Das muss wirklich ein aufregender, anziehender und zumindest für den männlichen Betrachter erregender Anblick gewesen sein, als die jüngste, rothaarige Eroberung mit ihrem blauen Bikini in Sichtweite am See saß und ihm gefiel und er Pläne für ein langes Wochenende schmiedete. Ein langes Wochenende, welches dann doch ganz anders abläuft, als er sich das anfangs gedacht hatte. Das jedenfalls erfahren wir in dem zweiten der fünf aktuellen Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 15.01. 21 – Freitag, 22.01. 21) zu haben sind. „Das lange Wochenende“ so gewissermaßen unspektakulär ist der Titel dieser Erzählung von Jan Eik, in der dann allerdings tatsächlich allerhand passiert, jedenfalls mehr als nur ein Vergnügungsausfahrt mit dem Motorrad mit Petra als Sozia. Petra? Ja, so heißt die rothaarige Eroberung mit dem blauen Bikini. Und der Mann am Lenker heißt Gerd. Und dann ist da auch noch sein Onkel verschwunden, was Gerd aber im Moment weniger interessiert. Aber lesen Sie doch selbst. Vielleicht am nächsten langen Wochenende …

Auch um einen Ausflug mit Hindernissen, diesmal allerdings zunächst auf dem Wasser geht es in „Brücke, Boot und Bienenhaus. Ein Ferienerlebnis“ von Gerhard Dallmann.

Ganz weit weg wollen zwei Stalltiere in dem hintergründigen Kinderbuch „Frau Grunz-Grunz und ihr Sohn, der kleine Heinrich. Zwei Trüffelschweine gehen auf Weltreise“ von Hanna Borchert.

Alexander Puschkin begegnen wir in einem weiteren Kinderbuch – in „Alexander in Zarskoje“ von Brigitte Birnbaum. Allerdings begegnen wir Puschkin zu einer Zeit, als er selber noch ein Kind war, ein zwölfjähriger Junge und von Moskau nach Zarskoje Selo umzieht, um von da ab dort in dem vom Zaren Alexander I. für seine und die Söhne aus höchsten Adelsfamilien eingerichteten Lyzeum zu lernen. Alexander freut sich auf diesen Umzug. Noch aber weiß er nicht, was ihn dort wirklich erwartet.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Diesmal geht es um eine Liebe in Deutschland. Das klingt zunächst einmal angenehm, freundlich und heiter. Aber schon der Haupttitel des heute vorgestellten Buches lässt da andere, schlimmere Gedanken aufkommen. Und tatsächlich ist der Anlass für das Schreiben dieses Buches ein Gerichtsprozess. Und dieser offenbart einen alltäglichen Rassismus, der am Ende nicht einmal vor Mord und Totschlag zurückschreckt, auch wenn alles mit einem Steinwurf beginnt. Harmlos aber war auch der nicht, sondern vor allem eines – genau gezielt. Gezielt auf eine Liebe in Deutschland. Eine deutsche Frau liebt nach Ansicht einiger Leute offenbar die falschen Männer. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

1998 veröffentlichte Walter Kaufmann in der edition reiher im Dietz Verlag Berlin seinen bis zum Zerreißen spannenden Kurz-Roman „Steinwurf. Über eine Liebe in Deutschland“, dem ein bemerkenswertes Zitat von Pablo Neruda  vorangestellt ist: „Aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren, die eines Tages den Sitz eines Herzens treffen werden.“: Steinwurf … ein solcher Titel für eine Erzählung über eine Liebe in Deutschland? Kein anderer. Denn ohne den Potsdamer Prozess wegen jenes Steinwurfs hätte der Berichterstatter niemals von der Liebe zwischen einer jungen Deutschen und zwei Männern aus Jamaika erfahren: Da ist der Gerichtssaal mit der Pressebank vorn, und links davon die wegen versuchten Mordes Angeklagten, zwei stumpfe Kerle, der eine unter, der andere knapp über zwanzig Jahre alt, und deren Anwälte daneben; rechts von der Pressebank, bei den Fenstern, werden bald die geladenen Zeugen auftreten, zwei der drei schwarzen Bauarbeiter, die im Städtchen M. angepöbelt worden waren und danach mit dem Auto wegzukommen versuchten. Was misslang: Das Auto prallte gegen einen Baum, nachdem die Frontscheibe durch den Steinwurf zertrümmert worden war.

Noch im Gerichtssaal bittet der Berichterstatter die junge Frau um ein Gespräch, und was sie ihm nach anfänglichem Zögern mitteilt, bei späteren Verabredungen in ihrem und auch seinem Haus offenbart, beginnt sich für ihn zu einer Erzählung nicht bloß über die Liebe dieser Frau zu formen, sondern auch über die Liebe jener anderen, die dem durch den Aufprall querschnittsgelähmten Fahrer aufopferungsvoll auf den Weg zurück ins Leben hilft …

Der Berichterstatter muss sich nicht fragen, ob er gestalten und öffentlich machen darf, was er in den Gesprächen erfahren hat, längst weiß er, dass die junge Frau ein Buch über den Anschlag und ihre Beziehung zu den Opfern für geradezu dringlich hält. Soll er denn schweigen über Fremdenhass in Deutschland, Gewalt gegen Ausländer in Deutschland, oder die Liebe von zwei Frauen verschweigen, die den Mut hatten, dem Gegenwind zu trotzen …

Und so beginnt dieser ungewöhnliche Rapport, der einen lange nicht loslassen wird, wenn überhaupt jemals:

1

Bis zum Ausklang dieses sommerlichen Wochenendes hatte ich nichts von dem Geschehen erfahren; Curtis und Jerome ließen mich im Ungewissen, und als sie endlich bei mir anriefen, gaben sie vor, nicht zu wissen, wo Brent steckt – womöglich sei er mit dem Flugzeug nach England: „Du weißt ja, die Pferderennen.“ Wo auch immer er war und was auch immer ihn von mir fernhielt, Gedanken hatte ich mir gleich gemacht, und nach dem Anruf wuchs meine Unruhe noch: zumal sich Brent selbst nicht gemeldet hatte. Er wusste mich ja auch sonst immer zu erreichen. Und nie war er nur wegen irgendwelcher Pferderennen nach England geflogen –

Wetten für Epsom oder anderswo ließen sich auch in Berlin abschließen. Also, wo steckte er, bei welcher Frau?

Ich war aufgebracht, kopflos – womöglich! Hinter dem Wort verbarg sich doch was. Wo war Brent, mit wem betrog er mich? Illusionen, dass ich die einzige bleiben würde, hatte ich mir nie gemacht. Auf der Strecke, das hatte ich gleich gespürt, war kein Verlass auf ihn – wie das oft so ist bei schönen Männern. Und Brent – Brent E. Mallory war ein schöner Mann!

