Dr. Katrin Kamin, Leiterin Task Force Handelspolitik am IfW Kiel, kommentiert die heute anstehende Abstimmung des Europäischen Rats zur neuen EU-Außenhandelsstrategie:  

„Die geplante neue EU-Außenhandelsstrategie ist überfällig. Die EU muss in Zeiten sich verschärfender geoökonomischer Spannungen zu einer wirkungsvolleren Außenhandelspolitik kommen, die stärker den eigenen Interessen dient. Die neue Außenhandelsstrategie legt dafür den Grundstein.

Die EU darf sich nicht kleiner machen, als sie ist. Für fast 60 Prozent aller Länder ist sie der wichtigste Exportmarkt, sofern man Güter und Dienstleistungen zusammen betrachtet. Trotz des Brexits ist sie gemessen am Bruttoinlandsprodukt die drittgrößte Wirtschaftsregion der Welt. Und gemeinsam mit den USA wird die EU noch lange eine höhere Wirtschaftskraft ausweisen als China.

Dies gibt der EU signifikanten Einfluss, internationale Standards zu setzen. Es ist wichtig, dass sie diese Gestaltungsmacht nutzt und Länder dazu bringt, EU-Standards freiwillig zu übernehmen, um als Exporteure einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen („Brüssel-Effekt“).

Die EU muss im geostrategischen Wettkampf ihre Muskeln spielen lassen und ihre Position behaupten. Forschungsergebnisse des IfW Kiel zeigen zwar, dass die EU durch Handelsumlenkungseffekte von der Handelsrivalität zwischen den USA und China profitiert. Jedoch hat der Handelsstreit die Verschiebung weg vom regelbasierten Multilateralismus befeuert und somit die Krise der WTO angetrieben, was der EU schadet. Darüber hinaus setzen immer mehr Staaten auf außenhandelspolitische Instrumente wie etwa Sanktionen, um ihre Interessen durchzusetzen. Dem muss die EU etwas entgegensetzen, sie kann dies nicht tatenlos akzeptieren.

Die bisherige eher zahnlose „Trade for all“-Strategie von 2015 ließ wichtige Aspekte außen vor, wie beispielsweise Arbeitsstandards oder Menschenrechte, so genannte „Non-trade objectives“. Die neue „Open strategic autonomy“-Strategie erwähnt diese explizit, ebenso zieht die EU jetzt ausdrücklich Maßnahmen wie Sanktionen in Betracht, um eigene Interessen durchzusetzen.

Darüber hinaus muss die EU sich in puncto Handelspartner diversifizieren, um sich in der angespannten geopolitischen Lage unabhängiger zu machen und um die Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferketten zu stärken. Die COVID19-Pandemie hat strategische Schwachstellen hier besonders deutlich gemacht. Die neue EU-Strategie erwähnt diese Punkte explizit: Sie legt einen stärkeren Fokus auf die europäische Nachbarschaft und auf die Suche nach anderen, neuen wichtigen Handelspartnern. Der EU-Indien-Gipfel und die damit wiederbelebte Partnerschaft zwischen den beiden Partnern ist ein Beispiel für diese Bemühungen.

Die Herausforderung für die EU besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Wahrung eigener Interessen sowie multilateraler Offenheit zu finden.“

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