Vor einem Jahr warnten die Vereinten Nationen vor Hungersnöten „biblischen Ausmaßes“. Die Warnung verhallte: Gerade einmal fünf Prozent der für 2021 benötigten Hilfsgelder für Ernährungssicherheit in Höhe von 7,8 Milliarden Dollar wurden von der internationalen Gebergemeinschaft bislang finanziert. Mehr als 200 Organisationen fordern deshalb in einem offenen Brief alle Regierungen auf, die Hilfe dringend zu erhöhen und zu verhindern, dass in diesem Jahr mehr als 34 Millionen Menschen an den Rand des Verhungerns getrieben werden.

Erst im Februar riefen das Welternährungsprogramm (WFP) und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) dazu auf, zusätzliche Mittel in Höhe von 5,5 Milliarden Dollar für die Versorgung der bedürftigsten Menschen bereitzustellen. Die Summe entspricht in etwa den weltweiten Militärausgaben eines Tages (weniger als 26 Stunden): Im gesamten Jahr 2019 gaben die Staaten 1,9 Billionen Dollar für das Militär aus. Doch während immer mehr Menschen hungrig zu Bett gehen, nehmen die Konflikte zu.

Ende 2020 schätzten die Vereinten Nationen, dass 270 Millionen Menschen entweder stark von Hunger bedroht sind oder bereits von akutem Hunger betroffen. Schon jetzt trifft dies für 174 Millionen Menschen in 58 Ländern zu. Viele von ihnen sind in Gefahr, an Nahrungsmangel oder der Schwächung ihres Immunsystems zu sterben. Die Zahl der Notleidenden wird in den kommenden Monaten noch steigen, wenn nicht sofort etwas unternommen wird. Weltweit sind die durchschnittlichen Lebensmittelpreise jetzt auf dem höchsten Stand seit sieben Jahren.

Bewaffnete Konflikte sind die Hauptursache für den weltweiten Hunger, der auch durch den Klimawandel und die Covid-19-Pandemie verschärft wird. Vom Jemen über Syrien, Afghanistan und den Südsudan bis hin zum Norden Nigerias treiben Konflikte und Gewalt Menschen in existenzielle Not.

Die über 200 Organisationen fordern, dass der zu Beginn der Pandemie erfolgte Aufruf des UN-Generalsekretärs zu einem globalen Waffenstillstand erhört und umgesetzt wird. Um Leben zu retten, müssen die Entscheidungs- und Verantwortungsträger*innen in aller Welt dauerhafte und nachhaltige Konfliktlösungen unterstützen und humanitären Helfenden Zugang zu den Menschen in Krisengebieten ermöglichen. 

Ahmed Shehu, Regionalkoordinator für das zivilgesellschaftliche Netzwerk des Tschadseebeckens, sagte: „Die Situation hier ist wirklich dramatisch. 70 Prozent der Menschen in dieser Region sind Bauern, aber sie haben wegen der Gewalt keinen Zugang zu ihrem Land und können keine Lebensmittel mehr produzieren. Diese Bauern haben jahrelang Tausende mit Nahrung versorgt, jetzt sind sie zu Bettlern geworden. Die Nahrungsmittelproduktion ist ausgefallen, Arbeitsplätze und Einkommen sind verloren gegangen und die Menschen können sich kein Essen mehr kaufen. Und wir gelangen nicht einmal mehr sicher zu den Bedürftigen, um ihnen zu helfen. Einige unserer Mitglieder haben die Reise riskiert, um hungernde Menschen zu erreichen und wurden entführt. Wir wissen nicht, wo sie sind. Das hat enorme Auswirkungen auf diejenigen, die helfen wollen."