Das allein aber hatte den Ausschlag nicht gegeben – schon lange vor unserer Begegnung, das war auf der Baustelle, wo wir Vorbereitungen für die spätere Gartenanlage trafen, machte meine Ehe nur noch der Kinder wegen Sinn, und sie zerbrach dann auch jäh, nachdem Meister Raster von der Gärtnerei meinem Mann verraten hatte, was sich zwischen mir und Brent abspielte. Es war dem Alten nicht verborgen geblieben, war vielen nicht verborgen geblieben, und wohl schon Gesprächsstoff im Ort – die blonde Leni und der schwarze Bauarbeiter aus Jamaika.

Nicht in Worte zu fassen, wie mein Mann sich gebärdete, als er davon erfuhr – jähzornig war Werner schon immer gewesen, gewalttätig sogar, wenn er getrunken hatte –, jetzt aber steigerte sich das, er wurde so unberechenbar, dass ich mit den Kindern zu meinen Eltern floh und ich mich erst Wochen später wieder nach Hause wagte. Das war ein Fehler gewesen – zwar hielt er sich genügend im Zaum, mich nicht zu schlagen, was ich aber zu hören bekam, stand Schlägen kaum nach. Da war Niggerhure noch harmlos verglichen mit anderem, was er mir ins Gesicht schleuderte oder im Dunklen zuraunte, nachdem ich mich nachts – das Schlafzimmer teilten wir längst nicht mehr – ins Zimmer der Kinder zurückgezogen hatte! Und immer wieder entlud er seinen Fremdenhass auf Brent: Ich werde nicht wiederholen, was er alles ausspie – weit, weit Schlimmeres als bei einer anderen Beziehung, die ich vor Jahren einmal eingegangen war, um dem lähmenden Alltagstrott, der gleich nach der Heirat mit ihm eingesetzt hatte, zu entgehen. Er musste geahnt haben, was Brent mir bedeutete, und eben darum fühlte er sich doppelt gehörnt – er, der Deutsche, von einem Schwarzen gehörnt: unfassbar!

Sein Gespür trügte ihn nicht, ich hatte mich Brent ganz gegeben. Erst durch ihn hatte ich erfahren, wie das ist, für einen Mann wegzufließen, aufruschreien, zu vergehen. Kein Opfer schien mir zu groß für ihn, jedes Risiko nahm ich für ihn auf mich – seinetwegen hatte ich allen Giftmäulern, Klatschweibern, Lästerschnauzen die Stirn geboten. Und ich kann nur von Glück sagen, dass sich meine Kinder bei der Scheidung, die dann unweigerlich kam, für mich entschieden: Ben ohne zu zögern, Gerti erst, als ihr klar wurde, dass die Wohnung, in die ihr Vater umgezogen war, kein Eckchen für sie hergab – da blieb sie lieber, wo sie war, und duldete, dass Brent, wann immer er es möglich machen konnte, bei uns wohnte. Bis – ja, bis er dann verschwand. Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.

Erstmals 1975 erschien im Verlag Neues Leben Berlin „Das lange Wochenende“ von Jan Eik: Dem Buch sind zwei Mitteilungen an die Leser vorangestellt. Die erste lautet: „Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Wer sich zu erkennen glaubt, ist selbst schuld.“ Die zweite drückt wohl eine Zuneigung aus, zumindest aber eine Zueignung: „Für Ute“. Und darum geht es in „Das lange Wochenende“: Dieses turbulente Wochenende beginnt an einem Donnerstagnachmittag in Berlin reichlich vorzeitig, und Gerd weiß noch nicht, was ihm bevorsteht, als er mit seiner letzten Eroberung, der rothaarigen Petra, auf dem Sozius zur Datsche hinausfährt – oder er ahnt nur das Angenehme davon, denn sein Rotfuchs interessiert ihn im Augenblick hundertmal mehr als sein verschwundener Onkel. Und so beginnt es, dieses lange Wochenende:

1. Kapitel

Ich rekelte mich träge auf der Decke und betrachtete sie von der Seite. Sie gefiel mir; der blaue Bikini saß wirklich überall straff und schnitt nirgends in ihr weißes Fleisch. Dennoch war sie nicht etwa dürr. Sah einwandfrei aus, das Mädchen, besonders wenn der Schatten dieser Freundin nicht auf sie fiel, die ihr sonst nicht von der Fahne wich.

Ich hatte die beiden ungefähr drei Wochen zuvor zum ersten Mal hier am See gesehen und aus den Klauen zudringlicher Halbstarker befreien müssen, die allerlei über rote Haare rumzublödeln wussten. Dabei gibt es gegen rote Haare nichts einzuwenden. Und ein Rot war es eigentlich auch gar nicht, mehr so ein heller Ton, wie feine Kupferlitze ohne Isolierung.

Sie hieß Petra, und an jenem späten Mittag trabte sie also zum ersten Mal allein hier an und nahm auf meiner Decke Platz. Wir hatten gebadet, und während ich nun dabei war, meine in drei Wochen gereiften Pläne bezüglich ihrer Realisierung zu durchdenken, schüttelte sie plötzlich ihre Kupfermähne wild um sich und sagte: „Man müsste etwas richtig Verrücktes anstellen!“

Dagegen war so wenig einzuwenden wie gegen rote Haare und gegen das ganze Mädchen. Mit dieser Kupfermaid etwas Verrücktes zu veranstalten — das entsprach durchaus meinen Absichten und meinem Geschmack auch. Zur Sicherheit fragte ich: „Was nennst du denn wirklich verrückt?“

„Irgendetwas Überraschendes. Woran kein Mensch denkt“, erklärte sie voll tiefer Logik. Sie studierte übrigens Mathematik.

Na schön, der ganze Nachmittag lag noch vor uns, und der Abend, und — na eben Zeit genug, um herauszubekommen, wovon sie sich überraschen ließ, und woran kein Mensch denkt. Vorerst erhob ich mich zu einer kleinen Vorstellung. Sie saß zu meinen Füßen und blickte erwartungsvoll zu mir auf. Ich ließ mich in den Liegestütz fallen. Hier, auf dem abgefressenen Gras des Seeufers, wirkte das trotz meiner Größe nicht besonders, aber ich konnte es auch auf Straßenpflaster und Kneipendielen. Als ich noch jung war und zu Hause wohnte, hatte ich es so lange geübt, bis den Leuten unter uns die Stuckrosette in die Erbsen fiel.

