Der aktuelle Tätigkeitsbericht für die Jahre 2018 und 2019 der Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten der AOK Baden-Württemberg zeigt: Im Gesundheitswesen nehmen Betrug und Korruption zu. So stieg die Zahl der Hinweise auf betrügerisches Handeln innerhalb von zwei Jahren um acht Prozent (2016/2017: 707 auf 2018/2019: 766), innerhalb der vergangenen zehn Jahre verdreifachte sie sich sogar. „Betrug und Korruption im Gesundheitswesen kosten die Versicherten bares Geld“, sagt Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Allein für 2018/2019 gehe man von einem finanziellen Schaden für die Versichertengemeinschaft von über 40 Millionen Euro aus. „Schlimmer noch: Fehlverhalten gefährdet die Versorgung kranker und pflegebedürftiger Menschen, insbesondere wenn Leistungen durch nicht oder unzureichend qualifizierte Personen erbracht werden“, so Bauernfeind.

Leider sei davon auszugehen, dass nur ein Teil der Delikte entdeckt werde, das Dunkelfeld aber deutlich größer sei. Nachteilig bei der Strafverfolgung seien die eingeschränkten personellen Ressourcen bei den Ermittlungsbehörden, insbesondere den Staatsanwaltschaften. Verfahren können häufig nicht fristgerecht verfolgt werden und müssten daher oft eingestellt werden. „Daher sollten aus unserer Sicht Schwerpunktstaatsanwaltschaften, wie sie in anderen Bundesländern schon existieren, für die Bekämpfung von Kriminalität im Gesundheitswesen eingerichtet werden“, sagt Bauernfeind. Bereits 2016 habe die Gesundheitsministerkonferenz an die Adresse der Justiz die Schaffung solcher Schwerpunktstellen empfohlen.

Die Fälle reichen von Abrechnungsbetrug, also nicht erbrachten Leistungen, bis hin zu Zulassungsbetrug, zum Beispiel durch Urkundenfälschung. Mehr als ein Drittel der bearbeiteten Fälle (36,5 Prozent) bezieht sich auf den Leistungsbereich Arznei- und Verbandmittel, ein Großteil hiervon auf Arzneimittelmissbrauchsfälle in Verbindung mit dem sogenannten Ärztehopping. „Seit Jahren wird von den Krankenkassen beobachtet, dass eine steigende Zahl von Versicherten problemlos Rezepte für Betäubungsmittel, beispielsweise starke Schmerzmittel wie Fentanyl oder Oxycodon, erlangt, wenn eine Vielzahl von Arztpraxen in kurzen Abständen konsultiert wird“, sagt Thilo Stenzel, der bei der AOK Baden-Württemberg die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen leitet. Die Ärzte hätten zum Zeitpunkt der Verordnung bislang keine Möglichkeit zu prüfen, wie sich die bisherige Verordnungshistorie darstellt, sofern sie den Versicherten zum ersten Mal oder nur in großen Abständen sehen. Um solche Fälle beurteilen zu können, sei Transparenz für die verordnenden Ärzte dringend notwendig. „Rezepterschleichung durch Ärztehopping in Verbindung mit Arzneimittelmissbrauch bilden oft zwei Seiten einer Medaille, die zu hohen Finanzschäden der Krankenkassen, aber auch zu Gefahren für Leib und Leben der Versicherten führen können. Sofern mit den erlangten Wirkstoffen auch noch Handel getrieben wird, kann dies zudem zur Gefährdung Dritter führen“, sagt Stenzel. Umso wichtiger sei es, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der Mehrfachverschreibungen den Riegel vorschiebe. „Die Erfahrungen mit Drogenersatzstoffen wie Methadon müssten auf die einschlägigen Betäubungsmittel ausgeweitet werden – allerdings digital in Echtzeit, wenn der Patient noch in der Praxis ist, und nicht auf Papier per Post.“ Analog zum Substitutionsregister, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte angesiedelt ist, sei auch ein Betäubungsmittel-Register notwendig, das durch die Daten der abgebenden Apotheken gespeist wird und den verordnenden Ärzten digital und on demand in ihrer Praxis zur Verfügung stünde. „Die Verbindung von Telematik, Prävention und ärztlicher Entscheidungshoheit auf Grundlage vollständigerer Informationen als bisher wäre ein sinnvoller Beitrag, um erst gar nicht in die Nähe von US-amerikanischen Verhältnissen mit Opioid-Notstand und einer Vielzahl von Toten zu geraten“, ist Stenzel überzeugt. „Denn wenn diese Fälle bei uns in der Fehlverhaltensstelle landen ist es im Grunde zu spät“, so Stenzel weiter, „und wir können nur noch reagieren.“

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