Künstliche Intelligenz (KI) beeinflusst unseren Alltag schon jetzt in vielen Bereichen: Von automatisierten Vorschlägen bei Suchmaschinen, die uns schneller zum Ziel führen sollen, bis hin zu Sprachassistenzen in unseren Wohnzimmern. Trotzdem fehlt dieses Thema noch in den meisten deutschen Lehrplänen, sodass Kinder und Jugendliche nur selten fundiertes Hintergrundwissen erlangen können.

Das Frankfurter Schülerlabor KILab soll das ändern. Das innovative außerschulische Angebot möchte Schülerinnen und Schüler für die Möglichkeiten der KI begeistern und gleichzeitig zur kritischen Diskussion darüber einladen.

Das Projekt der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird von der Klaus Tschira Stiftung gefördert. Es basiert auf aktuellen Forschungsdaten, bei denen eine eigens entwickelte Software aus der Abteilung für Didaktik der Biowissenschaften und Zootierbiologie zum Einsatz kommt.

Vor einem Jahr begann die Konzeptionsphase, und nun wird das KILab im Oktober 2021 seine Türen öffnen. Dazu stellen Prof. Dr. Paul W. Dierkes, Dr. Anna Lena Burger und Marvin Henrich ihr Schülerlabor im Interview vor.  

Herr Dierkes, Sie haben ja bereits Erfahrung mit Schülerlaboren. Was hat Sie dazu motiviert, eins für KI aufzubauen?

Dierkes: Unser Interesse ist es, innovative Projekte durchzuführen, und dabei vor allem Schülerlabore zu konzipieren, die es woanders nicht gibt. Das KILab behandelt natürlich einen sehr aktuellen Themenbereich, der ganz viele Möglichkeiten bietet. Das Thema Künstliche Intelligenz kann man sehr interdisziplinär angehen: von der Anwendung in naturwissenschaftlicher Datenanalyse bis hin zu gesellschaftlichen Fragestellungen.

In diesem Fall stand der authentische Einblick im Vordergrund. Das erreicht man eigentlich nur, wenn man nicht nur den „Raum Universität“ bietet, sondern diesen auch mit hochaktueller Forschung verknüpft. Genau das machen wir im KILab. Mit unserer Expertise in Zootierbiologie und Verhaltensbiologie können wir Schülerinnen und Schülern diesen authentischen Einblick in unsere aktuelle Forschung geben: Was passiert während unserer Forschungsaktivitäten? Wie gehen wir methodisch vor und welche modernsten Techniken werden dafür verwendet?

Wie kam es dann von der Idee zur Umsetzung?

Burger: Das Schöne ist, dass die Idee völlig natürlich entstanden ist. Wir haben uns verhaltensbiologisch spezialisiert und dabei festgestellt, dass es viel zu aufwändig ist, das gesamte Videomaterial händisch auszuwerten. Das erfordert viel Zeit sowie Teamressourcen. Große Vergleichsstudien sind unter diesen Bedingungen fast unmöglich. Ein Beispiel: Um das nächtliche Schlafverhalten von ca. 60 Giraffen in 13 Zoos über drei Wochen zu erforschen, müssen knapp 3.000 Stunden Videomaterial ausgewertet werden. Solche großen Datenmengen – Big Data ist auch bei uns in aller Munde – brauchen wir, um möglichst genaue und generalisierende Aussagen über das Verhalten der Tiere treffen zu können. Dementsprechend waren wir für unsere Forschung auf der Suche nach effizienteren Methoden. Da drängte sich die KI förmlich auf, obwohl es im Kontext der Verhaltensbiologie bisher noch sehr wenig Erfahrung damit gab. Während wir also unser eigenes Problem lösten, kamen wir darauf, auch Schülerinnen und Schüler für diese spannende Anwendungsmöglichkeit von KI zu begeistern.

Dierkes: Unsere Doktorandin Jennifer Gübert hat die Software zur Auswertung der Forschungsdaten mit einem Programmierer und Frau Burger zusammen entwickelt. Das war ein iterativer und sehr lehrreicher Prozess über zwei Jahre, bis die Software so entwickelt war, wie wir sie heute in der Forschung und im KILab einsetzen. Und gerade diese methodische Vorgehensweise diskutieren wir auch im KILab. Schließlich bedeutet Automatisierung nicht, dass immer gleich alles gut funktioniert. Das versuchen wir mit den Schulklassen nachzuvollziehen.