Petra lächelte. „Schön, das hatte ich nicht erwartet. Ich hielt dich für zu träge.“

„Du wirst mich noch in meiner voll entfalteten Aktivität kennenlernen“, sagte ich und machte einige Liegestütze. Sie gelangen leidlich. Außerdem war das eine günstige Perspektive, um ihre glatten milchigen Schenkel bis hin zum untersten Rand ihres Bikini zu betrachten, und ich tat es ausgiebig. Das war weit eher angenehm als wirklich verrückt — mal sehen, wie sie reagierte.

Sie blickte sich unbefangen um. Die strahlende Junisonne beschien den See mit seinen kahlen Ufern und all die vielen Leute, denen das Badeverbot gleichgütig war. Viel zu viele Leute, und Petra empfand es wohl ebenso, sie sagte: „Man müsste einfach aufstehen und losgehen. Einfach so, an nichts denken dabei …

Ich sprang auf und zog sie an der Hand zu mir hoch. „Dann komm“, sagte ich. Sie guckte mich an, und ich bereute meine Aufforderung nicht. Wir taten beide, als dächten wir an nichts dabei …

Im Gebüsch zog sie sich in drei Minuten an und stand neben meinem fliegenden Pfeil, bevor ich selbst den letzten Reißverschluss zugezurrt hatte.

Selbst für halbe Kraftfahrzeuge wie meine antike MZ haben Frauen etwas übrig: es ist ein Spiegel dran. Sie kämmte sich ungefähr dreieinhalb Jahre, und ich hatte Zeit festzustellen, dass sie auch angezogen ausgesprochen brauchbar aussah, obwohl ihre Kleidung nur aus Kordlevis und einem unförmigen heufarbenen Rollkragenpullover bestand. Aber das Heu passte zum Kupfer.

Wir donnerten zur Chaussee hinauf. Sie war so nett, sich nicht an dem blöden Sitzbankgurt, sondern an mir festzuhalten. Ich bog stadteinwärts ab. Ihr Griff lockerte sich merklich, bis ich an der Tankstelle die Chaussee verließ. Getankt hatte ich glücklicherweise; es hätte uns jetzt beim Verrücktsein aufgehalten.

„Du dachtest wohl, es ginge in Richtung Ostkreuz?“, fragte ich über die Schulter. Ich hatte erwähnt, dass ich in der Gegend wohne.

Sie antwortete nicht.

Wir zuckelten eine Weile durch ein widerwärtiges Gewirr gleichberechtigter Nebenstraßen, bevor wir auf eine menschliche Schnellstraße gerieten und ich wenigstens im dritten fahren konnte. Als wir uns dem Kontrollpunkt näherten, erkundigte ich mich: „Hast du deinen Ausweis bei dir?“

„Nein.“

Ich hielt neben einer Telefonzelle.

„Ist das so schlimm?“, fragte sie.

Drüben am Kontrollhäuschen war der Schlagbaum geöffnet, ein gelangweilter Volkspolizist lehnte daran und winkte lustlos den Fahrzeugen. „Vermutlich nicht“, sagte ich. „Aber ich muss noch mal telefonieren.“

„Urlaub von Heim und Herd erbitten?“

„Wenigstens meinen sechs Kindern einen Abschiedsgruß. Darf ich?“

Das Telefon funktionierte wunderbarerweise, und Paul meldete sich sofort. „Paul“, fragte ich laut, „wie viel Überstunden habe ich eigentlich in diesem Monat?“

„Nöle mich nicht voll“, antwortete er. „Und brülle nicht grundlos! Schließlich ist Halbjahresabschluss.“

„Entschuldige. Ich dachte, es wäre Januar.“ Ich dämpfte meine Stimme. „Hast du schon jemanden für die Sonderschicht?“

Ich hörte ihn unwillig grunzen.

„Dann schreibe mich auf.“

„Und deswegen rufst du kurz vor Feierabend an?“

„Deswegen auch.“

„Und?“, fragte er misstrauisch, er kennt mich eben.

„Und weil ich morgen einen freien Tag benötige.“

„In der Frühschicht vorhin konntest du mir das nicht sagen, wie?“

„Wieso“, fragte ich scheinheilig, „warst du etwa bei uns drüben in der Halle?“

„Schön“, sagte er schnaufend, „wozu brauchst du gerade am Freitag einen freien Tag?“

„Ach, wissen Sie, Herr Abteilungsvorstand, persönliche Gründe zwingen mich in Anbetracht familiärer Ereignisse —“

„Ja, ja, ich weiß, dein Meerschweinchen hat Junge gekriegt oder der Erbonkel ist gestorben — ihr findet ja immer etwas!“

Ich sah durch die zerbrochene Scheibe hinüber zu meiner MZ, an der in höchst anmutiger Pose das Mädchen Petra lehnte. Hoffentlich schmiss sie mir den alten Ofen nicht um.

„Hör mal“, sagte ich zu Paul, „von Mensch zu Mensch gesprochen: Sie hat rote Haare und Sommersprossen — aber nicht viel.“

„Haare?“

„Sommersprossen!“

Paul lachte hämisch. „Vermutlich willst du irgendwo eine Mucke machen. Du brauchst doch immer Geld für deinen Katalyt-Starfighter.“

„Es heißt Mugge, nicht Mucke. Musikalisches Gelegenheitsgeschäft. Außerdem solltest du an die goldene Handwerkerregel denken: Privatarbeit geht vor Katastropheneinsatz! Und Montag siehst du mich zur Spätschicht — wenn du ausnahmsweise bei uns vorbeikommen solltest.“

„Von deiner Sorte möchte ich zwei haben“, sagte er, und ich war so gemein, ihm die Pointe zu verderben: „Aber du hast zweiundachtzig, du Armer. — Schönes Wochenende!“ Ich hängte ein.

Petra rief ich freudig zu: „Mutti hat es erlaubt!“

„Heißt deine Mutter schon immer Paul?“

„Es war ein Kommilitone, weißt du“, sagte ich geziert — mit Paul zusammen hatte ich tatsächlich fernstudiert, unser Plauderton klingt danach. Immerhin ist Paul mein Chef.

Petra verstand die Anspielung. Ihre Freundin Gaby hatte sich bereits als Studentin zu erkennen gegeben, bevor ich noch den ersten Blick auf sie geworfen hatte. Einen zweiten fand ich ohnehin überflüssig.

Der Polizist winkte uns freundlich zu. Ich winkte zurück. Petra fragte: „Kennst du ihn?“

„Ich fahre hier dreimal täglich mit einer Braut durch.“

„Darum ist die Straße schon so abgenutzt.“

Ich gab ziemlich heftig Gas. Sie klammerte sich herrlich an mir fest.

