Es ist kalt und dunkel als sich der blaue Bug zum ersten Mal öffnet. Noch liegt das größte Plug-in-Hybrid-Schiff der Welt ruhig am Pier im malerischen Sandefjord, Norwegen. Schatten fliegen über die Außenwand der Color Hybrid; die ersten Autos rollen an Bord. Vor der Crew um Kapitän Asbjørn Heide Larsen liegt ein langer Tag; hinter ihr eine kurze Nacht. Der Berg an Lebensmitteln für heute ist längst an Bord, dirigiert von Küchenchef Morten Halseth. Wie jede Nacht. Dann heißt es Leinen los, Schweden wartet. Die Motoren schweigen, aber das Schiff gleitet aus dem Hafen in den Fjord. Ganz normal an Bord der Zukunft. Jury-Vorsitzender Gustav-Erik Blaalid sprach 2019 von einer „neuen Ära im Segment der Personenfähre“, als er die Color Hybrid – unter den Augen des Thronfolgers Prinz Haakon – zum „Schiff des Jahres“ kürte. Die Seefahrernation muss es wissen.

160 Meter und 9 Decks formen das größte Plug-in-Hybrid-Schiff der Welt. 11.000 Volt Landstrom rauschen bei jedem Aufenthalt durch einen gewaltigen Stecker in vier Batteriebänke. 65 Tonnen Akkukraft liefern 5 Megawattstunden! Damit gleitet  der Koloss 20 Minuten lang durch die Fjorde. Völlig emissionsfrei und still, denn die Hauptmotoren starten erst auf hoher See. Bis dahin läuft alles mit Ökostrom aus Wasserkraft, bis zur Beleuchtung, den Aufzügen und den Kühltheken des Supermarkts. Auch geheizt wird nachhaltig: Eine Waste-Heat-Recovery nutzt dafür 24 Stunden lang die Wärmeenergie der Motoren. Sogar die Küchenkräuter gedeihen nachhaltig und trotzen dem nordischen Grau im Gewächshaus auf dem Hauptdeck, verwöhnt von Licht und Wärme. All das drückt den Ausstoß von Stickoxiden auf null, der von CO₂- schmilzt um ein Drittel im Vergleich zu Fähren dieser Größe. Doch hier ist noch lange nicht Schluss.

Eine Kreuzfahrt für zweieinhalb Stunden
Zwischen dem idyllischen Sandefjord und dem schwedischen Strömstad liegen nur 60 Kilometer Luftlinie. Aber auch das Skagerrak . Für einen reibungslosen Grenz- und Warenverkehr zwischen den skandinavischen Nachbarn pendelt die Color Hybrid zweieinhalb Stunden von Fjord zu Fjord. Vier Mal am Tag. Bis zu 2.000 Personen und 500 Fahrzeuge strömen jedes Mal an Bord und erwarten eine Kreuzfahrt im Kleinformat. Damit reißt auch der Wunsch nach frischen Buffets, Speisen und Waren nie ab, von morgens, bis in die Nacht. Eine Mammutaufgabe in puncto Logistik, vom Druck auf die Crew ganz zu schweigen: 100 Frauen und Männer leben zwei Wochen lang im Dauereinsatz an Bord. Dann übernimmt die zweite Besatzung das Ruder für die kommenden 14 Tage.

Davon ahnen die Passagiere nichts. Sie genießen die charmante Aussicht, schlemmen im Koster Buffet, genießen Snacks mit Meerblick in der Utsikten Bar & Lounge oder plaudern im Spiseriet Café. Über 2.200m² warten auf Modebewusste und Schnäppchenjäger mit zollfreien Lebensmitteln, Spielwaren, Kleidung und Elektroartikeln. Familien zieht es zum Spielplatz ins Freie und wer eine Glückssträhne wittert, besucht das Kasino. Kreuzfahrt und Fähre verschmelzen auch bei der Technik. Schließlich geht es übers offene Meer. „Im Ernstfall gilt auch für uns die Richtlinie „Safe Return to Port“ erklärt der Jürgen-Iver Sell. Gemeint ist ein internationales Sicherheitskonzept. Die Schiffstruktur ist redundant, sodass auch bei einem Leck der nächste Hafen erreicht wird. Echte Schifffahrt eben.
Sell, Public Health Manager bei Color Line, kennt das schwimmende Effizienzwunder aus dem Effeff. Sein Metier bei Norwegens größter Reederei ist Hygienesicherheit, samt Lebensmitteln, Trinkwasser und Schwimmbädern. „Hygiene-Hotspots gibt es überall an Bord. Deshalb schreibt die WHO ein Ship Sanitation Certificate vor“, erklärt er vor dem – frisch desinfizierten – Aufzug des Parkdecks. Die Gesundheitsbehörden prüfen das alle sechs Monate. Der gebürtige Rheinländer bildet hierfür die Prüfer der Behörden aus und entwarf Teile des Sicherheitssystems für Hygieneprozesse auf der Color Hybrid. EU-Gesetze zur Schifffahrt sind also sein täglich Brot – immerhin verantwortet er die Hygienesicherheit von jährlich rund 4 Millionen Passagieren der Flotte. Neben Nachhaltigkeit ist die das A und O an Bord, nicht erst seit Corona: „Die Spülküche ist ein gutes Beispiel. Sie kann ein Epizentrum sein, etwa beim Übertragen von Noroviren über das Geschirr. Alles geht von hier an Tausende Menschen raus, die dann das Schiff verlassen“, erklärt der gelernte Koch, Desinfektor und Key Account Manager für Küchengroßmaschinen. Dank seiner facettenreichen Vita entwarf er die Spülküche daher kurzerhand selbst, auch als einen Eckpfeiler des grünen Konzepts an Bord.

