungsinstitute für das kommende Jahr in den einschlägigen Vergleichen kontinuierlich zurück – dies betrifft neben dem bürokratischen Aufwand ebenso die Steuerbelastung, die Arbeitskosten oder den Zustand der Infrastruktur. Nicht zu schweigen von den unattraktiven Bedingungen für Unternehmensgründer.
Die Regierung Merkel hat unbestritten von den Reformen der Schröder-Jahre profitiert, so wenig jedoch selbst in all den Jahren an den Schalthebeln der Macht dafür getan, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland dort zu halten, wo sie einst stand. Die Folge ist nun ein allumfassender Reformbedarf, über den SPD, FDP und GRÜNE im Zuge einer neuen Regierung verhandeln. Als Vertreter des deutschen Mittelstands beobachten wir, dass sich vor allem die horrenden Stromkosten zu einem regelrechten unternehmerischen Risiko entwickelt haben. Die Folge in der Diskussion um einen besseren Klimaschutz: Ohne Kompensation mit Blick auf die Öko-Umlage, beispielsweise eine erhebliche Reduzierung der Stromsteuer, rechnet sich die Produktion in Deutschland für viele Unternehmen auf lange Sicht hin nicht mehr. An Standorten in Übersee zahlt man weniger als die Hälfte.
Der IWS fragt sich darüber hinaus: Wo steht Armin Laschets große Metapher für ein Digitalisierungsjahrzehnt? Wie lange kann sich Deutschland technologisch noch an der Weltspitze halten? Wir sprechen nicht von Belastungen wie Vermögenssteuer oder einem höheren Mindestlohn – der Wirtschaft machen vor allem die bundesweit marode Infrastruktur als auch die erheblichen Defizite der Digitalisierung auf Ebene der Bildung, Verwaltung und Unternehmensführung zu schaffen – in der Tat ein Jahrzehnt harter Arbeit, dem wir da entgegenblicken.
Der Internationale Wirtschaftssenat e. V. fordert mit seinem Appell eines 12-Punkte Sofortprogramms die neue Bundesregierung auf, Politik nicht gegen die deutsche Wirtschaft zu machen, sondern mit ihr. Alte Denkmuster endlich sprengen, den mühsamen Reformstau überwinden: Deutschland ist in seinen vielen Wohlstandsjahren satuiert und träge geworden – der Alarm leuchtet hellrot.
IWS-Appell an die neue Bundesregierung
„Die Koalitionsverhandlungen haben begonnen: Was jetzt zu tun ist.
Ein 12-Punkte Sofortprogramm“
1. Freiraum für unternehmerische Initiative und Innovationen schaffen
- Abkehr von industriepolitischen Eingriffen, Hinwendung zum Markt
- Abbau von Bürokratie (Vereinfachung/Verkürzung von Antrags-, Prüfungs- und Genehmigungsverfahren; weniger Behördenvielfalt: Ein-Fenster-Prinzip)
- Außenwirtschaftsregulierung straffen und digitalisieren
- Marktkräfte revitalisieren und den Wohlstand sichern
2. Die Transformation des Staates mutig angehen
- Dienstleistungen für Bürgerinnen und Bürger zügig digitalisieren
- Reorganisation des Staates auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene auf der Grundlage neuester Technologien einleiten
- Rahmenbedingungen für die Wirtschaft modernisieren
3. Vogel-Strauß-Mentalität in der Rentenpolitik beenden
- Riester-Rente durch ertragsorientierte Kapitalsäule für alle ablösen
- Renteneintritt an steigende Lebenserwartung koppeln
- Demographische Entwicklung ernstnehmen
- Zukunftsfähige Rentenreform sofort auf den Weg bringen
4. Dekarbonisierung von Produktion und Konsum als Ordnungspolitik adressieren
- Günstigste CO2-Vermeidungspfade über den Preismechanismus sicherstellen
- Klares Bekenntnis zu Technologieoffenheit in allen Bereichen
- Nationale Klimapolitik in internationale Vereinbarungen einbringen (Klima-Club-Initiative auf den Weg bringen)
- Anreize für Unternehmen und Verbraucher für den Klimaschutz setzen
5. EU-Integration ist kein Selbstzweck
- Subsidiarität, Wettbewerb und Vielfalt als Stärken der EU in den Vordergrund rücken
- Protektionistischen Tendenzen und industriepolitischem Interventionismus auf EU-Ebene entgegentreten und für offene Märkte eintreten
- EU-Budget: Keine Lösung für nationale Finanzierungsengpässe
- EU-Kompetenzen auf EU-weite Gemeinsamkeiten fokussieren
6. Finanzpolitisch auf Konsolidierungskurs und Wachstum einschwenken
- Schuldenbremse nicht aufweichen
- Spielräume für neue Aufgaben durch Ausgabensenkung schaffen
- Rahmen für eine Entfaltung der Wachstumskräfte bereitstellen
- Mittelstand von Steuern und Abgaben entlasten
- Repriorisierung im Staatshaushalt statt höhere Staatsausgaben
7. Energiewende mit marktwirtschaftlichen Anreizen verbinden
- Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien erleichtern
- Dekarbonisierung der Öl- und Gaswirtschaft: Energiewende insbesondere mit grünen Molekülen wie Wasserstoff (H2) explizit fördern: Effizienz, Strom und Wasserstoff ergänzen sich auf dem Weg zur Netto-Null-Wirtschaft; grüne Elektronen des Stroms und H2 für Klimaneutralität
- Leistungsfähige Stromtrassen zügig umsetzen
- Ausstieg aus Kernkraft und Kohle beschleunigen
- Energiewende in allen Bereichen (Strom, Wärme, Verkehr, Gebäude) entfesseln
8. Bildung und Weiterbildung für Wachstum und Beschäftigung im digitalen Zeitalter
- Allgemeine und berufliche Bildung gleichwertig gestalten und ausbauen
- Allen Beschäftigten ein lebenslanges Lernen ermöglichen
- Arbeitsproduktivität durch Bildung und Weiterbildung laufend erhöhen
9. Wertorientierte Außen- und Sicherheitspolitik für Deutschland und Europa
- Deutsche und europäische Interessen mit klarem Profil vertreten
- Deutsche Wirtschaft braucht Sicherheit und Frieden in der Welt
- Außen- und Sicherheitspolitik im Dienste Deutschlands und Europas
10. Female Diversity in Wirtschaft und Politik befördern
- Brachliegende Potentiale in der Bevölkerung nutzen, Voraussetzungen dafür schaffen
- Diversität in Wirtschaft, Staat und Politik aufblühen lassen
- Der Einheit von Familie, Beruf und Diversität eine Chance geben
11. Begonnene Wahlrechtreform vollenden: Bundestag auf 598 Sitze begrenzen
- Wahl 2021: Zunahme der Sitze von 709 auf 735
- Wahlen 2025: Zunahme der Sitze von 735 auf über 1000?
- Bundestag wieder arbeitsfähig machen
12. Den Föderalismus an die Herausforderungen der Zukunft anpassen
- Anzahl der Bundesländer optimieren und Verwaltungsebenen einsparen
- Kompetenzen des Bundes und der Länder neu ordnen
- Bundesrat wieder arbeitsfähig machen
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