Auf der Autobahn konnte mein alter Dampfer endlich zeigen, was noch in ihm steckte. Petra kannte die Gegend nicht; sie brauchte nicht zu wissen, wohin der Ritt gehen sollte, und so antwortete ich auf alle ihre Fragen mit einem meiner klügsten Gemeinplätze: „Kleine Mädchen dürfen alles essen, aber nicht alles wissen.“

„Und große Mädchen?“, brüllte sie in mein Ohr.

„Die dürfen nicht mehr alles essen; sie werden sonst zu dick!“

Sie griff sich naheliegenderweise eine meiner Bauchfalten. „Das ist ein Haltungsfehler, weißt du“, erklärte ich. „Da hat der Lehrer nicht aufgepasst, dass ich immer gerade sitze.“

„Das solltest du dem Wirt deiner Eckkneipe erzählen, wenn er dir das siebente Bier hinstellt.“

Für eine Nichtberlinerin war sie reichlich schlagfertig. Sie sächselte überhaupt nur so viel, dass es noch hübsch klang. Ich teile das Berliner Vorurteil gegen die Südelbier nur bedingt. Dicke alte Frauen über Dreißig von dort treten kaum lauter und aufdringlicher auf als die umfangreichen Berlinerinnen, die früher sonntags im Unterrock am Müggelsee saßen. Ich war schon seit acht Jahren nicht mehr am Müggelsee gewesen, aber nicht wegen der alten Frauen. Glücklicherweise gibt es ja auch junge Frauen über Vierzig, und es sollte gar nicht mehr lange dauern, bis ich einer ins Haus lief.

Dieses Mädchen Petra spürte ich seit beinahe einer Stunde angenehm nahe hinter mir. Eine Brücke über die Autobahn kam in Sicht, ich verlangsamte rechtzeitig das Tempo. Sie fragte: „Und nun?“

„Nun biegen wir rechts ab in den dunklen Tann“, sagte ich und fuhr einen kaum erkennbaren Pfad hinauf zur Straße.

„Ist das nicht verboten, hier einfach raufzufahren?“

„Hast du nicht von deinem Ortsbürgermeister die Sondergenehmigung, heute etwas Verrücktes zu tun?“

Die Straße wand sich durch ein Dorf, und die Maschine durfte zeigen, was alles an ihr klapperte. Erst auf einem festgefahrenen Sandweg beruhigte sie sich wieder. Eine freundliche Häuseransammlung stellte eins von den 97 Dörfern namens Buchholz dar. Am Dorfteich bog ich links in Richtung auf ein schütteres Kiefernwäldchen ein, das sich bald zu einem echten Wald mauserte. Auf diesem Weg konnten wir an mein Ziel gelangen, ohne dass Petra einen Wegweiser oder ein Ortseingangsschild zu sehen bekam und ohne dass mich einer der Grappenthiner Dorfbewohner mit ihr sah … Das heißt, die Dorfbewohner waren mir natürlich gleichgültig, die sagten allenfalls: Diesmal mit ’ner Rothaarigen; aber mit den Bewohnerinnen war das ein eigen Ding. Bei zweien oder dreien war es mir nicht absolut gleichgültig; oder eigentlich nur bei einer — der vom vorigen Jahr. Meine Jugendliebe Lucie war längst verheiratet und hatte zwei Kinder — rothaarige übrigens, wie mir einfiel. Sie bekam so einen richtigen Lehrerinnenblick, wenn sie mich mal mit einer Frau sah.

Ob Carola gerade eins ihrer Gastspiele im Dorf gab, wusste ich nicht; hin und wieder tauchte sie in der Konsum-Kneipe als Serviererin auf, doch jetzt war Juni, und da ging sie sicher schon an der Ostsee „in die Urlauber“, wie sie das nannte.

Blieb die Friseurin …

Im Wald begegnete uns niemand. Wir fuhren an einem Feld entlang, auf dem in diesem Jahr Roggen stand, schon einen halben Meter hoch.

„Schön hier“, sagte Petra, und dann: „Sieh mal, ein See!“

„Tatsächlich“, sagte ich erstaunt, „mit richtigem Wasser.“

Dicht am Ufer führte ein festgefahrener schwarzer Pfad entlang zu einer moorigen, mit Knüppeln und Reisig mühsam befestigten Überfahrt. Ein Rinnsal sickerte den Feldrain herunter.

Jemand, der hier nicht Bescheid wusste, musste vor nicht allzu langer Zeit versucht haben, von der anderen Seite her mit dem Auto durchzukommen; in den tiefen Spuren, die er beim Hin- und Hermanöverieren und beim Wenden hinterlassen hatte, stand schwarzes Wasser. Vorsichtig fuhr ich durch das Modderloch.

Der Weg stieg etwas an und verbreiterte sich. Der See verschwand hinter Bäumen und Ufergehölz. Links am Hang wuchsen Kiefernkuscheln und Birken. Ein Stück weiter begann auf der Seeseite ein sehr ordentlich aussehender Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtabschluss und Pfählen in Betonsockeln, alles mit Silberbronze bepinselt. Man sah, dass der Besitzer ein Deutscher mit viel Zeit sein musste.

Das Haus machte den gleichen Eindruck. Es war sauber verputzt, der seltsam geformte Dachfirst und die Fenster weiß lackiert, und die Haustür sah aus, als hätte Fritz Kühn ausnahmsweise in Holz gearbeitet.

Neben dem Haus stand eine Mauer mit schräger Ziegelkrone und einem Durchgang mit Rundbogen, durch den man nur eine hohe Hecke sah. Ich hielt vor dieser neuromanischen Mauerpforte an der Zauntür.

„Hübsch, nicht?“, sagte ich.

Petra musterte alles eingehend — das pompöse Haus, die alberne Mauer, den gepflegten Rasen mit den drei düsteren Edeltannen, die noch zu jung waren, um das Haus richtig zu verdunkeln. „Schauspieler oder Klempner“, sagte sie.

„Wollen mal sehen.“ Ich ließ Petra auf dem Motorrad sitzen, stieg vom Bock und ging zum Tor, packte es mit der rechten Hand und zog mit der linken kurz und kräftig am Zaunpfahl daneben.

Das Tor sprang auf.

„Wollen Gnädigste abzusitzen geruhen?“, fragte ich.

Petra schien etwas irritiert zu sein.

Erstmals 1985 veröffentlichte Gerhard Dallmann in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin „Brücke, Boot und Bienenhaus. Ein Ferienerlebnis“: In diesem Buch erzählt Gerhard Dallmann ein neues Abenteuer von Kindern seiner norddeutschen Heimat in der Gegend des Oderhaffs. Nach Schiffbruch der kleinen Jolle „Alraune“ wird Eckart, der fixe Inselbengel, an Land verschlagen, schließt wohl oder übel Freundschaft mit Katharina, einem echten Mädchenquirl, und versetzt gemeinsam mit seiner wirbeligen Gefährtin die Erwachsenenwelt durch allerlei gefahrvolle Unternehmungen in Aufregung. Am Ende wird sogar ein Kirchenraub aufgedeckt: die Diebe lassen sich von den beiden erlebnishungrigen Ferienkindern foppen.

