Nachfolge und Nachhaltigkeit, Bewahrung und Aufbruch: Familienunternehmen müssen zahlreiche Aufgaben parallel bewältigen, um ihren Betrieb fit für kommenden Generationen zu machen. Ein intensiver Austausch hilft dabei, diese Herausforderungen zu bewältigen. Wie Traditionsbetriebe „enkelfähig“ werden, diskutierten Unternehmensvertreter mit Wissenschaftlern der Technischen Universität München (TUM) am Bildungscampus Heilbronn.  

Die eigene Geschichte reicht weit zurück – doch der Blick geht nach vorne: Diesen Spagat müssen Familienunternehmen meistern, die ihren Betrieb nachhaltig aufstellen wollen. „Uns ist klar, dass wir die Tradition neu definieren müssen, wenn wir sie in Zukunft erhalten wollen“, sagt Sarna Röser. Sie ist designierte Unternehmensnachfolgerin der vierten Generation des Rohr-Spezialisten Karl Röser & Sohn aus Mundelsheim. Zugleich ist sie Bundesvorsitzende des Verbands „Die jungen Unternehmer“ und vertritt damit mehr als 1500 potenzielle Nachfolgerinnen und Nachfolger aus deutschen Traditionsfirmen.  

Familienunternehmen, viele von ihnen mit jahrzehntelanger Historie, stehen dabei vor vergleichbaren Herausforderungen. Erstens müssen sie ihren Betrieb durch die digitale Transformation steuern und dafür Geschäftsmodelle und Produktion modernisieren. Zweitens steigt der Druck, sich immer stärker dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Und drittens darf trotz drängender kurzfristiger Aufgaben nicht die langfristige Suche nach einem Nachfolger aus dem Blick geraten. Gefordert ist dabei eine Neuinterpretation der Kernkompetenzen, die Familienunternehmern gerne zugeschrieben werden: Kreativität, Eigeninitiative und eine hohe Innovationsfähigkeit.  

Austausch zwischen Familienunternehmern und Forschern  

Um die Herausforderungen zu meistern, ist viel Austausch nötig: Zwischen den Generationen, zwischen Unternehmen – und auch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Die drängenden Schritte und Strategien für Familienunternehmen diskutierten Firmenvertreter aus der Region Heilbronn-Franken mit Forschern der Technischen Universität München (TUM) [Mitte Oktober]. Die Bühne dafür bot die zweite Auflage des Netzwerkformats TUM Talk, zu dem die Hochschule an den Bildungscampus Heilbronn eingeladen hatte.  An dem Standort ist mit dem Global Center for Family Enterprise (GCFE) unter der Leitung von Prof. Miriam Bird ein interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt für Familienunternehmen entstanden. An der Schnittstelle von Wirtschaft, Recht, Psychologie und Soziologie wird hier an wissenschaftlichen Antworten auf Fragen der unternehmerischen Praxis gearbeitet.  

Klar ist: Familienunternehmen müssen eine neue Balance zwischen Tradition und Innovation finden. Das stille Tüfteln im Verborgenen gehört der Vergangenheit an. „Wer sich auf dem Erfindertum seiner Vorgänger ausruht, der hat die Zukunft verloren“, sagt Thomas F. Hofmann, Präsident der Technischen Universität München (TUM). Innovation in Arbeitsweisen und Geschäftsmodellen kann etwa durch Kooperationen mit Start-ups auf die Sprünge geholfen werden. „Man muss sich inspirieren lassen“, sagt Wolf Michael Nietzer, der als Rechtsanwalt viele Unternehmer begleitet, „so kann man die Begeisterungsfähigkeit von jungen Firmen in die Familienunternehmen hereintragen“.  

Für ein Miteinander von verschiedenen Generationen wirbt etwa Professorin Miriam Bird: „Die neue Generation kann frischen Wind mitbringen – dafür braucht es aber auch das Verständnis der älteren Generation.“ Angesichts begrenzter Ressourcen müssen Gesellschafter und Geschäftsführer jedoch darauf achten, sich nicht zu stark zu verzetteln: „Ich bin nicht dafür, komplett ‚out of the box‘ zu denken“, sagte Uwe Wagner, Vorstand für Forschung und Entwicklung beim Zulieferer Schaeffler, „sondern eher dafür, die eigene Box immer etwas größer zu machen.“ 

Neugier auf Nachhaltigkeit hilft  

So können auch Trendthemen frühzeitig auf den Radar von Familienunternehmen rücken. Beispiel Nachhaltigkeit: Kunden, Zulieferern, Mitarbeitern, Behörden und dem Finanzmarkt erhöhen den Druck auch auf den familiengeführten Mittelstand, sich stärker um Energieeffizienz und Klimaschutz zu bemühen. Kirsten Hirschmann, geschäftsführende Gesellschafterin von Hirschmann Laborgeräte, verweist auf ein mit Solarkraft betriebenes Gerät aus ihrem Hause – das bereits 2000 auf den Markt kam. Ökonomie und Ökologie ließen sich in dem Pionier-Produkt verbinden: „Es hat einen hohen Nachhaltigkeitsaspekt, vor allem aber einen hohen Kundennutzen“, sagte Hirschmann.  

