Es ist schon oft die Bedeutung von Forward-Sätzen bei der Bewertung des heutigen Wertes von Anleihen entlang der Renditekurve erläutert worden. Die aktuellen Renditekurven der Industrie- und Schwellenländer zeigen eine positive Steigung auf. Darin spiegelt sich die Erwartung wider, dass die Zentralbanken die Leitzinsen in den kommenden Jahren anheben werden. Bei der Berechnung der Forward-Sätze ist zu beobachten, dass diese oberhalb der aktuellen Renditekurve verlaufen. Anleger, die glauben, dass die Normalisierung der Geldpolitik insgesamt schneller vonstatten gehen wird, sollten von Carry-Portfolios mit mittlerer bis langer Duration Abstand nehmen, da die künftigen langfristigen Zinsen über den Forwards liegen werden. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die Teilnehmer annehmen, dass die Zentralbanken mehr Zeit für die Normalisierung benötigen, indem sie die Zinsen länger niedrig halten, was dazu führt, dass die realisierten Forward-Sätze unter den heute erwarteten liegen. In diesem Szenario werden Carry-Portfolios werthaltig.

Die Rohstoffmärkte funktionieren in ähnlicher Weise. Die Rohstoff-Forward-Kurve ist das Instrument, mit dem das zukünftige Gleichgewicht oder Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage analysiert wird. Rohstoffe pendeln zwischen ‚Backwardation‘ und ‚Contango‘ hin und her. Backwardation bezieht sich auf ein knappes Angebot, bei dem die aktuellen Preise über den zukünftigen Preisen liegen. Demgegenüber handelt es sich bei Contango um ein Überangebot, bei dem die Kassakurse niedriger sind als die Terminkurse. ‚Forward Spreads‘ bezeichnen die Kosten für die Lagerhaltung eines Rohstoffs. Der Forward Spread (Kontraktdifferenz) für WTI-Rohöl zwischen den Terminen November 2021 (Schlusskurs 82,66 USD) und November 2022 (Schlusskurs 73,47 USD) lag Ende letzter Woche bei 9,19 USD, ein seltener Zustand. Diese Differenz spiegelt in Echtzeit die Angebot-Nachfrage-Situation unter Berücksichtigung von Zinssätzen sowie Lagerungs- und Finanzierungskosten wider.

Rohstoffe sind eine extrem volatile Anlageklasse. Der WTI-Öl-Kontrakt wird an den ‚At-the-Money‘-Optionsmärkten mit einer impliziten Volatilität zwischen 30 und 35% gehandelt. Bei Erdgas-Optionskontrakten ist die implizite Volatilität mit Blick auf die kommenden fünf Monate auf über 100 % angestiegen, um für April 2022 wieder auf 50 % zu fallen. Der Grund für solch einen Rückgang liegt in saisonalen Faktoren. Engpässe bei Erdgas treten häufig zwischen Oktober und März auf und nehmen ab, wenn sich die Lagerbestände im Frühjahr und Sommer aufbauen.

Der Bereich der Energierohstoffe steht eindeutig unter starkem Druck. Dies könnte im kommenden halben Jahr so bleiben, wie Öl-, Erdgas- und Kohle-Kontrakte auf Sicht von sechs Monaten anzeigen. Der Kohle-Kontrakt Februar 2023 wird zur Hälfte des Preises für den Kontrakt November 2021 gehandelt. Die enorme Verknappung auf den Erdgasmärkten führt zu starken Ersatzströmen in Richtung Öl und Kohle. Innerhalb des Energiebereichs stützen sich die meisten Kontrakte gegenseitig, da die Kapazitäten während der Coronakrise stark abgebaut wurden. Die Investitionsausgaben erholen sich nur langsam und Energieunternehmen haben es nicht eilig. Erschwerend kommt hinzu, dass der Energiesektor derzeit auch ein Spielfeld für Spekulanten ist. In anderen Rohstoffsektoren ist dies weit weniger der Fall. Die Umgehung der angespannten Versorgungslage im Energiebereich hin zu Edelmetallen, Basismetallen und anderen Rohstoffen ist eine zu große Hürde.