Schuld daran, dass dieser Sommer so ganz anders verläuft als geplant (nämlich viel, viel schöner und viel, viel spannender!), Schuld daran ist die heimtückische Eisenbahnbrücke von Karnin, die Eckarts Boot nicht mag. Ja, sonst hätte der Junge aber auch nicht Onkel Willis Bienenhaus kennengelernt und Peppi den Hund nicht und Otto von Bamberg nicht und natürlich auch nicht seine Freundin Fratz (das ist Katharina). Hier ein Auszug, der garantiert zum Weiterlesen einlädt:

„Fidibus hatte sich längelang auf die Bodenbretter der Jolle gestreckt. Die Arme unter dem Kopf, döste er vor sich hin. Eckart führte das Ruder. Denn Eckart war der Kapitän. Er beobachtete das Wasser, sah nach den Segeln, durchforschte den Himmel nach Wind anzeigenden Wolken und wandte seine seemännischen Kenntnisse an. Wasser, Wind und Wolken, der Seeleute dreifältiges Weh – sie geben ihre Anzeichen für kommende Wetter. So hatte er einst gelernt. So war es auch.

Oh, wie die Sonne brannte! Im Südwesten schwelte ein Vorhang blaugrauen Dunstes. Ihm fuhren sie entgegen. Doch was heißt fahren? Der anfangs freundliche Ostwind war bald wieder schlafen gegangen. Nun war von Fahren, von Vorwärtskommen keine Rede mehr. Selbst Schleichen wäre schon maßlos übertrieben gewesen. Denn auch das letzte, zarteste Püsterchen Wind hatte aufgehört zu sein. Glimmer senkte sich über das Wasser, und Flimmer füllte die Luft. Aus der Ziegelei der Rauch trieb schnurgerade in die Höhe, wo er müde und in dünnen Schwaden hängen blieb, irgendwo, stundenlang. Flaute nennt das der Seemann und Windstille der Dichter.

„Soll ich am Mast kratzen?“, fragte Fidibus und rekelte sich hoch. „Man sagt, dann kommt Wind.“

„Tu’s doch“, gähnte Eckart.

„Oder einer alten Katz drei blaue Haare ausruppen. Das soll noch besser wirken.“

„Tu’s doch, du Quatschi.“

„Aber wenn der Kapitän dreimal nach Luv spuckt und jedes Mal den Priem mitgehn lässt, dann kommt bestimmt Wind.“

„Unübertreffliche Weisheit. Schlaf lieber und verschone mich mit deinen sinnvollen Aussprüchen.“

„Wind her, Wind hin. Ich finde das schön so.“

„Aber dann kommen wir nie zu Oma.“

„Ätsch, vor einer Woche waren wir noch in der Schule.“

„Schule? Was ist das? Kenne ich nicht.“

„Und du hattest Angst vorm Zeugnis. Ätsch!“

„Halt die Klappe jetzt endlich mal!“, lachte Eckart. „Sag mir lieber, ob du schon die Brücke siehst und von wo der Wind kommt, wenn er kommt.“

Fidibus deckte die Hand vor die Augen, um das gleißende Licht abzuschirmen. Er suchte, wohin Eckarts Finger wies. „Nichts. Alles grau in grau.“

Die Brücke, die Eckart meinte, war ehemals ein sehenswertes Bauwerk gewesen. Jetzt stand sie zerstört da, nur noch ein armseliges Eisengestell. Von Osten her kommend, erkennt ein geübtes Auge sie als strichfeines, wie ein auf den Horizont gesetztes Karo. Früher, als der grausige Krieg noch nicht übers Land getobt hatte, zählte sie wahrlich zu den Wunderwerken der Technik. Eine doppelgleisige Bahnlinie führte damals über sie hinüber, und diese verband alle Ostseebäder der Insel Usedom mit der weiten Welt des Festlands. Durch die Hände verrückter Kerle musste sie noch in den letzten Kriegstagen gesprengt werden. Musste? Warum? In Sekunden zerrissen da ihre eleganten Bogen wie Bindfäden und versanken in den Fluten der Haffenge. Lediglich das Stahlquadrat, dieses riesige Mittelgerüst, ist als graues Mahnmal stehen geblieben. Die Brückenträger hat man abgehoben und fortgetragen. Für die Schifffahrt ist der Wasserweg wieder frei geworden. Nur zwei Fundamentteile, kantig und scharf wie Korallenriffe, unsichtbar und mordsgefährlich, blieben vergessen unter der Wasseroberfläche, ganz dicht neben der Fahrstraße.

Diese Brücke sollte Fidibus suchen helfen.

An deren Nordufer finden wir auf ausgestrecktem Hügel das Dorf Karnin, und diesem gegenüber, am anderen Ufer, liegen die Gehöfte von Kamp, zwei, drei Bauernhöfe, kaum eingedruckt in unseren Landkarten. Also, wer kennt das schon … Windfangende Bäume decken die Häuser und sagen jedem: hier ist die Welt zu Ende. Zwar tuckert täglich das Milchboot nach Kamp hinüber, klappert mit Kannen, bringt hin und wieder Post oder Medizin oder einen Gast vielleicht – aber darüber hinaus gibt’s nichts anderes als Schilf oder die uralten, weiß beklecksten Reusen am Ufer.

Doch das alles war noch weit, sehr weit entfernt, eine Tagesreise vielleicht oder zwei – wenn diese stumpfsinnige Windstille anhielt.

Eckart starrte über die Bordkante in das grünalgige Wasser, in dem sich die Alraune um sich selbst drehte. Unbarmherzig knallte die Sonne ihre Hitze in die Luft, sodass jeder vernünftige Mensch vor ihr fliehen sollte. Die Jungen aber schützte weder ein schattiges Dach noch ein kühlender Hauch. Gnitzen kribbelten über die Haut und naschten von den Schweißtröpfchen, die aus den Poren perlten. Es war einfach heiß, wahnsinnig heiß. Selbst die Möwen hatten ihre Lust am Fliegen verloren. Mittagsfaul ruderten sie auf dem Wasser und träumten sich was …

Die Jungen hatten sich die Hemden über den Leib gezogen, um keinen Sonnenbrand zu bekommen. Fidibus klagte über Durst. Eckart mahnte: „Durchhalten! Sei ein Mann!“

Endlich entdeckten sie die fadendünnen Umrisse der Karniner Brücke. Lieber Himmel, dachte Eckart, noch so weit! Stunden kann das dauern, Tage! Und er errechnete, wie lange es noch hell sein wird.