Auch die Schaeffler AG verankerte frühzeitig das strategische Ziel, sich auf einen wachsenden Anteil elektronisch angetriebener Fahrzeuge vorzubereiten. Die Realität überholte den Automobilzulieferer sogar – doch die Weichen in die richtige Richtung waren gestellt: „Das hat uns geholfen, vor der Welle zu sein“, sagt Wagner. Und ermöglichte so ein selbstbestimmtes Agieren statt eines hektischen Reagierens.  

Nicht alle Firmen schaffen es, diese Schritte aus eigenem Antrieb anzugehen. „Noch sehe ich viele Familienunternehmen eher als Getriebene durch den Druck von außen“, sagt Branchenbeobachter Nietzer. Erst auf die Anforderung von Lieferanten oder der Behörden werden dann entsprechende Maßnahmen ergriffen. Der Grund: Hohe Kosten für den Umbau oder Aufbau von neuen Anlagen stehen nicht unbedingt direkte zusätzliche Umsätze entgegen. Doch gerade Familienunternehmen, deren Perspektive sich eher auf Generationen als Quartale erstreckt, sollten den langfristigen Blick einnehmen, raten Experten: „Der Umbau hin zu mehr Nachhaltigkeit wird mich kurzfristig Rendite kosten, aber es ist eine Investition in die Zukunft“, sagt Nietzer.  

Mit Engagement zur Enkelfähigkeit  

Alle Bemühungen zahlen nicht nur auf die ökonomische Zukunftsfähigkeit des Unternehmens ein – sondern auch auf die sogenannte „Enkelfähigkeit“. Familienunternehmen müssen sich zunehmend darum bemühen, überhaupt attraktiv für die nächste Generation zu sein. Jedes Jahr suchen zehntausende an Betrieben einen Nachfolger. Dieser Prozess ist nicht in wenigen Monaten zu erledigen: „Unternehmer müssen immer früher an die Übergabe denken“, warnt Professor Helmut Krcmar, Gründungsdekan und Beauftragter des Präsidenten für den TUM Campus Heilbronn, „um einen Nachfolger zu finden und die Organisation auf den Wandel vorzubereiten.“ Wichtig dabei: Ein ehrlicher Austausch mit potenziellen Nachfolgern – ob aus der Familie oder von außerhalb. Denn mit der Führung kommt auch eine Verpflichtung: „Familienunternehmer übernehmen Verantwortung für Menschen – und für die Heimatregion, für die sie häufig wichtige Stützpfeiler sind“, sagt Hofmann.  

Dazu kommen hunderttausende freiwerdende Stellen in den Unternehmen, die häufig fernab der großen Metropolen beheimatet sind. Familienbetriebe werden zunehmend kreative Wege finden müssen, um Expertinnen und Spezialisten in ihre Firmen zu locken. Eine große Hoffnung liegt dabei auch auf den Hochschulen: Am Campus der TUM in Heilbronn sind mittlerweile über 440 Studierende in vier Studiengängen eingeschrieben. „Im Schulterschluss von Campus, Wissenschaft und Unternehmen wird es die Aufgabe der nächsten Jahre sein, diese Talente auch in der Region zu behalten“, sagt Hofmann. 

Anstrengen statt Ausruhen steht auch für die meisten Familienunternehmer auf der Agenda. Das Engagement ist nicht nur wichtig, um die Firma wirtschaftlich auf Kurs zu halten. Sondern nötig, um potenzielle Nachfolger und dringend gesuchten Fachkräfte für die Traditionsunternehmen zu begeistern. „Unser Familienunternehmen ist unser Zuhause“, sagte Sarna Röser beim TUM Talk, „und für ein Zuhause lohnt es sich zu kämpfen.“  

Das Netzwerkformat auf dem Bildungscampus Heilbronn zeigte: Im Miteinander von Praxis und Forschung lassen sich neue Strategien für die heutigen Herausforderungen herausarbeiten. Der dritte TUM Talk findet am Donnerstag, 28. April 2022, statt.  

Mehr Informationen: https://www.wi.tum.de/tum-talk-in-heilbronn/

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