Gold und Silber werden – ein Überangebot widerspiegelnd – im Contango gehandelt. Beide Edelmetalle haben an Bedeutung als Instrument für die Flucht in Sicherheit verloren. Sinkende Realrenditen haben sich nicht in einem entsprechenden Anstieg des Goldpreises niedergeschlagen. Ein widerstandsfähiger und derzeit steigender USD-Index ist ebenfalls nicht hilfreich. Der Aufstieg des Bitcoins als Anwärter für die Portfoliodiversifizierung macht traditionellen Anhängern von Gold-Investments noch stärker zu schaffen. Die Märkte für physisches Gold, Silber und Platin deuten jedoch nicht auf eine Angebotsverknappung im Jahr 2022 hin.

Bei den Basismetallen beobachten wir eine allgemeine Aufwärtsverschiebung der Kupfer- und Aluminiumkurve, die Kontraktübersicht zeigt eine flache Struktur auf. Da das globale Wachstum im ersten Halbjahr 2021 seinen Höhepunkt überschritten hat und für 2022 solide, aber niedrigere Wachstumsbedingungen erwartet werden, sollte kein Stress aus dem Energiesektor auf Basismetalle übertragen werden. Das Gleiche gilt für Sojabohnen, Mais, Weizen und Kaffee. Die Forward-Kurven für diese ‚weichen‘ Rohstoffe weisen keine starke Backwardation auf. Weder sind Bestandskontrollen und Bestandsmanagement außer Kontrolle geraten noch bestimmen Spekulanten die Edel- und Basismetallmärkte. Dies trifft auch auf ‚Soft Commodities‘ wie Schnittholz zu. Aufgrund der Bausaisonalität und der Coronazwänge verdoppelten sich die Preise zwischen Januar und Mai 2021, um heute wieder zu ähnlichen Preisen wie zu Jahresbeginn zurückzukehren. Eine perfekte Trendwende; bei Rohstoffen können Umschwünge schnell und heftig erfolgen.

Es ist erstaunlich, dass Finanzmarktstrategen mit großer Dringlichkeit dazu aufrufen, sich in Zeiten hoher Inflation in Rohstoffen als Diversifikationsinstrument zu engagieren. Ich frage mich, ob ihr Timing richtig ist, insbesondere in Anbetracht des hohen und aggressiven Volatilitätsprofils dieser Rohstoffe. Betrachten wir zwei zusammengesetzte Indizes: Der CRB (Commodity Research Bureau) Rind-Index für Industrierohstoffe, für den es keine aktiven Futurekontrakte gibt, notiert auf einem 40-Jahres-Hoch. Dieser Rohstoffindex hat die Höchststände von 2011 durchbrochen, während sich auch der Hauptindex ‚CRB All Commodity‘ in Reichweite zum Allzeithoch, das ebenfalls 2011 erreicht wurde, befindet.

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir im ersten Halbjahr 2021 den Höhepunkt des Wachstums gesehen haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir in den kommenden sechs Monaten den Höhepunkt der Inflation erreichen, könnte von hier an steigen. Die Finanzbehörden werden in der Debatte um das Tapering und die Straffung der Leitzinsen mutiger. Interessanterweise erreichte der Rohstoffsektor im Jahr 2011 seinen Höchststand – ein Niveau, das wir auch heute wieder sehen – im Monat März, um von diesem Niveau bis Jahresende wieder um 16 % und bis Ende 2015 sogar um 35 % zu fallen.

Die Botschaft lautet: Rohstoffmärkte sind spezielle Märkte. Die breite Anlegeröffentlichkeit in Rohstoffe zu lenken, um sich aus Angst gegen Inflation abzusichern oder das Portfolio zu diversifizieren, ist ein Zeichen unserer Zeit. Es fördert die Spekulation und verursacht viele negative externe Effekte. Aus der ESG-Perspektive fällt dies nicht unter den Grundsatz „Do-Not-Significant-Harm“. Wir sollten zulassen, dass sich die Nachfrage- und Angebotsbedingungen auf natürliche Weise normalisieren. Die zugrundeliegenden Angebots- und Nachfragespannungen sollten sich selbst wieder ins Gleichgewicht bringen können. „Putting out fire with gasoline“ war ein großartiger David Bowie-Song. Hoffen wir, dass die Finanzindustrie dies nicht in die Praxis umsetzt. Denn wieder einmal wird „Otto Normalbürger“ für die Kosten aufkommen müssen.

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