Doch einer weisen Lehre zufolge: Wind wird kommen, irgendwann, aber Wind wird kommen. Die Dunstwand hatte sich bereits verflüchtigt. Über das Wasser wehte es von Westen her dunkel auf. Er kommt, er kommt, der liebe Wind, jubelte Eckart. Schon flatterten die Segel durch. Der Wind hatte die Alraune erreicht und sanft gestreichelt.“

Als Eigenproduktion von EDITION digital erschien erstmals 2015 „Frau Grunz-Grunz und ihr Sohn, der kleine Heinrich. Zwei Trüffelschweine gehen auf Weltreise“ von Hanna Borchert: Als Bauer Möller und seine Frau Ella denken, ihre beiden Schweine sind gestohlen worden und sogar die Polizei einschalten, da liegen sie falsch. Sohn Heinrich und seine Mutter Grunz-Grunz haben sich vielmehr auf den Weg gemacht, um die Welt zu erkunden. Auf ihrer ungewöhnlichen Weltreise schließen sie nicht nur mit vielen anderen Tieren Freundschaft, sondern kommen sogar bis nach Istrien, wo sie zwei richtige Trüffelschweine treffen und von ihnen lernen, Trüffel zu suchen und zu – finden. Mit dem vielen Geld, das man für diese Spezialität bekommt, können Heinrich und seine Mutter Grunz-Grunz anderen Tieren und auch Menschen helfen. Aber auch die beiden Weltreisenden kommen als blinde Passagiere unterwegs das eine oder andere Mal in Gefahr und werden nur dank der Hilfe ihrer Freunde nicht entdeckt. Ein menschlicher Freund, der bedankt sich für die Hilfe von Heinrich und Mama Grunz-Grunz sogar mit einem großen Paket an Bauer Hans Möller in der Maisfeldstraße 5 in 19080 Maisfeldshagen, dem er einen wichtigen Brief beilegt. Als der Bauer ihn liest, schöpft er neue Hoffnung, seine beiden Schweine wiederzusehen, und auch Heinrich und seine Mutter Grunz-Grunz haben auf ihrer ungewöhnlichen Weltreise bald mit Heimweh zu kämpfen. Ob sie auch tatsächlich wieder nach Maisfeldshagen zurückkommen? Und wie wird man sie dort empfangen? Noch aber sind sie gar nicht unterwegs, sondern sie wollen erst – abhauen, ausbrechen und abhauen:

Der Aufbruch

Heinrich ist nun schon gewachsen und überlegt, was wohl noch kommt in seinem schönen Schweineleben. So hat er die Idee, seine Mutter zu fragen: „Was kommt noch so Schönes auf mich zu, Mama, wenn ich größer und erwachsener bin?“

Frau Grunz-Grunz sieht Heinrich ganz erschrocken an. Sie schüttelt den Kopf und antwortet ganz besorgt, dabei schlägt sie die Augen nieder. „Das kann ich dir nicht sagen. Was kommt, kann niemand vorhersehen.“

„So, so.“ Heinrich schaut nach oben, wo Herta, die Spinne, wohnt, und fragt: „Weißt du es auch nicht, Herta?“

Herta schaut zu den Pferden hinüber. „Fred und Franz können es dir vielleicht sagen.”

Heinrich stellt sich auf seine Hinterfüße und schaut über das Gitter. „Ach ja, sagt es mir doch bitte, wie geht es weiter in meinem Leben?”

Die Pferde schauen sich an, schütteln den Kopf und verraten nichts, denn sie glauben zu wissen, was passieren kann.

„Das ist ja nicht gerade interessant, was ihr gesagt und nicht gesagt habt. Na gut, dann denke ich mir eben alleine etwas aus.”

So fing alles an, und auch sein Abenteuer begann.

„Ach, bitte, Mama“, bettelt Heinrich, „lass uns die Welt ansehen, sie ist sicher groß und schön. Hier eingesperrt zu sein, ist nicht mein Wunsch.”

Mama schaut entsetzt ihren Heinrich an. „Aber Heinrich, wie soll das gehen? Es ist noch nie ein Schwein auf Weltreise gegangen.”

„Ach, bitte, Mama, überlege, wie wir hier rauskommen. Alles andere findet sich schon.”

Mit großen Augen blickt Frau Grunz-Grunz ihren Heinrich immer wieder an. Die Spinne erschrickt, als sie von Heinrichs Idee hört. Auch die Pferde sehen sich verwundert an. „Ich weiß nicht“, sagt das eine Pferd, „toll ist der Gedanke schon.“ „Ja“, bestätigt das andere Pferd und lächelt sogar dabei. Nun liegt es an Mama, wie sie hier ungesehen rauskommen.

Mama sagt: „Ich überlege ja schon.“ Alle Augen schauen auf sie. „Wenn der Bauer zum Füttern kommt, streichelt er Heinrich immer über den Rücken und krault ihn am Ohr. Dann ist der Stall offen. Wir werden einen Gegenstand dazwischen legen, damit das Schloss nicht wieder einschnappen kann. Wir hätten ein leichtes Spiel, wenn es klappt. Die Tür wäre für uns dann auf.“

„Oh ja, oh ja, das ist ja prima! Gleich heute Nacht wollen wir es versuchen!“, jubelt Heinrich.

„Nicht so übereifrig“, erwidert Mama, „so etwas will gut überlegt sein. Wir schlafen noch eine Nacht darüber und beobachten heute genau, wie wir es machen könnten.”

Heinrich ist damit einverstanden und gibt Ruhe.

Auch Herta, die Spinne, lobt: „Weise, weise von dir, Grunzi.“ Die Pferde nicken dazu und sind mit dem Aufschub auch zufrieden. „Ob wir wohl schlafen können heute Nacht? Es ist doch ziemlich aufregend, was in unserem Stall so vor sich geht“, sagt Herta und reibt sich die Augen. „Gute Nacht, alle miteinander“, wiehern die Pferde.

Herta ist traurig

Am nächsten Morgen ist eine eigenartige Stimmung in der Luft, keiner spricht ein Wort. Sogar Heinrich ist ganz verändert. Wie wird es sein? Und was wird kommen, wenn ihnen der Ausbruch gelingt?

Jetzt heißt es, Ruhe zu bewahren und nur nicht umherzappeln, sonst glaubt der Bauer womöglich noch, Heinrich wäre krank. Da Heinrich der Liebling im Stall des Bauern ist, würde es sofort auffallen, wenn er sich anders verhält. Auch Frau Grunz-Grunz liegt etwas unruhig in der Ecke. Sie überlegt und überlegt, alles muss klappen, einen zweiten Versuch werden sie nicht bekommen.