Hinweise für die Redaktionen:

  • Der offene Brief ist hier zu finden:

https://www.icvanetwork.org/SignOpenLetterFaminePrevention

  • Im ersten Quartal 2021 haben die Geber nur 6,1 % der insgesamt 36 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, die in den humanitären Appellen der UNO für dieses Jahr gefordert wurden. Im Bereich der Ernährungssicherheit haben die Geber nur 5,3 % (415 Millionen) der insgesamt angeforderten 7,8 Milliarden Dollar bereitgestellt. (Stand: 7. April 2021)
  • Die Zahlen zu den Militärausgaben basieren auf einem Bericht des Stockholm International Peace Research Institute aus dem Jahr 2019, der die globalen Militärausgaben auf 1,9 Billionen Dollar schätzt. 
  • Nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) waren die weltweiten Lebensmittelpreise im Februar 2021 auf dem höchsten Stand seit sieben Jahren. 
  • Die Studie von Development Initiatives über die Auswirkungen von Covid-19 auf die Höhe der Hilfsgelder ergab für Kanada, Deutschland, Großbritannien und die USA erhebliche Rückgänge bei den Hilfszusagen im Jahr 2020, für die EU-Institutionen einen geringen Rückgang. Für Frankreich, Italien und Japan liegen keine Daten vor.
  • Im Global Humanitarian Overview 2021 warnte die UNO im Dezember, dass die Zahl der akut von Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen bis Ende 2020 auf 270 Millionen ansteigen könnte. FAO und WFP griffen diese Schätzung im Februar in ihrem Aufruf zum Handeln auf, um eine Hungersnot im Jahr 2021 abzuwenden. Die neuesten Zahlen der FAO und des WFP stammen vom März 2021.

ZITATE VON UNTERZEICHNENDEN:

Jan Sebastian Friedrich-Rust, Geschäftsführer von Aktion gegen den Hunger in Deutschland:

„Staats- und Regierungschefs auf der ganzen Welt müssen umgehend auf die Nahrungsmittelkrise reagieren. Drei Länder sind bereits von einer Hungersnot oder hungerähnlichen Zuständen betroffen, vierzig Länder sind gefährdet. Betroffen sind insbesondere Menschen in Konfliktregionen. Wenn wir nicht entschlossen reagieren, werden noch mehr Menschen an Hunger sterben. Regierungen und die internationale Gebergemeinschaft müssen sowohl diplomatische Maßnahmen verstärken als auch die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen, um die Zivilbevölkerung zu schützen und den Zugang zu humanitärer Hilfe zu sichern. Die Resolution 2417 des UN-Sicherheitsrats muss dringend umgesetzt werden. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Der bevorstehende G7-Gipfel muss erfolgreich sein, um Hungersnöte abzuwenden.“

Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland:

„Es gibt Rettungspakete für Unternehmen in Milliardenhöhe, gleichzeitig müssen Hilfsorganisationen im Jemen, Syrien oder der Demokratischen Republik Kongo um jeden Cent bitten. Und am härtesten trifft es wie immer Frauen und Mädchen. Dabei zeigt unsere Erfahrung, dass sie der Schlüssel zur Hungerbekämpfung sind. Wenn wir nicht endlich begreifen, wie entscheidend die Gleichstellung der Geschlechter ist, werden wir es auch in Zukunft nicht schaffen, Hungersnöte zu verhindern oder effektiv zu bekämpfen.“

Charlotte Slente, Generalsekretärin des Danish Refugee Council:

„Unter der wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Vertriebenen verschlimmert der fehlende Zugang zu Nahrungsmitteln eine bereits kritische Situation erheblich. Das DRK ruft alle Regierungen auf, jetzt zu handeln, um zu verhindern, dass der Hunger in der Welt die verletzlichsten Gruppen von Menschen weiter ins Elend stürzt."

