„Die Corona-Krise hat die Verwundbarkeit internationaler Lieferketten gezeigt. Daraus den Schluss zu ziehen, Produktion wieder zurück in die Heimatländer zu holen, ist extrem teuer und daher der falsche Weg“, sagt IfW-Präsident Gabriel Felbermayr. „Zielführender wäre es, die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft beispielsweise durch stärkere Diversifizierung im Hinblick auf Zulieferer, vermehrte Lagerhaltung oder auch den erweiterten Einsatz von Recycling zu verbessern. Ein sehr restriktives Sorgfaltspflichtengesetz wäre da eher kontraproduktiv.“
Szenario betrachtet Auswirkungen von Abschottung
Für das Gutachten im Auftrag der IMPULS-Stiftung des VDMA haben die Wissenschaftler des IfW Kiel ein Szenario durchgespielt, in dem sich die EU durch den Einsatz sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse, also durch Vorschriften oder Produktionsnormen, die ausländischen Zulieferern den Marktzugang erschweren, stärker abschottet, um damit eine Rückverlagerung ausländischer Wertschöpfungsschritte zu erreichen. Berechnungsgrundlage ist die Annahme, dass Deutschland bzw. die EU diese Hürden verdoppelt. Eine solche Abschottung würde den Berechnungen zufolge in Deutschland zu einem Rückgang des Realeinkommens um jährlich 3,3 Prozent führen. Gemessen am deutschen Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 läge das Einkommen somit um 114 Milliarden Euro tiefer.
Kommt es zu einem Handelskrieg und das Ausland reagiert erwartungsgemäß mit Vergeltungsmaßnahmen, sinkt das Einkommen sogar um 6,9 Prozent. Schottet sich Deutschland sogar auch gegenüber dem EU-Ausland ab, liegt das Bruttoinlandsprodukt dauerhaft Jahr für Jahr um 9,1 Prozent unterhalb des Niveaus ohne zusätzliche Handelshemmnisse.
Auch im Rest der EU und weltweit sinkt das Einkommen in allen drei Fällen. Besonders deutlich im Falle von Vergeltungsmaßnahmen. Dann reduziert sich das Realeinkommen in der EU (ohne Deutschland) um durchschnittlich 4,9 Prozent, weltweit um 1,5 Prozent.
Maschinenbau in Deutschland wäre deutlich betroffen
Der Maschinenbau in Deutschland bezieht knapp 43 Prozent seiner Vorprodukte entweder direkt oder indirekt aus dem Ausland. Aufgrund dieser starken internationalen Verflechtung würde er überproportional unter einer Abschottung leiden, rund drei Mal stärker als die deutsche Wirtschaft im Durchschnitt. Seine Produktion geht jährlich um 14,3 Prozent zurück, wenn sich die EU abschottet, und um 19,5 Prozent, wenn das Ausland mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert. Dies entspräche einem Umsatzverlust von rund 50 Milliarden Euro. Schottet sich Deutschland auch einseitig gegenüber der EU ab, sinkt die Produktion im Maschinenbau um 25 Prozent, dies entspricht gut 60 Milliarden Euro weniger Umsatz.
„Die deutsche Volkswirtschaft verliert, wenn wir versuchen, die Globalisierung zurückzudrehen“, sagt Henrik Schunk, Vorsitzender des Kuratoriums der IMPULS-Stiftung und Vize-Präsident des VDMA. „Das Geschäftsmodell Deutschlands im Allgemeinen und des Maschinenbaus im Besonderen beruht auf offenen Grenzen, Austausch und Vernetzung. Dies sind die Erfolgsgaranten, die wir bewahren müssen, für unsere Technologieführerschaft und globalen Markterfolge.“
Ein Sorgfaltspflichtengesetz, das Unternehmen hohe rechtliche Risiken bei der Lieferantenauswahl bringt, würde nach Einschätzung des IfW die Bemühungen um mehr Liefersicherheit konterkarieren. „Das würde es Unternehmen erschweren, das Lieferantennetz zu diversifizieren. Damit wäre es weniger krisensicher und teurer. Das Gesetz müsste daher so gestaltet werden, dass Sicherheit und Wohlstand nicht gefährdet werden“, so Gabriel Felbermayr.
„Unternehmen dürfen nur für eigenes Fehlverhalten bei ihren Obliegenheiten verantwortlich gemacht werden und nicht für Verantwortlichkeiten von Staaten und einer unübersichtlichen Kette an Zulieferern über mehrere Stufen. Auf jeden Fall muss eine zivilrechtliche Haftung in Deutschland für Fehlverhalten unabhängiger Dritter im Ausland verhindert werden. Ein erhöhter Bürokratieaufwand und nationale Alleingänge müssen vermieden werden“, sagt VDMA-Vizepräsident Henrik Schunk. „Der VDMA bringt sich in diesem Sinne gerne in den Branchendialog mit der Bundesregierung ein.“
Alle verlieren, wenn internationale Arbeitsteilung wegfällt
Studien-Autor Alexander Sandkamp betont: „Ohne internationale Arbeitsteilung sind am Ende alle Handelspartner ärmer und der Kuchen, den wir verteilen können, wird kleiner. Schwächeres Wachstum trifft auch Personen, die Sozialleistungen oder staatliche Transfers beziehen wie Rente, Arbeitslosengeld oder Kindergeld. Auch im Gesundheitssystem müsste vermutlich gespart werden.“
Zwar könnte eine Abschottung Deutschlands und der EU die Folgen eines Produktionsschocks in Zulieferländern leicht abmildern, wie er durch die Corona-Krise verursacht wurde, und die Wirtschaft würde womöglich etwas weniger stark einbrechen. Allerdings von einem deutlich geringeren Niveau aus. Im Ergebnis stünde eine abgeschottete deutsche Wirtschaft auch nach einem Schock wesentlich schlechter da als bei freiem Handel.
Diversifizierung durch Freihandel reduziert wirtschaftliches Risiko
Darüber hinaus existieren in einer Regionalwirtschaft weniger Anpassungsmöglichkeiten, so dass ebenso denkbare inländische Schocks auf die heimische Wirtschaft größere negative Effekte auf die Wohlfahrt haben als bei internationaler Diversifizierung durch Freihandel. Außerdem kann auch in einer Regionalwirtschaft nicht jedes Gut lokal produziert werden. Abhängigkeiten von einzelnen Vorprodukten und Rohstoffen bleiben daher ebenfalls in einer Welt des begrenzten Handels bestehen.
Zum Gutachten: “Lieferketten in der Zeit nach Corona“
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