Auch, wenn der Name erstmal sehr direkt wirke, so sei es genau das, was die Behindertenbewegung jetzt brauche, so die drei Gründer*innen. L’Audace erklärt: „Uns wurde so oft nahe gelegt, dass wir doch bitte höflich und zurückhaltend unsere Forderungen anbringen sollen, um nicht wie die ‚Angry Cripples‘ rüberzukommen.“ – Es handelt sich dabei um einen abfälligen Begriff für behinderte Menschen, denen wegen ihrer Art vorgeworfen wird, sie seien aufgrund dieses Umstands verbittert. „Dabei gibt es keinen Grund mehr, freundlich zu bleiben, so, wie unsere Gesellschaft mit uns behinderten Menschen umgeht. Es ist Zeit, uns zu vernetzen und gemeinsam gegen die Untedrückung und Diskriminierung anzugehen.“, fügt sie noch an. Sich Begriffe, durch die man selbst diskriminiert wird, zurückzuholen und sie neu zu belegen, nennt sich Reclaiming, also „Zurückfordern“ und ist in vielen marginalisierten Gruppen vertreten.
Die vage Idee von einem Raum für Empowerment bestehe schon länger, jedoch habe es einige Zeit gebraucht, um den Mut aufzubringen, dieses Projekt zu realisieren. „Als ich in unserem Gesundheitssystem hin- und her geschoben wurde, hätte ich mir eine Plattform, wie Angry Cripples gewünscht. Dann hätte ich früher von Ableismus erfahren und mir nicht ununterbrochen die Schuld an meiner Situation gegeben. Ich habe mich wie ein Alien gefühlt, weil niemand meine Lebebsrealität geteilt hat.“, äußert Buschmann. Die Plattform soll demnach auch Menschen abholen, die gerade erst damit angefangen haben, sich mit der eigenen Behinderung und der dazugehörigen Diskriminierungserfahrung auseinander zu setzen. Egal, ob sie diese nun erst vor kurzem erworben haben oder schon lange behindert seien. L’Audace merkt an: „Ich musste 22 Jahre alt werden, um mich endlich als behinderte Frau zu identifizieren, obwohl ich bereits behindert geboren wurde! Das muss man sich mal vorstellen. Behinderung wird in unserer Gesellschaft so sehr tabuisiert und stigmatisiert, dass es kein Wunder ist, dass ich mich so lange dafür geschämt habe und so geht es vielen Mitgliedern unserer Community bis heute. Mein Ziel ist, dass sich niemand jemals wieder so allein mit seiner Situation fühlen muss, wie ich mich gefühlt habe.”
Räume, in denen es um Inklusion und Behinderung geht, seien viel zu oft von nicht-behinderten Menschen besetzt, was das ableistische System nur weiter unterstütze und behinderte Menschen weiter unsichtbar mache. Enfer betont: “Uns, als behinderte Menschen, die, darüber hinaus, weiteren marginalisierten Gruppen angehören, fehlte ein Safer Space. Ein Ort, der zur Abwechslung mal nicht von nicht-behinderten Menschen geführt wird. Ein Ort, an dem man sich austauschen kann, voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen kann und über Dinge reden kann, die nur eine behinderte Person nachvollziehen kann. Also mussten wir uns diesen Safer Space nun selbst kreieren.” Die Plattform soll die wahre Lebensrealität behinderter Menschen abbilden und so Narrative durchbrechen.
Auch Intersektionalität würde bei den Angry Cripples groß geschrieben und so hoffen die drei mehrfach marginalisierten Gründer*innen, dass sie schon bald auch Gastschreiber*innen beschäftigen können, um noch mehr Lebensrealitäten mitabzubilden. Alina Buschmann erklärt: “Der Diskurs rund um das Thema Behinderung findet gerade überwiegend mit nicht-behinderten Menschen statt. Das muss sich ändern. Das Thema Behinderung sollte in Selbstvertretung diskutiert werden.” Selbstvertretung bedeutet, dass Betroffene für sich selbst sprechen und für ihre eigenen Rechte eintreten. Luisa L’Audace fügt hinzu: „Die Organisationen in Deutschland, die das Bild von Behinderung maßgeblich prägen, bestehen oftmals komplett oder zumindest größtenteils aus nicht-behinderten Menschen. Wir haben es satt, dass ständig andere Menschen für uns entscheiden wollen, wie unsere Lebensrealität auszusehen hat, sich eine goldene Nase daran verdienen und
fröhlich weiter äußerst schädliche Narrative befeuern, während sie uns Betroffenen die Räume wegnehmen.“
Aber auch Allies, also nicht-behinderte Verbündete, seien herzlich willkommen bei den Angry Cripples. Jedoch sei es den drei Gründer*innen wichtig, gezielt Content für behinderte Menschen zu machen, anstatt permanent Aufklärungssrbeit für nicht-behinderte Menschen zu leisten. Das täten sie schließlich schon zu genüge auf anderen Plattformen. Evilina Enfer erklärt: „Wir erhoffen uns durch die Plattform nicht nur behinderte Menschen näher zueinander zu bringen, sondern auch gemeinsam für unsere Rechte kämpfen zu können, da es sonst niemand tut. Weitaus mehr als 10% der deutschen Bevölkerung wird strukturell Teilhabe verwehrt und im Jahr 2021 werden Gesetze beschlossen, die das Ganze auch noch weiter fördern. Das muss sich endlich ändern! Wir möchten gemeinsam so laut sein, dass man uns nicht mehr ignorieren kann.“ Obwohl die Bundesregierung, die UN-Behindertenrechtskonvention bereits 2009 ratifiziert hat, wurde bis zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich wenig daraus umgesetzt. Die Angry Cripples möchten auch auf diese Problematik aufmerksam machen und sich für die Umsetzung der UN-BRK einsetzen.
Gemeinsame Aktionen innerhalb und außerhalb des Internets seien ebenfalls geplant. „Wir möchten Empowerment von behinderten Menschen für behinderte Menschen schaffen und damit Strukturen durchbrechen. Das gibt es so in Deutschland noch nicht. Und ist es wichtig aufzuzeigen, dass das, was behinderten Menschen widerfährt, Diskriminierung ist.“, so Buschmann. In der Tat sucht man selbst in Diversitäts-Debatten oft vergeblich nach behinderten Menschen. Ableismus, also die strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung behinderter & chronisch kranker Menschen, ist bisher nur den Wenigsten ein Begriff. So passiere es beinahe täglich, dass ihnen ihre Lebensrealität abgesprochen und relativiert werde. “Spricht man die eigene Diskriminierung an, so erntet man nicht selten noch mehr Diskriminierung mit dem Ziel, dass man sich zukünftig nicht mehr dagegen wehrt. Aber so einfach machen wir es ihnen nicht. Im Gegenteil, wir werden nur noch lauter. Man sollte die Behindertenbewegung keinesfalls unterschätzen.”, betont L’Audace.
“Empowerment. Direkt. Progressiv.”, so lautet der Slogan der Empowerment-Plattform von behinderten Menschen für behinderte Menschen, die am 3. Dezember online geht. Enfer erklärt abschließend: “Ich glaube uns steht ein Umbruch bevor. Vielleicht sogar eine Revolution. Eine Revolution, die schon lange überfällig ist um ehrlich zu sein. Lange genug waren wir still und haben strukturellen Ableismus über uns ergehen lassen. Haben uns klein halten und an den Rand der Gesellschaft drängen lassen. Doch damit ist nun Schluss. Wir sind viele. Wir sind valide. Und wir sind laut!”
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