David Miliband, CEO und Präsident des International Rescue Committee::

„Es ist erschreckend zu beobachten, wie sich der weltweite Hunger verschlimmert. In den Ländern, in denen wir arbeiten, sehen wir jeden Tag wie Hunger Menschenleben kostet. Die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen jetzt handeln, um ein noch nie dagewesenes Ausmaß an Leid zu verhindern – durch mehr finanzielle Mittel und diplomatische Bemühungen, um Konflikte zu beenden und den Zugang für humanitäre Hilfe zu verbessern.“

Tarek Abdelalem, Geschäftsführer von Islamic Relief Deutschland:

„Wir sehen es als unsere Pflicht, an der Seite der Menschen, die Hunger erleiden, zu stehen, und sie sind mehr denn je auf unsere Unterstützung angewiesen. Wir von Islamic Relief appellieren an die internationale Gemeinschaft: Ignoriert den Hunger nicht und gewährleistet sichere humanitäre Hilfe, durch politische Lösungen und finanzielle Hilfsmittel. Wenn die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, können wir beispielsweise im Jemen Millionen von Menschenleben retten. Wir erkennen die wirtschaftlichen Herausforderungen des gegenwärtigen globalen Kontextes an, aber wir können nicht akzeptieren, dass Massen an Menschen wegen mangelnder Nahrung sterben werden. Und das lassen wir, sofern es in unserer Macht steht, nicht zu. Noch können wir der Hungersnot entgegensteuern.“

Gabriela Bucher, Geschäftsführerin von Oxfam International:

„Die reichsten Länder kürzen ihre Nahrungsmittelhilfe, während Millionen von Menschen weltweit hungern: Das ist ein außergewöhnliches politisches Versagen. Diese Entscheidung muss dringend rückgängig gemacht werden. Und wir müssen uns mit den grundlegenden Ursachen des Hungers auseinandersetzen – der weltweite Hunger hat nichts mit der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln zu tun, sondern mit einem Mangel an gleichberechtigtem Zugang." 

Anne-Birgitte Albrectsen, CEO von Plan International:

„Wir sind Zeugen einer verheerenden globalen Hungerkrise, die Mädchen und Frauen am härtesten trifft. Aus Ländern wie dem Südsudan wird uns bereits über hungerbedingte Todesfälle und Familien berichtet, die tagelang ohne Nahrung auskommen müssen. Andere treffen herzzerreißende Entscheidungen, indem sie ihre Töchter früh verheiraten oder das wenige verbleibende Essen für die Mitglieder des Haushalts aufsparen, die körperlich am schwersten arbeiten müssen. Nun ist das Engagement der führenden Politiker*innen dieser Welt gefragt: Wenn jetzt nicht mehr Mittel für humanitäre Hilfe bereitgestellt werden, riskieren wir Millionen Todesfälle."                                                                                   

Inger Ashing, CEO von Save the Children International: 

„Wir haben die Geber immer wieder davor gewarnt, dass ihre Untätigkeit dramatische Folgen hat: Weltweit beobachten wir, dass Kinder verzweifeln und sterben. Bei der Geberkonferenz für den Jemen Anfang März kam nicht einmal die Hälfte der benötigten Mittel zusammen und das Land befindet sich am Rand des Abgrunds. Es ist schmerzhaft, denn die Regierungen haben das Geld. Dass im Jahr 2021 Tausende von Kindern an Hunger und Krankheiten sterben werden, ist eine politische Entscheidung, es sei denn, die Regierungen entscheiden sich radikal dafür, das Leben von Kindern zu retten."

Andrew Morley, Präsident und CEO von World Vision International:

„Lassen Sie mich direkt sein: Es gibt keinen Platz und keine Entschuldigung für so große Hungersnöte im 21. Jahrhundert. Die Tatsache, dass wir diesen Punkt erreicht haben, zeigt ein klares und katastrophales moralisches Versagen der internationalen Gemeinschaft. Wir schulden den Kindern dieser Welt größere Anstrengungen, um ihr Leben zu schützen, ihre Potentiale zu fördern und Grundlagen für eine hoffnungsvolle Zukunft zu schaffen."

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