Durch COVID-19 kam es zu einem explosionsartigen Anstieg der Wachstumsraten im weltweiten E-Commerce. Seit mehr als 20 Jahren wächst der Onlinehandel dynamisch, aber auch die Kritik ist lauter geworden, da jeder Paketversand die Umwelt belastet. „Allerdings zeigen nun Zahlen des Öko-Instituts: Umweltschädlicher als der meist als Positivbeispiel benannte stationäre Filialhandel ist die Bilanz des E-Commerce nicht – vielmehr verhält es sich andersherum“, so das Ergebnis einer Betrachtung von Jan-Christoph Herbst, Portfoliomanager bei MainFirst Asset Management.
Allein in Deutschland werden täglich mehr als fünf Millionen Pakete aus Onlinebestellungen geliefert, Tendenz steigend. Im Durchschnitt wird jedes sechste Paket zurückgeschickt – die Retouren verursachen hohe CO2-Emissionen. „Der direkte Vergleich mit der CO2-Bilanz des stationären Einzelhandels allein über diese Faktoren ist allerdings schwierig, da beim Einkaufen im Ladengeschäft oder Supermarkt ebenfalls das schädliche Treibhausgas entsteht, etwa durch die Beheizung und Beleuchtung der Verkaufsflächen, die Belieferung der Geschäfte mit Ware oder durch die Anreise der Kunden mit dem Auto“, ordnet Herbst ein.
Detaillierte Rechnung: Wie umweltschädlich ist E-Commerce?
Das Öko-Institut in Berlin, eine der europaweit führenden wissenschaftlichen Beratungseinrichtungen für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft, hat in einem Fallbeispiel den digitalen versus stationären Kauf eines Paars Turnschuhe im Hinblick auf die CO2-Bilanz untersucht: Betrachtet wurden die Faktoren der Belieferung der Großhändler per Schiff, Flugzeug und Spedition, auch Serverleistung, Warenlager und Umschlag im Verteilerzentrum, die PC-Nutzung der Kunden beim Bestellprozess sowie die Paketzustellung und die bei Bekleidungsartikeln höchsten Rücksendequoten mit etwa 0,7 Rücksendungen pro verkauftem Artikel wurden einberechnet. Ebenso berücksichtigt die Fallstudie die Verkaufsflächen, die mit Strom und Wärme versorgt werden müssen, und die Anreise von Kunden des stationären Einzelhandels samt einer durchschnittlichen Verkehrsmittelwahl je nach Wohnort. Das Endergebnis der Fallstudie fällt zulasten des Einzelhandels aus: Insgesamt entstehen laut der detaillierten Rechnung beim Onlinehandel circa 919 Gramm CO2 für den Verkauf des Turnschuhpaars, im Ladengeschäft sind es rund 1.270 Gramm.
Nachhaltige Effekte erwartet Portfoliomanager Herbst auch für das im Aufbau befindliche Feld der Online-Order von Lebensmitteln: Es sei davon auszugehen, dass die Rücksendequoten hier nahezu Null betragen dürften, auch das Sparpotenzial für Emissionen ist enorm. Die Belieferung von 30 Haushalten durch ein einziges Zustellfahrzeug könnte schätzungsweise 15 private Anfahrten mit dem PKW und zudem einen Teil eines Supermarktes ersetzten, der die Ware 15 Stunden am Tag im Scheinwerferlicht präsentiert. „Im Hinblick auf die CO2-Bilanz könnten sich neue Einkaufskonzepte also durchaus lohnen. Zudem hat die Elektrifizierung von Zustellfahrzeugen schneller begonnen als die des Automobils des Durchschnittbürgers“, rechnet Herbst vor.
E-Commerce als nachhaltiges Anlageziel
Der MainFirst-Portfoliomanager resümiert: „Gezielte Investments in E-Commerce-Unternehmen können nicht nur positive Performance-Effekte realisieren, sondern in Kombination mit einem Nachhaltigkeitsfokus auch die Öko-Bilanz positiv unterstützen.“ Die Geschäftsmodelle seien lukrativ, denn heute sind Lösungen für Webshop, Zahlungsabwicklung, Warenlager, Corporate Design sowie Werbung auf Social Media standardisierter, bequemer und kostengünstiger einzurichten als noch vor rund 20 Jahren. Damals verteilte sich der Onlinehandel auf wenige Pioniere wie Amazon oder Ebay, geschützt durch hohe Eintrittsbarrieren.
„Pionier Zalando macht es vor: Mode lässt sich durch eine redaktionelle Auswahl und stimmige Kampagnen erfolgreich auf der eigenen Plattform verkaufen. Außerdem entwickeln sich spezialisierte Marktplätze für Leasingfahrzeuge, Apothekenartikel, verschreibungspflichtige Medikamente oder Möbel“, beobachtet Herbst. „Das durch COVID-19 beschleunigte Wachstum der Branche hat auch die Aktienkurse von E-Commerce-Unternehmen beflügelt.“ Zu den Highflyern an der Börse zählten 2020 Amazon, Zalando, Shopify, Zur Rose, Shop Apotheke, MercadoLibre oder Meituan Dianping mit Zuwächsen von teilweise mehr als 100 Prozent. „Der Kurs von Alibaba kam zum Jahresende 2020 durch den geplatzten Börsengang seiner Tochter ANT unter Druck. Das Kerngeschäft jedoch, der Onlinehandel, wuchs mit 30 Prozent pro Jahr weiterhin stark und sollte auch in den nächsten Jahren weiteres Aufwärtspotenzial bergen“, so der Portfoliomanager.
Neben den klassischen Onlinehändlern lohne auch der Blick auf Firmen, die selbst keine Waren im Internet verkaufen, sondern indirekt am Boom partizipieren: Für den Zahlungsdienstleister PayPal klettern mit jedem Jahr, in dem E-Commerce wächst, die Umsätze nach oben. „Gleiches gilt für Adobe, den Softwareanbieter für Grafikdesign, Planung und Konzeption, im Bereich Onlinewerbung“, so Herbst. „Kaum ein Unternehmen konnte seine Umsätze in den letzten Jahren so kraftvoll und gleichmäßig steigern. Dieser Erfolg wird auch vom Aktienmarkt mit einer entsprechend hohen Bewertung honoriert.“
Quellen:
• E-Commerce: Greening the Mainstream, Vortrag von Nele Kampffmeyer und Carl-Otto Gensch, Bits & Bäume 2018, Berlin, 18.11.2018, https://www.oeko.de/publikationen/p-details/e-commerce-greening-the-mainstream
• Treibhausgasemissionen von E-Commerce und stationärem Handel im Vergleich, Mottschall, M., Veröffentlichungsdatum: 11 / 2014, https://www.oeko.de/publikationen/p-details/treibhausgasemissionen-von-e-commerce-und-stationaerem-handel-im-vergleich
• Eigene Berechnungen
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