Algorithmen und künstliche Intelligenz (KI) spielen eine wachsende Rolle in Leit-, Fach- und sozialen Medien. Die Darstellung der Themen ist jedoch sehr einseitig und konzentriert sich mehr auf wirtschaftliche Potenziale als auf gemeinwohlorientierte Akteure und Perspektiven. Dies ist das Ergebnis der ersten systematischen Analyse des Diskurses über Algorithmen und KI in deutschen Medien.

Algorithmische Systeme und künstliche Intelligenz beeinflussen immer mehr Bereiche des täglichen Lebens, doch diese Vielfalt schlägt sich in der medialen Darstellung nur ungenügend nieder. Technische sowie wirtschaftliche Aspekte und Akteure dominieren die Berichterstattung und damit den öffentlichen Diskurs, während gemeinwohlrelevante Fragen sowie politische und zivilgesellschaftliche Perspektiven unterrepräsentiert sind. Das geht aus der ersten systematischen Inhaltsanalyse des medialen Diskurses über Algorithmen und KI hervor. Für die Studie haben die Kommunikationswissenschaftler Sarah Fischer von der Bertelsmann Stiftung und Cornelius Puschmann von der Universität Bremen Artikel und Beiträge über Algorithmen und KI aus den vergangenen 15 Jahren ausgewertet. Die Texte stammen sowohl aus Leitmedien wie Süddeutsche Zeitung, Spiegel und Handelsblatt samt ihrer Onlineausgaben, als auch aus Fachblogs und -webseiten sowie von Twitter. 

„Algorithmen und künstliche Intelligenz können unser Leben verbessern. Um diese Chance zu nutzen, brauchen wir mehr Vertrauen in die neuen Technologien und eine breitere und informiertere Debatte in den Medien. Bisher hat die Berichterstattung über Algorithmen und künstliche Intelligenz jedoch blinde Flecken, wenn es ums Gemeinwohl geht“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung.

Produktneuheiten mit Abstand häufigster Anlass für Berichterstattung

Wie aus der Auswertung hervorgeht, hat sich die Präsenz des Themenkomplexes Algorithmen und KI in den betrachteten Leit- und Fachmedien in den vergangenen zehn Jahren deutlich erhöht – von gerade einmal 17 monatlichen Erwähnungen im Jahr 2010 auf 498 Erwähnungen pro Monat in der ersten Jahreshälfte 2020. Dabei ist der Anteil gesellschaftspolitischer Themen am Diskurs über die Zeit stark zurückgegangen. Die wirtschaftlichen und technischen Themen haben hingegen an Gewicht zugenommen und dominierten besonders in den vergangenen zwei bis drei Jahren den medialen Diskurs. 

Ein genauer Blick auf die Inhalte der Berichterstattung verdeutlicht die starke Orientierung an Wirtschaft und Technik. So sind Produktneuheiten mit Abstand der häufigste, politische Entscheidungen der seltenste Anlass für die Berichterstattung über Algorithmen und KI. Fragen der IT-Sicherheit sowie die großen Digitalkonzerne Google und Facebook tauchen sehr oft auf, und auch der internationale KI-Technologie-Wettbewerb zwischen den USA, China und Europa ist Gegenstand vieler Texte. 20 Prozent der in der Inhaltsanalyse untersuchten Artikel drehen sich um digitale Infrastruktur. Digitale Assistenzsysteme wie Siri und Alexa werden in 18 Prozent der Artikel thematisiert. Demgegenüber spielen gemeinwohlorientierte Themen nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin 9 Prozent der analysierten Beiträge beschäftigen sich mit algorithmischen Systemen im Gesundheitswesen. Auswirkungen auf Bereiche wie Bildung oder den Klimaschutz tauchen hingegen nur in etwa 1 Prozent der Artikel auf. Entsprechend hoch ist die Präsenz von Akteuren aus der nationalen und internationalen Wirtschaft. Sie kommen in 37 Prozent der Artikel zu Wort, während Vertreter:innen aus der Politik (7 Prozent) und Zivilgesellschaft (4 Prozent) nur selten zitiert werden.

Darstellung von KI und Algorithmen überwiegend positiv 

Wie die Analyse ebenfalls dokumentiert, ist die Darstellung von Algorithmen und künstlicher Intelligenz überwiegend positiv. Chancen und Vorteile werden in den untersuchten Beiträgen häufiger thematisiert als Risiken und Probleme. In 42 Prozent der Artikel wird eindeutig positiv über den Einsatz von Algorithmen und KI berichtet, während sich in gerade einmal 12 Prozent der Artikel eine eindeutig negative Bewertung findet. Eine genaue Betrachtung zeigt, dass diese Ausrichtung des Diskurses vor allem auf die Dominanz wirtschaftlicher Aspekte zurückzuführen ist. Bei den Chancen dominieren ökonomische Faktoren, wie Effizienzsteigerung und individuelle Vorzüge, etwa in Form personalisierter digitaler Angebote. Positive Effekte fürs Gemeinwohl, zum Beispiel eine bessere Verteilung knapper öffentlicher Ressourcen oder fairer Zugang zu staatlichen Leistungen, kommen hingegen kaum zur Sprache. „Die Potenziale von Algorithmen und KI gehen über rein wirtschaftliche Aspekte hinaus. Doch ihr Nutzen für gesellschaftliche Schlüsselbereiche wie Bildung oder Gesundheit kann sich nur entfalten, wenn darüber öffentlich debattiert wird. Hier sind Medien und Politik gleichermaßen in der Pflicht“, so Dräger. 

Auch wenn der Diskurs einen klaren positiven Tenor aufweist, werden dennoch wichtige Problemfelder und Risiken thematisiert, etwa Datenschutz-Konflikte, mangelnde Technologiekompetenz in der Bevölkerung oder ungenügende Regulierung von Algorithmen. In diesem letzten Punkt vermissen die Autor:innen der Studie in der Berichterstattung jedoch konkrete Handlungsempfehlungen. Dass mehr Transparenz und Aufsicht erforderlich sind, um die gesellschaftlich wertvollen Potenziale von KI und Algorithmen zu heben, zeigt auch der im Oktober 2020 von der Bertelsmann Stiftung und AlgorithmWatch veröffentlichte „Automating Society“ Report, der die aktuelle Nutzung algorithmischer Systeme in 16 europäischen Ländern untersucht.

Zusatzinformationen

Für die Studie „Wie Deutschland über Algorithmen schreibt” kam eine Kombination aus zwei Methoden zum Einsatz. Mittels des Topic Modeling, einer Form der computergestützten Inhaltsanalyse, wurden etwa 18.000 Texte auf ihre Themen hin untersucht. Im nächsten Schritt wurde eine kleinere Zufallsstichprobe von 300 Artikeln und 1.000 Tweets einer standardisierten quantitativen Inhaltsanalyse unterzogen. Dadurch ließen sich komplexere Kategorien wie Akteure, Tenor, Anwendungsbereiche, Handlungsempfehlungen sowie Chancen und Risiken identifizieren. Der Erhebungszeitraum erstreckt sich von Januar 2005 bis Juni 2020.

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