Gleichzeitig können wir mit unserer Forschung wirklich eine Lücke schließen. Wer stellt sich schon in Afrika hin und beobachtet nachts Giraffen, Zebras und Co, wenn die Löwen um die Ecke sind? Das ist sehr aufwendig. Mithilfe der KI-gestützten Verhaltensbeobachtung können wir beispielsweise auf die Frage „Wie lange schlafen Tiere überhaupt?“ viel einfacher Antworten finden. Wir kombinieren im Schülerlabor die Methoden der KI mit verhaltensbiologischen Inhalten, und genau das macht es so spannend.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Schülerlabortag hauptsächlich?

Henrich: Das Hauptziel des Schülerlabortages ist es, für KI sowie Verhaltensbiologie zu begeistern. Dabei versuchen wir den authentischen Weg eines Forschungsprozesses zu replizieren. Deswegen sieht unser Konzept auch vor, dass wir die Schülerinnen und Schüler zu Beginn mit dem Problem der zeitintensiven händischen Datenauswertung konfrontieren und sie so problemorientiert zu den Möglichkeiten der KI hinführen. Am Ende beleuchten wir noch den Faktor Mensch und welche Grenzen damit verbunden sind.

Wir leiten die Schülerinnen und Schüler also von der Problemstellung zu einer möglichen Lösung, die dann noch einmal kritisch diskutiert wird. Das wird dann wiederum in der Begleitforschung aufgegriffen, in der wir hinterfragen, wie hoch die Akzeptanz der Schülerinnen und Schüler diesem stark technologisch ausgerichteten Schülerlabortag gegenüber ist. Es ist eben doch etwas anderes als der Besuch in einem Zoo. Außerdem fragen wir uns, wie sehr der Schülerlabortag das Verhältnis zu natürlichen Objekten in der Natur beeinflusst.

Überwiegt das Interesse an den verhaltensbiologischen Inhalten oder reizt die Schülerinnen und Schüler vor allem die Künstliche Intelligenz an Ihrem Schülerlabor?

Henrich: Bei den Anfragen, die wir erhalten, zeigt sich da ein sehr breites Spektrum. Natürlich integrieren viele Lehrkräfte einen Besuch bei uns gern in ihren Biologie-Unterricht. Aber wir bekommen auch Anfragen von nicht-naturwissenschaftlichen Fächern, wie beispielsweise einem Deutsch-Leistungskurs, der momentan „Manipulation in den sozialen Netzwerken“ behandelt und da besonders spannend findet, wie KI in ihren Grundzügen funktioniert. Da steht also auch einmal der technische Aspekt im Vordergrund.

Inwieweit gibt ein Tag im KILab die Möglichkeit, auch gesellschaftliche und ethische Facetten der KI zu diskutieren?

Henrich: Ein großer Faktor des Schülerlabors ist es natürlich, den Aufbau und die Funktionsweise der KI zu verstehen. Aber nach dem Behandeln des verhaltensbiologischen Fallbeispiels ist genügend Raum, um über technische und ethische Grenzen zu sprechen. Da betrachten wir auch verschiedene Anwendungen von KI kritisch, um den Schülerinnen und Schülern eine fundierte Meinung rund um das Thema zu ermöglichen.

Die Gruppen, die zu Ihnen kommen, sind in der Regel sicher sehr interessiert und motiviert. Aber gibt es auch Berührungsängste gegenüber manchen Inhalten oder Methoden?

Dierkes: Damit haben wir beispielsweise in unserem Schülerlabor Neurowissenschaften Erfahrungen gemacht: da besonders neurophysiologische Experimente kaum umsetzbar sind –  sowohl in der Schule als auch im Schülerlabor – war das etwas sehr Neuartiges. In der Neurophysiologie spielen ja zahlreiche chemische und physikalische Prozesse bei der Erregung von Nervenzellen eine Rolle, die vielen Schülerinnen und Schülern erst mal sehr komplex erscheinen und durchaus auch mit Ängsten verbunden sein können. Deswegen haben wir nicht an einem echten Nervensystem gearbeitet, sondern quasi-realistische Experimente durchgeführt, die ein echtes Nervensystem sehr realistisch imitieren.

Es funktioniert aber immer wieder sehr gut, diese Ängste im Schülerlabor abzubauen, weil die Schülerinnen und Schüler experimentieren und bestimmte Einflussfaktoren kennenlernen können. Das zeigt uns, dass selbst so komplizierte Themen – wie auch die KI – mit einem geeigneten Konzept sehr gut im Rahmen von Schülerlabortagen zu vermitteln sind.

