Im vergangenen März beschloss der Bundestag das sogenannte Sozialschutzpaket I zur sozialpolitischen Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie, das „Gesetz für den erleichterten Zugang zur sozialen Sicherung und zum Einsatz und zur Absicherung sozialer Dienstleister aufgrund des Corona-Virus SARS-CoV-2“. Es beinhaltete unter anderem weitreichende Verfahrensänderungen im Sozialgesetzbuch (SGB) II, die auf ein Jahr befristet wurden. Diese „bedingungsarme“ Grundsicherung hat zum Ziel, unzureichend abgesicherten Erwerbstätigen schnelle Hilfen zu ermöglichen und gleichzeitig die Arbeitsverwaltung zu entlasten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat im Januar einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der vorsieht, die befristeten Maßnahmen dauerhaft zu implementieren. Angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie hat nun aber der Koalitionsausschuss erst einmal nur beschlossen, die Maßnahmen bis Ende des Jahres zu verlängern.
Die geplanten Reformen und die Kritikpunkte
Die aktuelle, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ausgehende Reformoffensive des SGB II zielt darauf ab, dass Bürgerinnen und Bürger auch künftig von den Verbesserungen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende profitieren. Dabei wird den Reformen das Potenzial zugeschrieben, das Vertrauen in den Sozialstaat zu stärken. Kernelemente der (derzeit befristeten) „bedingungsarmen“ Grundsicherung sind:
Kosten der Unterkunft (KdU): Für NeuantragstellerInnen sollen für eine Karenzzeit von zwei Jahren die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in tatsächlicher Höhe anerkannt und keine Kostensenkungsverfahren eingeleitet werden. Aktuell werden im Rahmen des vereinfachten Zugangs in den ersten sechs Monaten keine Kostensenkungsverfahren eingeleitet.
Vermögen: Das Schonvermögen wird ausgeweitet. Vermögen wird auf Leistungsansprüche nur angerechnet, wenn es erheblich, also höher als 60.000 Euro bei einem Singlehaushalt, ist. Zudem soll selbstgenutztes Wohneigentum nicht mehr als Vermögen berücksichtigt werden.
Sanktionen: Auf Sanktionen wird entgegen der ersten Pandemie-Monate im Frühjahr 2020 nicht gänzlich verzichtet. Wohl aber soll die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neuregelung der Leistungsminderungen in direkter Anknüpfung an die derzeit geltende Übergangsregelung im Gesetz nachvollzogen werden und künftig auch gleichermaßen für unter 25-Jährige gelten.
Die Corona-Pandemie hatte den Diskurs um eine Reform des SGB II bereits intensiviert und zuvor geäußerte normative und juristische Kritikpunkte (auch des Bundesverfassungsgerichts) am bestehenden Hartz-IV-System aufgegriffen.info Eine dauerhafte Verstetigung der Sonderregelungen hätte eine kontroverse Debatte zur Folge, wie die ersten Reaktionen auf einen Referentenentwurf von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zur elften Novellierung des SGB II bereits gezeigt haben. So sah der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, in dem Vorhaben einen „sozialpolitischen Meilenstein“, wohingegen der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober, vor einer „(…) Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens durch die Hintertür" warnte.
Dabei zeichnen sich drei Dimensionen von Kontroversen ab: Erstens wird normativ (wieder) über die richtige Balance zwischen dem Fordern und Fördern gestritten und es werden Gerechtigkeitsfragen etwa zwischen Leistungsbeziehenden und Steuerzahlenden thematisiert. Hierzu zählt zweitens die Frage nach den arbeitsmarktpolitischen Wirkungen: BefürworterInnen betrachten eine Reduzierung individuellen Drucks bei gleichzeitiger Konzentration der Arbeitsverwaltung auf Beratung und Qualifizierung als positive Folgen. KritikerInnen hingegen argumentieren, dass eine solche Reform das Fordern unterbetone und die Arbeitsmarktdynamik zu hemmen drohe. Zu guter Letzt werden drittens fiskalpolitische Aspekte debattiert und der finanzielle Mehraufwand in Höhe von jährlich rund 310 Millionen Euro problematisiert.
Im Folgenden erfolgt eine evidenzbasierte Einordnung des Referentenentwurfs hinsichtlich der Intentionen und potenzieller Wirkungen drei zentraler Felder der Reformdebatte: die Kosten der Unterkunft, die Vermögensprüfung und die Sanktionen. Grundlage hierfür sind sowohl empirische Befunde aus Sekundärstudien als auch eigene Befunde im Rahmen einer aktuellen Studie im Kreis Recklinghauseninfo im nördlichen Ruhrgebiet, die die zu erwartenden Folgen auf kommunaler Ebene exemplarisch belegen soll.
Den ganzen Artikel finden Sie hier.
Das DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) ist seit 1925 eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland. Es erforscht wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Zusammenhänge in gesellschaftlich relevanten Themenfeldern und berät auf dieser Grundlage Politik und Gesellschaft. Das Institut ist national und international vernetzt, stellt weltweit genutzte Forschungsinfrastruktur bereit und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das DIW Berlin ist unabhängig und wird als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin)
Mohrenstraße 58
10117 Berlin
Telefon: +49 (30) 89789-250
Telefax: +49 (30) 89789-200
http://www.diw.de