Der Bauer kommt zum Füttern in den Stall. Die Pferde sind zuerst an der Reihe. Sie werden bald gesattelt, denn sie sollen zur Pferdeschau in die Stadt. Dort werden Pferde vorgeführt, um verkauft zu werden. Es kann sein, dass man sich nicht wiedersieht. Traurig schauen sie umher, doch der Bauer merkt nichts. Die Eimer werden in den Futterkrippen entleert, Heinrich wird noch etwas hinterm Ohr gekrault und schon ist der Bauer wieder gegangen.

Doch nun hält es Heinrich nicht mehr aus und fragt: „Herta, was sagst du nun zu unserem Ausbruch, meinst du, dass wir es schaffen?” Die Spinne nickt nur mit dem Kopf und meint: „Ja, ja, sicher, sicher, ihr geht mit Überlegung an die Sache ran und wisst genau, was zu tun ist, damit hat man ja schon fast gewonnen.“ Sie sagt es, wie sie noch nie gesprochen hat. Sie ist traurig, denn sie ahnt, wenn es gelingt, würden sie sich nie wiedersehen.

Heinrich bemerkt ihre Traurigkeit und sagt: „Komm doch mit!”

Die Spinne sieht Heinrich ungläubig an: „Weißt du nicht, dass Spinnen nicht so lange leben?”

„Schade, dass es so ist, aber da kann man nicht helfen, glaube ich, nicht wahr, Herta?”

„Ja, Heinrich, da kann niemand etwas machen. Euch aber wünsche ich gutes Gelingen und viele schöne Erlebnisse auf eurer Reise.”

„Danke, Herta, wir werden Glück brauchen, um in der weiten Welt zurechtzukommen.” Es wird schon dunkel und Heinrich denkt: „Bald haben wir es geschafft, es muss nur noch alles gut gehen.“

Frau Grunz-Grunz liegt in der Ecke. Sie sammelt Kräfte für die Reise und denkt: „Wir werden noch einmal zu essen bekommen. Es wird die letzte Mahlzeit sein, die uns serviert wird. Deshalb müssen wir ordentlich satt sein, wenn wir aufbrechen.”

Der Bauer kommt und bringt für alle etwas mit, auch für Mama und Heinrich. Heinrich schaut zum Bauern auf, der lächelt Heinrich an. Er öffnet die Tür und krault Heinrich den Rücken. Er sieht nicht, dass Heinrich Tränen in den Augen hat. Wie auch, denn es ist schon dunkel geworden. Nun kommt es darauf an. Gelingt es, etwas ins Schloss zu schieben? Der Bauer wendet sich von Heinrich ab und Frau Grunz-Grunz zu. Sie ist aufgestanden und frisst ganz dicht an der Tür. „Lass mich durch, geh etwas zur Seite, ich komme ja sonst nicht raus“, lacht der Bauer. Frau Grunz-Grunz macht nur leicht mit dem Po Platz.

Der Bauer geht hinaus, schließt wie immer die Tür hinter sich. Doch das Pferd fängt auf einmal laut an zu wiehern, sodass der Bauer nicht hört, ob es klick gemacht hat. Im Glauben, es sei alles in Ordnung, verlässt er den Stall.

Das Pferd macht einen langen Hals, um zu sehen, dass der Bauer wirklich ins Haus gegangen ist. „Ja, ja, er ist fort“, schnaubt Fred. „Nun bin ich aber gespannt, ob es funktioniert hat. Geht die Tür auf oder nicht?“

Heinrich darf nicht jubeln

Alle blicken wie versteinert auf das Schloss. Geht es auf? Ist es ein Abschied? Öffnet es sich nicht, ja, dann bleibt alles, wie es war. Jetzt heißt es, Ruhe zu bewahren und mit Geduld den Riegel zu bewegen.

Frau Grunz-Grunz steht schon vor der Tür. Heinrich drückt sich an Mama. „Heinrich, mach etwas Platz und du weißt, psst, psst, auch wenn die Tür wirklich aufgeht, nicht laut jubeln.“ Heinrich nickt, auch die Pferde nicken, sie schnauben leise.

Nun nimmt Mama allen Mut zusammen und schiebt den Holzstab zur Seite. Er war nicht eingerastet. Wenn jetzt nichts mehr davor liegt, bekommt sie die Tür auf.

Heinrich drängelt Mama zur Seite: „Vielleicht erst ich. Ich schiebe nur ein wenig, ganz leise.“ Mama nickt: „Vorsichtig, Heinrich, schiebe erst deinen Kopf durch die Tür.“

Heinrich drängelt sich durch den Spalt, der sich schon leicht geöffnet hat, wackelt etwas mit dem Hinterteil und dann ist er auf der Tenne. Vor Freude dreht Heinrich sich im Kreis. Doch dann! Mama ist noch nicht auf den Gang herausgekommen, schafft sie es nicht? „Mama, komm doch, die Tür ist auf!“

„Ja, ja, ich sehe es, ich komme gleich.“ Sie schaut noch einmal zurück. Gut hatten sie es hier, es war warm und trocken und zu essen hatten sie immer reichlich. Aber jetzt, was kommt jetzt auf sie zu? So bequem wird es bestimmt nicht und nie mehr werden. Wie sagt ein altes Sprichwort: „Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen.“ So kommt es ihr gerade vor. Als gingen sie auf dünnem Eis. „Aber nun genug der Wehmut, nach vorne schauen!“ Sie tritt auf den Gang hinaus. Auch Mama dreht sich einmal um sich selbst und bestätigt: „Es hat geklappt. Der Abschied fällt uns schwer, aber wir müssen los.“

„Wir haben noch viel vor“, versichert Heinrich. Er schaut zu Herta hoch: „Erzähl deinen Kindern von uns. Irgendwann kehren wir wieder heim, dann werden sie uns von dir berichten.”

„Lebt wohl", verabschiedet sich Herta und das Herz ist ihr schwer.

