Gegenüber der Resektion hat die SRS zwar grundsätzlich den Vorteil, dass sie ambulant durchgeführt werden kann und weniger invasiv ist. Allerdings ist eine verlässliche Aussage zu Nutzen oder Schaden derzeit nicht möglich, weil zu zwei größeren Studien aus zwei renommierten US-amerikanischen Forschungsinstitutionen keine Ergebnisse vorliegen. Beide Studien sind seit einigen Jahren im Studienregister als „abgeschlossen“ eingetragen, publizierte Daten gibt es aber nicht. Auf wiederholte Anfragen des IQWiG antworteten die beiden Forschergruppen nicht. Weder kam eine Antwort vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke (NINDS), noch vom MD Anderson Cancer Center, Houston, Texas.
Gegenüber der GHB zeigte sich in den verfügbaren Studien für die Patientinnen und Patienten nach SRS eine deutlich geringere Beeinträchtigung der Gedächtnisleistung. Zudem benötigt die SRS (anders als die GHB mit 5 bis 15 Bestrahlungen) nur einen Behandlungstermin und kann beispielsweise bei Fortschreiten der Erkrankung erneut durchgeführt werden. Anhand der vorliegenden Daten bleibt jedoch unklar, ob diese Vorteile mit einer höheren Sterblichkeit einhergehen könnten.
Stellungnahmen zum Vorbericht sind möglich bis zum 15. Oktober 2021.
Einmalige Bestrahlung birgt Vorteile
Ab einer bestimmten Größe können die einzelnen Hirnmetastasen mithilfe einer mikrochirurgischen Resektion entfernt werden. Bei der stereotaktischen Radiochirurgie (SRS) hingegen werden sie zumeist einmalig (einzeitig) hoch dosiert mithilfe von Kobalt-60-Gamma-Strahlungsquellen bestrahlt. Durch den hohen Dosisabfall am Rand der behandelten Metastasen soll das umliegende gesunde Gewebe geschont und somit das Risiko strahlenbedingter Schäden reduziert werden. Im Gegensatz hierzu wird bei der Ganzhirnbestrahlung (GHB) die Strahlendosis auf mehrere Therapiesitzungen aufgeteilt und das gesamte Gehirn der Betroffenen bestrahlt.
Bei 50 bis 60 Prozent der Patientinnen und Patienten, bei denen einzelne Hirnmetastasen operativ entfernt wurden, entwickelt sich innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach Resektion ein lokales Rezidiv, also wieder ein Tumor. Sowohl die GHB als auch die SRS können zur begleitenden (adjuvanten) Behandlung nach einer Resektion herangezogen werden, um die postoperativen Resektionshöhlen und/oder weitere nicht resezierte oder neu auftretende Hirnmetastasen zu bestrahlen.
SRS versus mikrochirurgische Resektion: Unpublizierte Daten verhindern valide Aussagen
Für den Vergleich der SRS mit einer Resektion sind aktuell vier abgeschlossene Studien relevant, aber nur für zwei davon wurden Ergebnisse veröffentlicht. Weil die Studiendaten der beiden anderen abgeschlossenen Studien mit höheren Fallzahlen fehlen, besteht die Gefahr, dass die Daten aus den veröffentlichten Studien nur ein verzerrtes Bild der Studienlage wiedergeben (Publikationsbias). Zwar bietet die SRS prinzipiell den Vorteil, dass sie ambulant durchgeführt werden kann und sehr viel weniger invasiv wirkt als das operative Entfernen von Hirnmetastasen. Aufgrund der fehlenden Daten zu wichtigen Aspekten wie Sterblichkeit und gesundheitsbezogene Lebensqualität ist jedoch keine verlässliche Bewertung möglich. Deshalb lässt sich für diesen Therapievergleich keine zusammenfassende Aussage zu einem höheren Nutzen oder Schaden einer der beiden Behandlungsoptionen machen.