Hygieneplus und Treibstoff aus Orangenschalen
Reste des Buffets, Gräten, Fischhaut, Obst- und Gemüseschalen, Kerne und und und. Aus Eimern, Blechen und von Brettern fliegt der sogenannte Nassmüll in große Edelstahltrichter in den Arbeitsflächen. Ein Vakuum baut sich  auf und zieht alles mit sich. Die zerkleinerte Masse schießt durch die Rohre unter den Decks  in einen Stahltank im Bauch des Schiffs. Der Trichter ist leer, bereit für die nächste Fuhre. So geht es im Akkord. Unentwegt trudeln Bestellungen ein und das Mittagsbuffet wartet. „Auch der Nassmüll ist Teil unseres grünen Konzepts. Die Lebensmittel kommen nachts frisch an Bord und wenn die Passagierzahlen schwanken, müssen wir zwar flexibel sein, kalkulieren aber haarscharf, um nichts zu vergeuden. Deshalb wiegen wir auch alle Reste und spezifizieren sie, ehe sie zerkleinert und gesammelt werden“, erläutert Sell.

Vier solcher Trichter gibt es an Bord. Ihre Leitungen münden in einen kleinen Raum unter der Auffahrt zum oberen Parkdeck. Darin wartet der Sammeltank mit 7 m³. Maßgeschneidert, denn auf See sind Millimeter Gold wert. „Das System ist geschlossen, geruchsarm und bedarf keiner Kühlung. Ein bis zweimal pro Woche saugt ein Tanklaster die Biomasse vom Parkdeck aus ab, das war´s“, ergänzt der Wahl-Norweger. Ganz in der Nähe wird daraus dann wieder Treibstoff hergestellt. Küchenchef Halseth verweist auch auf die Hygiene: „Wir müssten alle Reste quer über das Schiff befördern. Stattdessen fliegen sie in die Eingabestationen, Knopf drücken; mehr haben wir damit nicht zu schaffen.“ Den Rest, oder vielmehr die Reste, übernimmt die Anlage des deutschen Herstellers Meiko Green Waste Solutions. Sie nimmt es mit Muscheln der skandinavischen Küche, Kaffeesatz und eimerweise Orangenschalen aus der beliebten Saftpresse auf. „Alle Maschinen an Bord müssen zuverlässig, langlebig und einfach zu bedienen sein. Und robust!. Oft genügt ein Griff an die Tür der Geräte und man spürt die Qualität“, sagt Sell und läuft zur Spülküche.

„Zuverlässigkeit ist hier keine Floskel, die muss einfach gegeben sein“
Wegen des Seegangs ist alles fest verschweißt. „Mal eben eine Maschine tauschen geht nicht und bei einem Ausfall auf hoher See kommt auch kein Servicepersonal“ – Sell steht im fensterlosen Raum neben der Hauptküche auf Deck 7. Ohne Lärmschutz geht hier nichts. Wände, Boden, Decke: Edelstahl. Pausenlos laufen volle Geschirrkörbe in eine wuchtige Bandtransportmaschine, die den Raum dominiert. Und pausenlos rollen sie hinten wieder sauber heraus. Dort wird alles, sortiert, gestapelt und geht zurück in die Küche. Die Schlagzahl ist gewaltig. Ein Passagier nutzt im Schnitt vier Teller und drei Gläser für Wasser, Cocktail oder Wein. Vollauslastung hieße also bereits 32.000 Teller am Tag. Dazu kommen Tassen und Besteck. „Wir meiden Plastik, wo es nur geht und verzichten auch auf Einweg-Verpackungen. Wo es sein muss, bleibt es bei abbaubarem Kunststoff“, erklärt Sell die hereinschwappenden Geschirrberge. „Wir haben einen Umschlag wie in der Kreuzfahrt. Stellen Sie sich mal vor, diese Maschine fällt auf hoher See aus. Bei Tausenden Gerichten und Getränken steht der Betrieb sofort still. Da gibt es keinen Plan B. Zuverlässigkeit ist hier keine Floskel, die muss einfach gegeben sein, jeden Tag, auch nach Jahren.“

Wenn es doch hart auf hart kommt, sind alle Ersatzteile an Bord und die Techniker vom Hersteller bestens geschult. Und das grüne Konzept? „Wir spülen mit Frischwasser, das ist kostbar auf hoher See. Es wird in Sandefjord gebunkert und extrem sparsam eingesetzt. Unser Geschirr muss also mit so wenig Wasser wie möglich absolut hygienisch rein sein – Stichwort Noroviren“ so der Hygienemanager. Das Arbeitstier M-iQ dosiert die nötige Wassermenge automatisch, je nach Spülkorb. Das spart viel vom wertvollen Nass. Auch auf der Spültechnik steht das Logo des Herstellers Meiko – in der Spülküche und dezentral in den Bord-Cafés. Alles aus einer Hand. „Das Nutzwasser wird in Grau- und Schwarzwassertanks gespeichert, wir kippen nichts ins Meer“, schließt Sell auf dem Weg zum Aussichtsraum Horisonten Lounge.

Draußen ist der Fjord bereits wieder zu sehen, hungrige Möwen jagen einen Fischkutter. Dann schalten die Hauptmotoren ab. Die Akkus übernehmen. Kaum jemand bekommt es mit. So selbstverständlich kann nachhaltig sein. Die nordisch entspannte Atmosphäre an Bord wird dadurch noch klarer – offensichtlich verging die Fahrt wie im Flug. Autofähre, Shoppingcenter, Genusstempel, Leuchtturm für Nachhaltig: Schifffahrt und Umweltbewusstsein sind kein Widerspruch, das steht fest. Später in der Nacht schließt sich die Bugklappe wieder. Die neuen Lebensmittel kommen. Bald bildet sich eine neue Schlange.

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