Heinrich wendet sich zu den Pferden: „Nun zu euch, ihr lieben Pferde. Habt Dank für euer Wiehern. Ich weiß wohl, dass ihr uns damit einen großen Gefallen getan habt. Ihr werdet verkauft. Ihr seid gesund und von besonderer Schönheit. Ich hoffe, dass ihr wieder ein gutes Zuhause findet. Ich glaube fest daran, dass wir uns wiedersehen werden.“

Erstmals 1980 veröffentlichte Brigitte Birnbaum im Kinderbuchverlag Berlin „Alexander in Zarskoje“: Endlich fort aus dem Elternhaus! Frei sein! Sascha, der Zwölfjährige, jubelt. Sein Onkel bringt ihn von Moskau nach St. Petersburg, denn er hat Beziehungen zum Zaren. Alexander I. hat für seine und die Söhne aus höchsten Adelsfamilien in Zarskoje Selo sein Lyzeum eingerichtet. Was Sascha dort tatsächlich erwartet, ahnt der Junge nicht. Doch, was ihn nicht umbringt, macht ihn stark. Und eines Tages wird Sascha – der große russische Dichter Alexander Puschkin – in aller Welt bekannt sein. Noch aber ist es nicht soweit, und die künftige Weltberühmtheit muss sich von seinem französischsprechenden Erzieher beschimpfen lassen, weil er nicht mehr schlafen kann oder vor lauter Aufregung nicht mehr schlaffen will:

I. Kapitel

In diesem Sommer werde ich nicht zur Großmutter nach Sacharowo fahren. Die Koffer sind gepackt. Die Reiseorder liegen bereit. Aber ich werde nicht nach Sacharowo fahren. Ich nicht! denkt Sascha, kaum dass er die Augen öffnet. Er hebt den Kopf vom Kissen, schaut hinüber zum zweiten Bett, in dem, wenige Schritte entfernt, sein Erzieher schläft.

Und dir entkomme ich! triumphiert Sascha. Nun kannst du Lwowka mit deinen arithmetischen Regeln quälen! Oder Olga ängstigen.

Der Mann schnarcht. Sonst ist es still im Haus. Es kann also noch nicht sechs Uhr sein. Vielleicht ist es noch nicht einmal fünf. Vielleicht erst vier.

Ein Sonnenstrahl rutscht über die staubigen Dielen bis vors Bett des Schnarchers.

Sicher ist es doch schon fünf Uhr, überlegt Sascha. Trotzdem hätte ich noch genügend Zeit, mich vorher von der Moskwa, vom Kreml mit seinen alles überragenden Türmen, von der Straße, in der ich geboren wurde, zu verabschieden. Wer weiß, ob ich jemals wieder hierher zurückkehre… Plötzlich schlägt sein Herz härter. Sascha hört nur noch sein Herz, nicht mehr das Schnarchen.

Erneut springt ein Sonnenstrahl ins Zimmer, dieses Mal bis auf Saschas Bett, und legt sich wärmend auf seine kleine braune Hand. Saschas Hände sind dunkler als die anderer Kinder. Auch sein Gesicht ist nicht so blass wie die Gesichter seiner Geschwister. Und nicht nur jetzt im Sommer. Bei Sascha verrät sich die Hautfarbe seines Urgroßvaters, des Mohren Hannibal.

Sascha entzieht dem Sonnenstrahl seine Hand, eine Hand, die sich nichts fortnehmen lässt. Das hatte vor ein paar Tagen der Schnarcher spüren müssen. Es gelang ihm nicht, dem Jungen ein Zettelchen zu entwinden, das dieser während der Unterrichtsstunde beschrieben hatte, obwohl es nichts zum Notieren gab.

Saschas Hand schiebt die Bettdecke beiseite. Er richtet sich hoch, greift zum Schemel nach seinen Hosen, findet nur Hemd und Strümpfe und Leibwäsche. Die Hosen fehlen.

„Ausgerechnet die Hosen!“, knurrt er wütend. Ohne Strümpfe hätte er durch Moskau laufen können, sogar barfuß. Aber doch nicht ohne Hosen! Arina wird sie genommen haben, um sie vor der Reise gründlich auszubürsten.

Arina… sie wird mir als einzige fehlen. Ach, wenn ich nur schon unterwegs wäre! Schon in Twer oder noch besser in Nowgorod. Sascha wirft sich rücklings in die Kissen. Das Holzbett knarrt.

„Alexander Sergejewitsch, warum schlafen Sie nicht?“, fragt ihn sein Erzieher. Er fragt es französisch. Er spricht mit dem Jungen nur französisch, wie mit allen in diesem Haus. Nur mit den Dienstboten radebrecht er russisch.

Sascha schweigt, schließt aber auch nicht die Augen, um sich schlafend zu stellen. Dass alle, bis auf die Eltern und den Onkel, den Zwölfjährigen mit „Sie“ anreden, ist selbstverständlich. Man hat schon Sie zu ihm gesagt und sich bis zum Gürtel vor ihm verneigt, als er noch gar nicht laufen konnte. Er ist eben der junge Herr.

„Warum schlafen Sie denn nicht?“, pariert er verärgert.

Der Franzose antwortet dem Jungen mit einem hasserfüllten Blick. Ein schrecklicher Knabe!

„Was soll nur aus Ihnen werden, Alexander Sergejewitsch?“, sagte der Mann, jedoch nicht bedauernd, sondern im Befehlston.

Sascha lacht und zeigt seine weißen Zähne. Er schleudert sich aus dem Bett, rennt zum Fenster, zerrt an der Hanfschnur, die vor der Scheibe baumelt, und öffnet die Lüftungsklappe. Ruckartig verschwindet der schnurrbärtige Kopf seines Erziehers unter dem Zudeck. Den geringsten Lufthauch fürchtet der Franzose. Sascha nutzt dies aus, denn er hat keine Lust auf eine Moralpredigt. Heute Morgen schon gar nicht.

Wo werde ich in der nächsten Nacht schlafen? In einem weißbezogenen Bett gewiss nicht. Saschas Gedanken eilen ihm voraus, derweil er sich wieder hinlegen muss und warten, bis ihm die Kinderfrau seine Hose bringt. Eine zweite Hose und der hausgeschneiderte Sonntagsanzug sind im Reisegepäck verschnürt. Der Junge wusste auch gar nicht, in welcher Truhe er nach seinen Kleidern suchen sollte. Braucht er etwas, ist er gewohnt, sich an Arina zu wenden. Ab morgen wird er es nicht mehr tun können. Nein, ab heute nach dem Frühstück schon nicht mehr.“

Und damit zurück aus dem Moskau des Jahres 1811 in die Gegenwart und zu den aktuellen Sonderangeboten des bereits dritten Newsletters des immer noch neuen Jahres. Und diese Offerte kann vielfältiger kaum sein, wie Sie sicher schon selbst beim Anlesen der insgesamt fünf aktuellen E-Book-Vorschläge von EDITION digital bemerkt.

Viel Vergnügen bei ihrer persönlichen Auswahl (für sich und andere) und bei der anschließenden Lektüre, und bleiben auch Sie in diesen noch immer schwierigen Zeiten weiter vorsichtig, vor allem aber schön gesund und munter und bis demnächst – auf Wiederlesen!

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 26 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. E-Books sind preisgesenkt und Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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