Ist das KILab auch mit der Ausbildung von Lehramtsstudierenden verknüpft?

Dierkes: Dieser Aspekt ist uns natürlich wichtig. Wir möchten unseren Studierenden nicht nur gängige, sondern auch innovative Konzepte vermitteln. Wir nutzen also das Schülerlabor als Lehr-Lern-Labor und integrieren es in unsere praxisorientierte Ausbildung. Damit haben wir schon sehr positive Erfahrungen gemacht. Unsere ehemaligen Studierenden kommen später mit ihren Schulklassen sehr gern wieder auf unsere Angebote zurück. Von diesem Austausch zwischen Praxis und Forschung können alle Seiten wiederum viel lernen.

Burger: Eigentlich haben wir das Paradebeispiel im eigenen Team. Bei dir, Marvin, ist es doch auch ganz ähnlich gelaufen. Du hast früher schon als Student hier in einem Schülerlabor gearbeitet und daraus ist nun die Leitung des KILabs entstanden. (lacht)

Kommen wir zu ganz praktischen Fragen. Was müsste ich als Heidelberger Lehrerin tun, um einen Tag in Ihrem Schülerlabor verbringen zu können?

Im Idealfall kennen Sie dann schon unsere Website, auf der Sie die ersten Informationen erhalten. Dort können Sie uns direkt über ein Online-Anmeldeformular kontaktieren. Dann finden wir einen passenden Termin und vor dem eigentlichen Besuch können Sie Ihre Klasse im Unterricht mithilfe unseres kompakten „SchülerWissens“ ideal auf den Tag hier im Biologicum vorbereiten.

Wie viele Teilnehmende finden bei Ihnen Platz?

Henrich: Unter normalen Bedingungen bietet der Raum Platz für 20 Schülerinnen und Schüler plus zwei betreuende Personen. Aktuell können unter Corona-Bedingungen 16 Teilnehmende plus zwei Betreuende zu uns kommen.

Wie viel Zeit nimmt ein kompletter Schülerlabortag in Anspruch?

Angedacht ist 9–15 Uhr inklusive einer Mittagspause.

Kann ich mit einer 8. Klasse genauso wie mit einer 12. Klasse zu Ihnen kommen?

Nicht ganz, unser Angebot gilt ab Jahrgangsstufe 9. Aktuell kommen vor allem Jahrgänge aus der Oberstufe, weil dort das Thema Verhaltensbiologie im Lehrplan vorgesehen ist. Unsere Inhalte sind aber für alle ab Klasse 9 verständlich und spannend aufbereitet.

Nun haben Sie bereits ein Jahr Konzeptionsphase hinter sich. Was sind ihre Wünsche für das nächste Jahr des KILabs?

Henrich: Mein großer Wunsch ist, dass das Angebot zunächst gut anläuft. Außerdem hoffe ich, möglichst viele Klassen für die verhaltensbiologischen Inhalte begeistern zu können und Verständnis für die Grundzüge der KI zu schaffen. Gerade weil KI schon Bestandteil des Alltags der Schülerinnen und Schüler ist und auch im Berufsleben ganz klar Teil des Alltags werden wird.

Dierkes: Es ist ein sehr neuartiges Schülerlabor. Deswegen freue ich mich sehr auf die Reaktionen und die Erfahrungen, die wir damit machen werden. Schließlich sind wir für die geplante Intensivphase als Ferienprogramm auf die Erfahrungen aus dem Schülerlabortag angewiesen.

Burger: So geht es mir auch. Aus biologisch-didaktischer Sicht würde ich mich wahnsinnig freuen, wenn der eine oder die andere hier rausgeht und sagt: „Ok, Verhaltensbiologie ist echt spannend!“ Es wäre toll, wenn wir hier einen neuen Zugang zu diesem Thema des Biologie-Lehrplans schaffen. Und auf die Intensivwoche freue ich mich, in der wir mit den Schülerinnen und Schülern auch nochmal in den Zoo gehen und mit Expertinnen und Experten sprechen werden. Bis dahin freuen wir uns sehr auf die Durchführung der Tagesprogramme und vor allem natürlich auf die Schülerinnen und Schüler!

Über Klaus Tschira Stiftung gGmbH

Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de

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