SRS versus Ganzhirnbestrahlung: Daten zur Sterblichkeit sind essenziell
In insgesamt sechs randomisierten Studien (RCTs) wurde die SRS mit der Ganzhirnbestrahlung (GHB) verglichen – aber nur eine Studie davon bietet eine hohe Ergebnissicherheit. Die beiden Bestrahlungsverfahren wurden in diesen Studien sowohl primär bei zuvor unbehandelten Hirnmetastasen als auch begleitend (adjuvant) nach vorangegangener Metastasen-Resektion eingesetzt. Aus den Studiendaten lässt sich nur für eine Teilkomponente der kognitiven Funktion ein Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen der SRS im Vergleich zur GHB feststellen: Die Gedächtnisleistung von Patientinnen und Patienten nach einer SRS war deutlich weniger beeinträchtigt als nach einer GHB. Für andere kognitive Funktionen (z. B. Sprachfluss) sowie bei Aktivitäten des täglichen Lebens, bezüglich Nebenwirkungen und Komplikationen der Therapie und gesundheitsbezogener Lebensqualität zeigten sich keine Unterschiede zwischen den beiden Interventionen.
Zwar bietet eine SRS gegenüber der GHB die prinzipiellen Vorteile, dass die Bestrahlung einmalig erfolgt, was für die Patientinnen und Patienten einen sehr viel geringeren Behandlungsaufwand bedeutet, und dass sie bei Bedarf, das heißt bei einem erneuten Auftreten von Hirnmetastasen (Rezidiven), wieder eingesetzt werden kann. Allerdings blieb wegen der unpräzisen Daten unklar, ob die beiden Behandlungsoptionen eine vergleichbare Sterblichkeit aufweisen oder ob die genannten Vorteile mit einem früheren Versterben der Patientinnen und Patienten einhergehen könnten. Daher ergibt sich in der Gesamtschau der bisher verfügbaren Studien auch für den Vergleich der SRS mit der GHB kein höherer Nutzen oder Schaden einer der beiden Behandlungsoptionen.
Noch unpublizierte Daten könnten Aufschluss geben
Es hat sich aufgrund ausgeprägter Präferenzen in der Vergangenheit als schwierig erwiesen, bei Patientinnen und Patienten mit Hirnmetastasen randomisierte klinische Studien zum Vergleich von nicht operativer, strahlentherapeutischer Behandlung auf der einen und neurochirurgischer Operation auf der anderen Seite durchzuführen. Daher wäre es sehr wichtig, zu den beiden bereits abgeschlossenen Studien vollständige Ergebnisse zu erhalten. Das IQWiG wird sich erneut an die beiden o.g. Institutionen in den USA wenden, weil ohne die Daten zu den Ergebnissen der beiden Studien keine valide Aussage zu Nutzen und Schaden getroffen werden kann. „Das Nicht-Veröffentlichen der Ergebnisse klinischer Studien ist leider insbesondere im akademischen Bereich weiterhin ein weit verbreitetes Übel“, sagt Stefan Sauerland, Leiter des IQWiG-Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren: „Es behindert den medizinischen Fortschritt und macht eine evidenzbasierte Entscheidungsfindung sehr schwierig.“
Zum Ablauf der Berichtserstellung
Den Berichtsplan für dieses Projekt hatte das IQWiG im März 2021 veröffentlicht. Stellungnahmen zum Vorbericht werden nach Ablauf der Frist ab dem 15. Oktober gesichtet. Sofern sie Fragen offenlassen, werden die Stellungnehmenden zu einer mündlichen Erörterung eingeladen.
Das IQWiG ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen für Patienten untersucht. Wir informieren laufend darüber, welche Vor- und Nachteile verschiedene Therapien und Diagnoseverfahren haben können
Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Siegburger Str. 237
50679 Köln
Telefon: +49 (221) 35685-0
Telefax: +49 (221) 35685-1
http://www.iqwig.de
Stabsbereich Kommunikation
E-Mail: jens.flintrop@iqwig.de