Anlässlich ihres Todestages am 26. Mai erinnert der deutsche PEN an die Dichterin Semra Ertan, die im Mai 1982 aus Protest gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit in Deutschland Suizid durch Selbstverbrennung verübte und am 26. Mai, zugleich ihrem Geburtstag, ihren schweren Verletzungen in Hamburg erlag.

Ertan, 1957 in Mersin (Türkei) geboren, kam im Alter von 14 Jahren nach Deutschland. Sie arbeitete als technische Bauzeichnerin, dolmetschte ehrenamtlich für andere Migranten – damals noch ‚Gastarbeiter‘ genannt –, und schrieb Gedichte, die sie als Leserbriefe an die türkische Tageszeitung Milliyet schickte und von denen eines ihrer bekanntesten, „Mein Name ist Ausländer“, Eingang in türkische Schulbücher fand.

Ein kleiner Rückblick auf jene Jahre zeigt, dass es sich bei Semra Ertans Einschätzung des politischen Klimas keineswegs um eine subjektive Empfindung handelte. Waren es im November 1978 noch 39 % der Westdeutschen, die die Forderung unterstützen, die ‚Ausländer‘ sollten in ihre Heimatländer zurückkehren, so waren im Frühjahr 1982 bereits 68 % dieser Meinung. Auch rechtsradikale Gewalttaten gegenüber ausländischen Mitbürgern waren keine Einzelerscheinung mehr. Bürgerinitiativen und politische Gruppierungen mit Namen wie Hamburger Liste für Ausländerstopp oder Kieler Liste für Ausländerbegrenzung fanden beachtlichen Zulauf. In Zeiten steigender Arbeitslosigkeit infolge der zweiten Ölkrise und der Rezession wurden Arbeitsmigranten zunehmend als Konkurrenten um Arbeitsplatz und Wohnraum gesehen.

Unter dem Titel Mein Name ist Ausländer gaben Ertans Schwester Zühal Bilir-Meier und ihre Nichte Cana Bilir-Meier 2020 die erste eigenständige Buchpublikation von Ertans Arbeiten auf Türkisch und Deutsch heraus. Für dieses Werk wurde der Dichterin von der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz postum eine außerordentliche Alfred Döblin-Medaille zuerkannt. In der Jurybegründung heißt es, in ihren Gedichten erweise sich „das Selbstbewusstsein einer jungen Dichterin, die sich schreibend denkt und schreibend das Wahrgenommene unter ethischen Gesichtspunkten prüft und dabei häufig verwirft. Ihr Tod ist ein Fanal, dass das Dichten in einer gleichgültigen Welt nicht geholfen hat.“ Ursula Krechel, die Ehrenpräsidentin des PEN und Vizepräsidentin der Mainzer Akademie fügt hinzu: „So bestürzend Semra Ertans Entscheidung war: Sie hatte ein genaues Empfinden für die Kluft, die sie von der Mehrheitsgesellschaft trennte und in der vielleicht nur die Poesie ein Augenöffner in einem zukünftigen Raum der Wahrnehmung wäre.“

„Die Dichterin Semra Ertan war dennoch eine von uns. Ihre Stimme fehlt im PEN, das wird bei Lektüre ihrer Gedichte schmerzlich bewusst“, so PEN-Präsidentin Regula Venske. „Gern hätten wir ihrer auf unserer Jahrestagung in Hamburg gedacht, mussten die Tagung aber aufgrund der Pandemie leider absagen. Wir unterstützen die Forderung der Semra Ertan-Initiative nach Benennung einer Straße oder eines Platzes in ihrem Namen und Anbringen einer Gedenktafel. Über die tragische persönliche Geschichte hinaus eignet Semra Ertans Leben und Tod eine politische Komponente und eine Mahnung an uns alle. Auf die Gedenkveranstaltung der Initiative am 29. Mai – vor Ort und digital – weisen wir daher gerne hin.“

Hinweise zur Gedenkveranstaltung siehe:
Semra Ertan’ı Anma İnisiyatifi – Initiative in Gedenken an Semra Ertan (wordpress.com)

Quellen:
Semra Ertan – Wikipedia
Warum sich die 25-jährige Semra auf St. Pauli angezündet hat (vice.com)
Edition Assemblage (edition-assemblage.de)

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